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Gor Chahal, Grace (Gnade), 2007
© Gor Chahal, kultum.at

Göttliche Zuwendung

Solche Bilder sind uns von Mandalas her bekannt. Man kann sie drehen wie man will, sie sind von allen Seiten gleich aufgebaut und haben einen klaren Mittelpunkt. Das ruhige grüne Passepartout, in den vier Ecken mit einem stilisierten Blumenmotiv gehalten, führt den Blick wie durch ein Fenster hindurch auf ein rotierendes Gebilde, das aus zwölf Händen und sie verbindenden Linien besteht.

Die Hände kommen von außen, aus dem blauen Hintergrund, und erinnern dadurch an frühchristliche Malereien, in denen Gott und seine Zuwendung zu den Menschen durch eine aus den Wolken ragende Hand dargestellt wurde. Hier wie dort ist die Handhaltung eine segnende. Hier sind die Umrisse der Hand zudem aus Gold: ein traditionelles Zeichen für Gottes Herrlichkeit, unterstrichen durch die goldgestreiften Ärmel eines roten Festgewandes. Gold kann für Macht und Herrschaft gesehen werden, das Rot für sorgende und bergende Liebe.

Gottes Hände rotieren geradezu um das Geschaffene. Sie sind unaufhörlich in Bewegung: segnend, schöpferisch, behütend. Ist das nicht wohltuend zu sehen, wie alles aus Gott Hervorgegangene auch von ihm umgeben ist und gehalten wird? Wir Menschen dürfen uns zusammen mit allem Geschaffenen in diesem Focus von Gottes Aufmerksamkeit und Handeln wissen.

Doch ist das unsere erlebte Realität ? Ist das nicht eher eine Wunschvorstellung? Persönliches Leid, Krankheit, Armut, Verständigungsschwierigkeiten unter Einzelnen, Völkern und Religionen, Naturkatastrophen und, und, und … Gibt es nicht genug Gründe, an Gottes Allmacht und Liebe zu zweifeln?

„Gott ist Vater, Gott ist gut, gut ist alles, was er tut“, wurde früher den Kindern mit auf den Lebensweg gegeben. Und dann ging das Leben weiter und überrollte diesen wohlgesetzten, gutgemeinten Kinderspruch, denn er widerspricht zunächst der Lebenserfahrung – wenn er nicht von Anfang an eingebettet ist in ein grünes Passepartout der Hoffnung und des Glaubens. Der Hoffnung, dass Einer eine Regie führt, die wir zwar meistens nicht verstehen; des Glaubens, dass es einen Plan gibt, den nur Gott kennt.

Der Künstler stellt uns diese Gedanken in dem fein gezeichneten Gespinst im Kreis der zwölf Hände vor Augen, das aus einer Vielzahl von geometrischen Formen besteht: wohltuenden Bogen und vielerlei eckigen und kantigen Fragmenten, die für sich allein gesehen sinnlos erscheinen. Doch zusammengefasst ergeben sie ein durchdachtes, harmonisches Gebilde von großer Schönheit.

Wenn es gelingt, diesen Plan zu erhoffen, kann diese Hoffnung zu einem „doppelten Boden“ im Leben führen oder zu einem Netz, das im Absturz hält und trägt. Rainer Maria Rilke hat das in seinem Herbstgedicht von den fallenden Blättern so ausgedrückt: „… und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Das stärkt den Glauben und lässt die vielen sich kreuzenden Linien gar zu einem bergenden Gewölbe werden, voll unfassbarer Gnade und Fülle.

Patrik Scherrer, 30.06.2007

Gor Chahal

Grace (Gnade)
Entstehungsjahr: 2007
Druck auf Leinwand, Ausstellung GRACE MAJOR, 2007 im Kultum, dem Zentrum für Gegenwart, Kunst und Religion in Graz
© Gor Chahal, kultum.at

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