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Maria Maier, Raumspuren 14, 2008
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Lebenstreppe

Auf dem Foto kann man nur eine Treppe erkennen. Sie ist aus Stein und trägt Spuren der Verwitterung: abgesplitterte Treppenkanten und schwarzen Schimmel. Es kann keine stark frequentierte oder öffentliche Treppe sein, denn die seitlichen Handläufe und Geländer zur Gewährung der Sicherheit fehlen.

Wozu mag sie wohl dienen? Wohin mag sie führen? Der Bildausschnitt gibt keine klare Auskunft über die Umgebung, den Zweck und das Ziel der Treppe. Sie führt von einer durch den dunklen (gemalten) Balken angedeuteten Waagrechten am unteren Bildrand hinauf zu einer durch eine starke Diagonale angedeuteten Ebene, die über dem Horizont des Betrachters liegt. Ob diese Ebene eine Brücke oder ein Balkon ist, lässt sich nicht erkennen. Die dunkle Unterseite suggeriert aber einen Blick wie aus der Öffnung einer Höhle heraus in die Weite eines klaren Himmels.

Diese Öffnung wird von der Treppe diagonal durchquert und lässt den Eindruck entstehen, dass die Treppe durch den Himmel oder sogar in den Himmel führt. – Ein verrückter Gedanke! – Jetzt verstellt die Treppe noch den Ausblick, doch bereits die Treppe selbst und die Plattform an ihrem Ende verheißen eine ungehinderte Sicht auf die himmlische Weite.

Wer diese Treppe hinaufgehen will, braucht Vertrauen: Vertrauen in die luftige und schon etwas in die Jahre gekommene Konstruktion, sowie Vertrauen in sich selbst, da er oder sie sich weder links noch rechts abstützen kann. Einziger Halt ist – im Bild mit dem blauen Himmel angedeutet – der Glaube, dass sich dieses Wagnis lohnen wird und sinnvoll ist.

Diese Treppe könnte ein Sinnbild für unser Leben sein. Aus der Horizontalen suchen wir den Aufstieg, den Erfolg. Körperlich helfen uns Rolltreppen, Fahrstühle, Autos und Seilbahnen und andere moderne Verkehrsmittel, schnell und bequem Höhen zu überwinden. Wer will, kann ganz leicht „hoch hinaus“. Aber das ist nicht das wirkliche Leben. Letztlich müssen wir doch alle die Erfahrung der Anstrengung machen, dass man nicht überallhin kann, wo man gerne sein möchte, dass man nicht alles auf einmal haben kann, dass sich das Leben – glücklicherweise – nur Stufe für Stufe realisieren lässt. Erst am Ende werden wir vollumfänglich sehen, was „oben“ ist. Erst am Ende der Treppe werden wir den Aufstieg mit seinen verschiedenen Etappen bewerten können und erfahren, ob er zu einem lohnenden Ziel geführt hat.

Patrik Scherrer, 14.02.2009

Maria Maier

Raumspuren 14
Entstehungsjahr: 2008
Fotografie übermalt
75 x 50 cm, Pinakothek
der Moderne, München
Foto: W. Schmidt
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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