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Johannes Schreiter, Freies Glasbild, S.D.G. 16/2002/GB, 2002
© Johannes-Schreiter-Stiftung, Langen (Hessen)

Befreiung

Drei geometrische Farbformen prägen dieses Glasbild: Das goldorange Rechteck, das ihm eingeschriebene rote, quadratförmige Band sowie das weiß-graue Rechteck in der Mitte. Mehrere  frei gezogene, die Farbflächen durchquerende Linien vervollständigen einen ersten Eindruck.

Den freien Glasbildern von Johannes Schreiter haftet etwas Spontanes, Bewegtes an. Ich vermute, dass dies von den frei gezogenen schwarzen Linien herrührt, die der Künstler mit großer Sicherheit um und durch die Farbflächen gezogen hat. Wie bei einer Skizze ragt die Linie mal über die Ecke hinaus oder ist sie wie korrigiert verdickt. Manchmal ist sie unterbrochen, mal fleckenartig konzentriert, dann löst sie sich in einem wunderbar feinen Verlauf im Nichts auf. In allen Ecken sind zudem auflockernde, die Strenge der Ecken brechende Elemente zu entdecken: Überragungen, Einbiegungen, Einrundungen, lochartige Verdoppelungen, Einbrüche, usw. Gekonnt hat hier ein Meister seines Faches mit den Linien gespielt, sie gleichsam zu Leben erweckt. Denn wo das Auge des Betrachters auch hinschaut, lassen die Linien ihn Leben, Lebendigkeit und Begegnungen erfahren.

Hintergrund für das Geschehen bildet ein goldgelbes Rechteck, dessen Fläche mit seinen sanften Farbverläufen ebenfalls voller Leben ist. Erdige Gelbtöne bewegen es unentwegt. Diese rechteckige Form trägt oder umfängt in ihrem Innern ein blutrotes, quadratisches Band. Zur linken Seite hin dunkler gestaltet, antwortet ihm auf der rechten Seite ein schmaler dunkler Streifen. Oben ist das Band zudem überdeckt (oder durchbrochen) durch eine grau-weiße Fläche, die sich durch den auslaufenden Farbübergang von oben her in den zentralen gelben Farbraum ergießt. Wie von der Macht dieses Einbruchs ausgelöst, bricht gelbe Farbe auch durch die Basislinie der roten Fassung hindurch, wird allerdings von zwei Linien aufgefangen.

Diese grau-weiße Fläche verändert die ganze Komposition: Die von oben her zentral in das Bild hereinbrechende Lichterscheinung lässt aus dem goldenen Rechteck eine U-Form werden, aus dem quadratförmigen Band zwei sich gegenüberstehende Klammern.

Aus dem bisher in sich selbst ruhenden und geschlossenen Raum ist nun durch die weiße Einsenkung plötzlich eine in ihrer Mitte und nach oben offene Form entstanden, bereit zu empfangen. Ob da der Künstler an den Menschen gedacht hat, der von Gottes Gnade überrascht sich staunend Gottes lichtvoller Gegenwart in seiner Lebensmitte öffnet? Das rote Band der Liebe hat durch das göttliche Du ein ihm entsprechendes menschliches Du in der Horizontale gefunden.

Die schattenhafte schwarze Figur, die federleicht am Ende einer Linie schwebt und mit ihrer untersten Ausformung mystisch den zentralen Spannungspunkt aller Linien und Formen berührt, kann nun zu einem symbolischen Samenkorn werden. Tot geglaubt, bricht es alles durch die Berührung von Oben auf und durchzieht es mit feinen Äderungen des Lebens.

Patrik Scherrer, 07.05.2005

Johannes Schreiter

Freies Glasbild, S.D.G. 16/2002/GB
Entstehungsjahr: 2002
94,5 x 68,5 cm, Im Besitz des Künstlers
Farbtafel 58 in: Johannes Schreiter, Freie Glasbilder, von Gunther Sehring, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2005,
© Johannes-Schreiter-Stiftung, Langen (Hessen)
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