durchkreuzt
In der Mitte der schmalen, hohen Holzskulptur sitzen sich in einem Kreis ein Mann und eine Frau frontal gegenüber und schauen sich intensiv an. In ihren Armen liegt ihr neugeborenes Kind. Es ist schon so vital, dass es sich zur Seite drehen und dem Kind unter ihm seinen linken Arm entgegenstrecken kann. Damit wendet es sich aus der erhöhten Position der unten stehenden Hirtenfamilie zu, die drei ihrer Hände grüßend und huldigend, aber auch empfangend, zu ihm erheben.
Zwei Hochhäuser, die auch wie zwei Türflügel hinter dem Paar aufragen, bilden den oberen Abschluss. Der Himmel hat sich geöffnet. Ein nach unten zeigender Engel weist auf die Heilige Familie mit dem Gottessohn. Man kann ihn die Weihnachtsbotschaft verkünden hören: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (Lk 2,10b-12)
Ungewöhnlich ist die Darstellung der Heiligen Familie. Alle drei tragen keine Heiligenscheine, sind jedoch von einem Kreis der göttlichen Unendlichkeit umfangen und in ihm geborgen. Die Krippe Jesu bilden Maria und Josef selbst. Im Profil dargestellt, schauen sie sich gegenseitig tief in die Augen oder vielmehr in die Seele. In ihrer Haltung wohnt ein inniges Verweilen, ein kontemplatives Versenken in das Geheimnis der göttlichen Liebe und Geburt, die sich gerade in ihrem Schoß und in ihren Herzen offenbart.
Ein horizontaler Riegel hinter ihnen stört die Idylle und kündet in der Geburtsstunde bereits die Stunde des Todes an. Ein Querbalken durchkreuzt die Senkrechte und damit die Harmonie des Familienglücks. Noch sitzt die Heilige Familie wie in einem Schutzraum eng beieinander, noch ist sie umgeben von einer schützenden Hülle, doch dünn ist die Wand und schon bald zu eng für die Realitäten, die von außen hereinbrechen (vgl. Mt 2,13-18). Das Kreuz deutet aber auch auf den finalen Sendungsauftrag Jesu wie er in dem bekannten Adventslied zum Klingen kommt: „Gott, send herab uns deinen Sohn, die Völker harren lange schon. Send ihn, den du verheißen hast, zu tilgen unsrer Sünden Last.“ (GL 222; KGB 304)
Gekonnt fließt die Bewegung von der Hand Jesu, über den Arm des Hirtenkindes und den Hirtenstab nach unten zum Lamm und weist so auf das Wort Johannes des Täufers: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! … Dieser ist der Sohn Gottes.“ (Joh 1,29.34). Durch seinen Opfertod am Kreuz haben wir die Erlösung und die Vergebung unserer Sünden (vgl. Eph 1,7).
Die drei freudig und begeistert emporgestreckten Hände der Hirtenfamilie vermögen dieses Glück kaum zu fassen. Im Aufschauen und in ihrer Zuwendung zu Jesus mag man die Worte des weisen Simeon hören: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ (Lk 2,30-32)
Herbei, o ihr Gläubigen, fröhlich triumphierend,
o kommet, o kommet nach Bethlehem!
Sehet das Kindlein, uns zum Heil geboren!
O lasset uns anbeten, o lasset uns anbeten,
o lasset uns anbeten den König, den Herrn.
„Adeste fideles“, dt. Fassung von Friedrich Heinrich Ranke 1823





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