Leuchtender Neubeginn
Wie ein überdimensionierter Arm erhebt sich die fast zwei Meter hohe Weihnachtsäule, um ganz oben in einer vergoldeten Knospe aus Lorbeerblättern aufzubrechen. Der krönende Abschluss ist wie eine siegreich erhobene Hand geformt, deren Zeigefinger zudem mahnend in die Höhe ragt.
Inmitten der warmen und lebendigen Maserierung des Sandsteins findet sich im unteren Drittel eine höhlenartige Nische, in der Maria und Josef ihr Kind der Öffentlichkeit zeigen. Über ihnen und sie mit seinem Schweif schützend leuchtet der Stern des Neugeborenen. Die schlichte Darstellung, bei der nur das Jesuskind mit etwas Gold als Gottessohn ausgezeichnet ist, erinnert an den Propheten Elias, wie er am Eingang der Höhle Gott im sanften, leisen Säuseln des Windes erlebte (vgl. 1Kön 19,12). Auch ein schlafendes Neugeborenes ist gewissermaßen ein sanftes, leises Säuseln im Lebenslärm unserer Zeit und erfordert die volle Aufmerksamkeit, um in ihm Gottes Gegenwart zu erfahren.
Wie eine Tätowierung auf dem Unterarm erscheint das Zitat von Hannah Arendt in Großbuchstaben: „Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien ‚die frohe Botschaft‘ verkünden: ‚Uns ist ein Kind geboren.‘“ Es ist nicht die Botschaft an die Hirten oder der Lobpreis Gottes durch die himmlischen Heerscharen, sondern die bewundernde Reflexion einer jüdischen Philosophin, welche durch die Geburt des Gottessohnes jede Geburt eines Kindes als Sinnbild für Vertrauen und Hoffnung auf den Punkt bringt.
So sind die vergoldeten Blätter auch inhaltlich der Höhepunkt dieser in Stein gehauenen Reflexion zur Geburt Jesu. Bekrönt von einem Blätterkranz wie bei einem antiken Säulenkapitell verweist die Säule nicht nur auf Unsterblichkeit und ewiges Leben, sondern auch auf die göttliche Herkunft Jesu. Zugleich signalisieren die Blätter den Aufbruch von versteinerten Strukturen. Sie lassen die verheißungsvollen Worte des Propheten Jesaja hören: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“ (Jes 11,1-2)
Die im bildlichen Sinne herausragende Bedeutung der Stele steigert sich durch die prophetischen Worte Jesajas:
„An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein,
der dasteht als Feldzeichen für die Völker;
die Nationen werden nach ihm fragen
und seine Ruhe wird herrlich sein.
An jenem Tag wird der Herr von Neuem seine Hand erheben,
um den übrig gebliebenen Rest seines Volkes zurückzugewinnen,
von Assur und Ägypten, von Patros und Kusch,
von Elam, Schinar und Hamat und von den Inseln des Meeres.
Er wird ein Feldzeichen für die Nationen aufrichten
und die Versprengten Israels zusammenbringen;
die Zerstreuten Judas wird er von den vier Enden der Erde sammeln.“
(Jes 11,10-12)
Der erhobene Arm wird über dem Baumstamm zum Feldzeichen, die Hand in den sprießenden Blättern zur brennenden Fackel, die das Licht des Neugeborenen weitherum sehen lässt. Dieses Licht in der dunklen Nacht ist Hoffnung den Einsamen und Verlorenen, den Versprengten schenkt es Orientierung und Vertrauen. Es lässt die Menschen von überall her zusammenkommen und sich mit erleuchteten Herzen und Augen als neue Gemeinschaft erleben. Das Kind wirkt in der Säule wie ein Samenkorn, doch seine Frucht leuchtet „allen Völkern“ (Lk 2,31-32).
Die Stele von Stefan Lutterbeck ist bis zum 25. Januar 2026 in der 85. Telgter Krippenkunst Ausstellung “Hoffnung” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.





Kommentare