Bettler der Barmherzigkeit
Das bekannte Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn ist schon oft illustriert worden. Die bekannteste und wohl emotional stärkste Darstellung ist sicher jene von Rembrandt, wo der Sohn in den Armen seines Vaters liegt.
Der Künstler Volker Kurz hat diese biblische Geschichte aus dem heutigen Zeitgeist heraus ganz anders dargestellt. In frischen Farben und mit einem Zug zur Karikatur malte er das Geschehen. Was vielleicht naiv aussieht, wird so Herausforderung zur intensiven Beschäftigung mit dem altbekannten Bildthema. Bewusst weicht er von der biblischen Vorlage ab und verbindet sie mit anderen biblischen „Geschichten“, um neue Sichtweisen zu ermöglichen.
Ganz allein steht der verlorene Sohn in der leeren Mitte des dreiteiligen Bildes. Hinter ihm die heimatlose Welt des Vergnügens und der Sünde, der er den Rücken gedreht hat, vor sich das Haus seines Vater und seiner Familie. Wie auf Wolken steht der Sohn zwischen zwei Welten im Niemandsland.
In gebückter Haltung steht er als Bittsteller vor seinem Vater: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und die Erde versündigt; ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“ (Lk 15,21) Während der biblische Text überliefert, dass der Vater ihn schon von weitem kommen sah, ihm voll Mitleid entgegenlief, umarmte und küsste, steht der Vater hier eher kühl, zurückhaltend und Distanz gebietend im blau-gelb gestreiften Mantel da. Seine linke Hand macht eine Geste, die sagen könnte: Was willst du hier? Du hast hier nichts mehr zu suchen!
Die Begegnung zwischen Vater und Sohn strahlt für mich eine für die Bibel untypische Hartherzigkeit aus, die mich gerade in dieser für ihre Herzlichkeit bekannten Situation schmerzlich berührt. Die Kluft scheint unüberwindbar zu sein, die Personen verharren auf ihren Standpunkten, der letzte zur Umarmung führende Schritt scheint nicht möglich zu sein.
Was geht hier vor? Da sind auch Menschen auf beiden Seiten, die mit ausgestrecktem Finger auf ihn zeigen, die vor Entrüstung schreien, belustigt auf ihn schauen, ja sogar mit Steinen auf ihn werfen. Die Ehebrecherin kommt mir in den Sinn, die von hartherzigen Männern in die Mitte gestellt wurde, um sie zu steinigen (Joh 8,1-11). Aber auch Jesus wollten die Juden wiederholt steinigen, weil seine Botschaft und sein barmherziges Handeln gegenüber den Sündern für sie unerträglich war (Joh 8,59; 10,31.39).
War das vielleicht die Absicht des Künstlers, den verlorenen Sohn mit Jesus in Verbindung zu bringen? Und die starre Haltung des Vaters mit der der Kirche in gewissen Dingen? Der gotische Spitzbogen, in dem er steht, könnte ein Hinweis sein. Dann dürften wir den verlorenen Sohn, und mit ihm Jesus par excellence, als Bettler der Barmherzigkeit sehen, als denjenigen, der um die Vergebung der Sünden bittet.
Hier wird nicht nur die Haltung des Vaters in Frage gestellt, auch diejenige der Spötter und Steinewerfer, letztlich auch unsere eigene Haltung gegenüber denjenigen, die Fehler gemacht haben und einen langen und schweren Umweg machen mussten, um die Wahrheit zu erkennen und ihr zu folgen.
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