Geistige Sprengkraft
Kraftvoll leuchtet weißes Licht aus dem zentralen Kreis in den Bildraum hinein. Ununterbrochen strömt es dem Betrachter entgegen. Die Lichterscheinung gleicht einer Sonne, doch strahlt sie in ihrer Reinheit eine unfassbar tiefe Unendlichkeit, Weisheit und Erleuchtung aus.
Strahlenförmig breitet sich das Licht aus: Zuerst unscharf, dann gelbe und rote Farben annehmend und schließlich formt es sich zu nach außen fliegenden, gezackten Blüten – der Gesamterscheinung nach an eine Pusteblume erinnernd. Wenn die Blüte des Löwenzahns verblüht ist, schließt sie sich zur Verwandlung und öffnet sich erneut als Pusteblume. In etwa zwei bis drei Tagen reifen im Verborgenen bis zu 300 Samen pro Blüte und auch die kleinen Stiele und Härchen wachsen. Bei trockenem Wetter öffnet sich die Blüte wieder als Pusteblume mit den vielen konzentrisch angeordneten Federbüschen oder Flugschirmen.
Diese im Bild nach außen fliegenden Federbüsche, welche die Samenkörner des Löwenzahns in sich tragen, besitzen eine gewaltige Sprengkraft. Zum einen hat die übergroße Fülle an Samen ein gewaltiges Potential, zum andern sprengen die haarigen Flugschirme mit ihrer Stoßkraft den die Mitte umgebenden schwarzen Ring. Bedrohlich dunkel, dick, massiv und gefühlt unzerstörbar hatte er das Licht abgeschirmt und das Leben an seiner Ausbreitung gehindert. Doch die federleichten Samenträger sprengen das Angst, Mutlosigkeit, Resignation und Aussichtslosigkeit auslösende Bollwerk der Begrenzung und Einschüchterung und folgen mit dem Licht ihrer Bestimmung, Leben in die Welt zu bringen. Vom Geist Gottes erfülltes Leben!
Bildhaft bringt die Künstlerin die an einem Ort versammelten, verängstigten und mutlosen Jünger zum Ausdruck, die durch Gottes Geist ermutigt und befähigt wurden, in die Welt hinauszugehen und den Menschen in ihrer Muttersprache das Evangelium zu verkünden (vgl. Apg 2,5-11). Die Samen tragenden Flugschirme verdeutlichen ihre Sendung, Gottes Wort als Multiplikatoren zu den Menschen zu tragen, damit es in ihrem Lebensfeld einem Samen gleich reiche Frucht bringe (vgl. Mk 4,20): Lebensfreude, Begeisterung, Freiheit. Die netzartige Hintergrundstruktur lässt ein Beziehungsnetz wahrnehmen, das daraus wächst und in der Tiefe Halt gibt
Das Pfingstereignis wird hier symbolisch als Fest der Bewegung, der Befreiung und der Erneuerung inszeniert. Es gibt keine verschlossenen Bereiche mehr. Kirche wird hier als ein von Gott her bewegter Raum der Veränderung dargestellt, stets im Auf- und Ausbruch über sich hinauswachsend, auf die Menschen und ihre Bedürfnisse eingehend. Ein Raum mit Leucht- und Sprengkraft – weit über die menschlich engen Sichtweisen und Verständnismöglichkeiten hinaus, der alle Grenzen immer wieder überwindet. In diesem Sinne ist es notwendig, auch auf die Kirche nicht die eigenen engen und moralischen Vorstellungen zu projizieren, was sie zu sein und zu leisten habe, sondern selbst in irgendeiner Weise einen Beitrag zu leisten und damit einen Samen für einen Neubeginn zu säen.
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