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Hella Santarossa, Empfangen und geben, 2005
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Gott im Menschen

Befände sich das Glasfenster nicht in einer katholischen Kirche, käme wahrscheinlich niemand auf den Gedanken, seine Thematik mit Maria in Verbindung zu bringen. Denn es zeigt sich uns in abstrakten Formen: in einander überlagernden blauen Flächen in den Seitenbereichen, in transparenten Glasstäben in der Mitte. Die Dreiteilung springt ins Auge, ebenso die Verjüngung des hellen mittleren Bereiches. Die blaue Farbe mag an Maria erinnern, kann aber auch für die Nacht stehen oder als Farbe des Himmels interpretiert werden, welche die vertikale Lichtgestalt umgibt.

Dieser ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückte Bereich erscheint uns wie ein Lichtkorridor, der von oben nach unten das Glasfenster durchquert. Glasstäbe scheinen in dichter Fülle in ihm nach unten zu schweben. Die meisten sind transparent, einige gelb oder blau. Die Ansammlung von farbigen Stäben wie deren horizontale Anordnung erdet die „Niederkunft“ der Stäbe, gibt ihnen eine Basis. Der Lichtkorridor kann daher als Gefäß gesehen werden und – durch die Verengung in der Mitte – als vereinfachte Darstellung der weiblichen Taille.

Dadurch wird auch in der Mitte des Glasfensters die Sicht auf Maria frei, welche durch die Botschaft des Engels in ihrer Körpermitte das „Licht der Welt“ (Joh 8,12) empfangen und ihm eine temporäre Wohnstatt geschenkt hat. Durch das weiße Licht, die schwebende Anordnung der Glasstäbe sowie durch die drei Glasschichten wird wiederholt auf die Transzendenz Gottes hingewiesen, der sich durch die Menschwerdung seines Sohnes sinnlich erfahrbar gemacht hat. In der Stabform kommt einerseits die Botschaft des Herolds zur Sprache, andererseits transportiert der Glasstab selbst das Licht von einem Ende zum anderen.

Die Vielzahl der Stäbe mag auf die Gnadenfülle hinweisen, mit der Maria durch Gott gesegnet worden ist. Der einzelne Stab hingegen auf Jesus, der in seinem öffentlichen Leben immer wieder auf seinen Vater hinwies und sich bezüglich seiner Mission transparent zeigte: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat, und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat. Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt.“ (Joh 12,44-46)

Das Glasfenster von Hella Santarossa lädt zur Meditation über das Werden Gottes im Menschen Maria wie in uns ein. Die schwebenden Stäbe suggerieren ein aktuelles Geschehen. Die über das ganze Fenster verstreuten kleinen Glasstücke in kristallinen Formen lassen an die Stille des Schneefalls denken und dass sich die Menschwerdung Gottes leise und kaum wahrnehmbar nur dem aufmerksamen, wachen Geist offenbart.

In der gleichen Kirche befindet sich von Hella Santarossa ein beachtenswertes Auferstehungsfenster von 120 qm (Detailansicht der Glaslichtstäbe).

Patrik Scherrer, 17.12.2005

Hella Santarossa

Empfangen und geben
Entstehungsjahr: 2005
Kath. Kirche St. Florian, München-Riem, Glasfenster, 300 x 500 cm, Tiefe 30 cm
9 Trägerscheiben auf drei Ebenen angeordnet, appliziert mit mundgeblasenem kobaltblauem Antikglas und etwa 100 runden Glasstäben mit Durchmesser 4-6 cm und Längen 35-50 cm
Foto: Patrik Scherrer
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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