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Winfried Muthesius, Stern, 1995
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Stern

Sterne gehören zum Nachthimmel … und in die Advents- und Weihnachtszeit.

Der Stern von Winfried Muthesius will jedoch weder an den einen Ort noch in die andere Zeit passen. Grob und unförmig ist das Holzstück aus einem größeren Ganzen herausgeschnitten worden. Die Umrisse des Sterns sind mit Gewalt in die mit Bitumen bedeckte Oberfläche des Fragmentes eingearbeitet. Bitumen blättert ab, stellenweise ist der gelbe Grund sichtbar.

Dieser Stern kündet nicht von der Schönheit der Schöpfung und schon gar nicht vom hellen Licht, dem die drei Weisen zum Stall in Bethlehem gefolgt sind. Durch die sechs Ecken ist er wohl als Davidstern erkennbar und spannt den Bogen nach Israel, dem Geburtsland von Jesus.

Aber aus diesem Stern spricht Gewalt, Leid, Schmerz. Er erinnert mich an ungepflegte Wohnungen, wo die Farben abblättern und darunter liegende Schichten und Zeiten sichtbar werden. Dieser in die Wand gehauene Stern scheint wie eine Ausprägung des in diesem Raum stattgefundenen Lebens zu sein. Die Axthiebe kommen mir wie Einschüsse von Gewehrkugeln vor …

Mahnend und bedrückend erinnert dieser Stern an die rassistischen Gewalttaten an den Juden. Was geschehen ist, darf nicht überstrichen werden oder in Vergessenheit geraten. Die Katastrophe muss in unserem Gedächtnis eingekerbt bleiben, damit wir sensibel für Gewalt  und Ungerechtigkeit in der Welt bleiben.

Nach wie vor werden Menschen wegen ihrer Herkunft und ihres Glaubens verfolgt, gefoltert und getötet. Nach wie vor leben Menschen unter unmenschlichen Bedingungen, werden ihnen Würde und Grundrechte aberkannt, befinden sie sich heimatlos auf der Flucht, um zu überleben.

Hat Gott seinen Sohn nicht ihretwegen in die Welt gesandt? (vgl. Lk 4,18; Jes 42,3) Soll nicht gerade ihnen Gerechtigkeit von höchster Stelle widerfahren? Wird Gott nicht ihretwegen als Retter erwartet – auch heute noch? Sehnsüchtig, erwartungsvoll, adventlich?

Viele Hilfswerke machen besonders in der Advents- und Weihnachtszeit auf ihre Arbeit aufmerksam. Wie der Stern von Winfried Muthesius rütteln sie an unserem Gewissen, damit wir nicht untätig der Ungerechtigkeit und dem Leid in der Welt gegenüberstehen, sondern unseren Not wendenden Beitrag zu einer menschenfreundlicheren Welt leisten. Damit nicht nur einmal im Jahr bei den Reichen Weihnachten wird, sondern jeder Tag bei allen Menschen durch gegenseitigen Respekt und durch Fürsorge ein weihnachtliches Gepräge erhält.

Patrik Scherrer, 18.12.2004

Winfried Muthesius

Stern
Entstehungsjahr: 1995
Bitumen, Öl auf Holz, 166 x 115 cm
Foto: Rudolf Schneider, Trier, Dom- und Diözesanmuseum
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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