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Birgit Dunkel, Madonna, klassisch, 2001
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Stillende Mutter

Eine Mutter hält ihr neugeborenes Kind zur Nahrungsaufnahme an ihre Brust. Ein Bild, das uns immer wieder mal begegnet und doch nichts Alltägliches ist. Wieviel Haut die Frauen unserer Zeit auch in der Öffentlichkeit zeigen, das Stillen eines Kleinkindes geschieht meistens zurückgezogen in einem ungestörten Raum.

Wir schauen seitlich auf die sitzende Frau und das Kind auf ihrem Schoß. Mit dem rechten Arm hält sie es an die entblößte Brust, während ihre linke Hand beschützend auf dem Kind ruht. Der Blick der Frau geht seltsam in die Leere. Haben die vergangenen Monate sie so mitgenommen und ausgelaugt, dass sie kaum mehr Energie hat, das Kind zu nähren? Oder ist sie mit ihren Gedanken in einer anderen Welt? Geht sie im Geist nochmals die beschwerlichen Monate der Schwangerschaft und der Geburt durch? Oder überlegt sie sich, was wohl aus dem Kind werden wird?

Mutter und Kind sind nur mit drei Stoffstücken bekleidet: einem roten Samt um den Hüftbereich der Frau, einem blauen schleierartigen Tuch über ihrem Hinterkopf und dem Rücken. Ein heller glänzender Stoff ist als Windel um die Hüfte des Kindes geschlungen. Das Bild könnte einfach ein schönes Portrait einer Mutter mit ihrem Kind sein, doch die „Inszenierung“ lässt an Maria denken, auch wenn im Vergleich mit herkömmlichen Mariendarstellungen mit der entblößten Schulter irritierend viel nackte Haut gezeigt wird.

Im blauen Schleier leuchtet die Farbe des Himmels auf. Er weist auf den göttlichen Vater hin, der ihr durch seinen Heiligen Geist das Kind anvertraute (Lk 1,35). Der Schleier erscheint zudem wie ein bergendes Zelt, das die Frau und ihr Kind vor den Gefahren der sie umgebenden Dunkelheit beschützt (Ps 27,6). Auch die Dreieckskomposition, durch den waagrechten Unterarm in ihrer Basis betont, lässt an den dreifaltigen Gott denken. Durch Maria hat er in Jesus Christus sein „Zelt“ auf unserer Erde aufgeschlagen und einige Zeit unter uns gewohnt. Wie wir ist er aus einer Mutter hervorgegangen und Mensch geworden. Durch die mütterliche Brust ist er in den ersten Monaten ernährt, durch ihre fürsorglichen Hände ist er gepflegt worden, durch ihre aufmerksame Nähe hat er Liebe und Geborgenheit erfahren.

Das Bild mag Gedanken an unsere ersten Lebensjahre wecken … und Dankbarkeit für alles, was unsere Mutter für uns getan hat. Und die Mütter mag das Bild vielleicht an die Zeiten des Stillens erinnern … und an die einzigartigen Momente, die sie dadurch erleben durften.

Diese Bildinterpretation gibt nicht die Intention der Künstlerin wieder, sondern stellt die subjektive Leseart des Autors und nur einen Zugang unter anderen möglichen dar.

Das Madonnen-Projekt von Birgit Dunkel umfasst insgesamt 35 fotografische Arbeiten, welche alle im Katalog abgebildet sind: Birgit Dunkel, „madonnen“, Internationalismus Verlag Hannover 2002, ISBN 3-922218-74-1, Euro 15,-. Erhältlich im Buchhandel oder bei der Künstlerin.

Patrik Scherrer, 31.12.2005

Birgit Dunkel

Madonna, klassisch
Entstehungsjahr: 2001
aus dem „Madonnen“-Projekt mit insgesamt 35 fotografischen Arbeiten

Digitalprint auf Leinwand
170 x 115 cm

© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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