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Ottmar Hörl, Unschuld, 1997
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Unschuldig?

Eine schwarze Seifenschale. Sie wäre nichts Spektakuläres, hätte sie nicht den weißen Aufdruck „UNSCHULD“ auf dem Deckel und wäre das gleiche Wort nicht in die Seife eingelassen. Damit erhalten die Seife und ihre Schale über den alltäglichen Gebrauchswert hinaus eine ethische Bedeutung. Die Schuldfrage wird aufgeworfen, die Rechtfertigung und die Reinigung angesprochen.

Auch wenn Pilatus mit seiner bedeutsamen Geste des Händewaschens für alle sichtbar seine Unschuld zum Ausdruck gebracht hat bei der Verurteilung von Jesus (Mt 27,24) und auch der Psalmist betet: „Gott sei mir gnädig nach Deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen. Wasch meine Schuld von mir ab, und mach mich rein von meiner Sünde.“ (Ps 51,3-4), so stellt sich doch angesichts dieser Seifenschale neu die Frage: Kann Schuld so einfach wie Schmutz abgewaschen werden?

Die weiße Schrift suggeriert, dass unter der schwarzen Schale – Symbol für die Schuld, die Sünde und alles, was verborgen gehalten werden will –, die Unschuld, die Wahrheit und Reinheit zu finden ist. Das Verlangen ist groß und des Psalmisten Gebet ist Ausdruck für die Sehnsucht vieler Menschen.

Wer die Seifenschale öffnet, streift bildlich gesehen bereits dieses belastende Dunkle der Schuld ab. Ihm zeigt sich (aber auch nur das erste Mal) die unberührte „jungfräuliche“ Seife. Wer mit Schuld beladen ist, kann sich wohl die Hände waschen, den Schmutz und den üblen Geruch abwaschen. Durch die Duftstoffe in der Seife werden auch seine Hände wieder gut riechen. Aber die Seife selbst wird ihre Unschuld verlieren durch des Benutzers Unreinheit.

Wer darf dann diese Seife benutzen? Nur diejenigen, die tatsächlich ohne Schuld sind, die Unschuldigen, die ein reines Herz haben ? Oder geht es dem Künstler bei diesem Kunstwerk gar nicht darum, dass jemand die Seife benutzt? – Kunstwerke sind doch unantastbare Ausstellungsobjekte und keine Gebrauchsgegenstände!

Aus eigener Kraft oder mit einem Stück Seife kann keine Schuld in Unschuld gewandelt werden. Der Psalmist wendet sich deswegen an Gott und sein grenzenloses Erbarmen (s. a. Ps 36,6). Er weiß, nur bei Gott ist Vergebung in Fülle. Und er weiß auch, dass Schuld nicht außen am Menschen anhaftet, sondern das Herz verschmutzt. Deshalb betet er: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“ (Ps 51,12)

In dem Sinne kann diese Seifenschale eine Ermutigung sein, in Zeiten der Versuchung ein reines Herz zu bewahren, um Gott nicht aus den Augen (Mt 5,8) – und durch ihn die wahren Werte mitmenschlichen Umgangs nicht zu verlieren.

Patrik Scherrer, 26.02.2005

Ottmar Hörl

Unschuld
Entstehungsjahr: 1997
Multiple, Seife (5,2 x 8 x 3,2 cm) mit Aufdruck in schwarzer Kunststoffdose ( 6,7 x 10 x 4 cm)
mit weißem Schriftaufdruck, geplante Auflage 82.000.000 Exemplare
Foto: P. Scherrer
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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