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Margaret Marquardt, , 2011
© Margaret Marquardt

verBUNDen

Die Holzfigur von Jesus am Kreuz wurde 2011 in der evangelischen Stadtkirche in Tuttlingen im Rahmen der Ausstellung „malhalten“ von der Künstlerin mit weißen Stoffbinden umwickelt. Die Gestalt des Gekreuzigten ist noch deutlich sichtbar, sie befindet sich auch noch am Kreuz und in der gewohnten Umgebung (Ansicht im Kirchenraum). Aber durch den Verband wurde sein geschundener Körper verhüllt und damit den Blicken der Betrachter entzogen. Manch einer mag durch diese Veränderung erschreckt reagieren und vielleicht auch an Blasphemie denken.

Doch die Künstlerin veränderte durch ihre Intervention die Botschaft des Kreuzes nicht. Was nach Verfremdung ausschaut, ist in vielen Kirchen ein traditioneller Brauch während der Fastenzeit. Vor allem in katholischen Regionen werden die Kreuze mit einem violetten Tuch verhüllt, den Blicken der Gläubigen entzogen, damit sie nach dem „Bilderfasten“ das Kreuz und seine Botschaft mit neuen Augen sehen können.

Allerdings hat Margaret Marquardt die Verhüllung variiert, in dem sie dem Kreuz nicht nur ein „Fastentuch“ vorgehängt hat, sondern sich dem Corpus Christi zugewendet hat. Mit den Mullbinden hat sie den „Leib Jesu“ wie einen Verletzten verbunden (Detailansicht). Dadurch, dass kein Körperteil mehr zu sehen ist, erscheint er sogar als Schwerverletzter. Der Körper wird durch den Verband nicht nur geschützt, sondern auch stabilisiert. Die Verbindungen zum und mit dem Kreuz geben ihm wie bei jemandem mit einem Arm- oder Beinbruch zusätzlichen Halt.

Die Stoffbinden erzählen auch, dass sich jemand der Verlassenheit des Gekreuzigten angenommen hat. Durch die Intervention der Künstlerin wurde dem Gekreuzigten Zuwendung und Fürsorge zuteil. Er erhielt ein notdürftiges, sauberes „Kleid“, das seine Blöße bedeckt. Die Hautfarbe ist dem Weiß der Mullbinden gewichen und signalisiert Heilung. Heilung der körperlichen Wunden im Besonderen, doch auch umfassende Heilung aller verletzten Beziehungen. Arnold Stadler schreibt dazu in seinem Buch zur Arbeit von Margaret Marquardt (S.19): „Das Heile ist das Ganze. Verbinden ist immer Heilen. Ein Joint Venture aus Jenseitigem und Diesseitigem, aus Oben und Unten, Göttlichem und Menschlichem, Heilem und Heilungsbedürftigem, von Innen und Außen, hier und dort. Dem Heilsverlangen des Menschen und der ganzen Schöpfung entspricht das Heilsangebot des Kreuzes, das von der Künstlerin gesehen und einbezogen wird in ihr Heilskonzept. Der Lichtstrahl [der vor dem Kreuz vertikal den Kirchraum quert] vergegenwärtigt den Vorrang des Gnadenhaften vor dem Machbaren des Heils und des Heilens. In diesem Licht ist auch der Lichtstrahl zu sehen.“

Als rotes Band flankiert dieser „Lichtstrahl“ die Verhüllung, mit seiner Farbe an das Blut erinnernd, das pulsierende Leben, die Macht der Liebe. Eingespannt als Installation zwischen Kirchendecke und Boden, kommt es doch klar von oben herab, göttliche Verbundenheit mit seinem Sohn und durch ihn mit allen Menschen symbolisierend. Es bringt grundsätzlich den Bund, die Verbundenheit zwischen Gott und den Menschen zur Sprache. Im Zusammenhang mit dem Gekreuzigten wird insbesondere seine Wirkmächtigkeit bei allen Verachteten, Leidenden und Sterbenden sichtbar. (Detailansicht)

Das weiße Verbandsmaterial verweist über das menschliche Erbarmen hinaus auf das Erbarmen Gottes. Er ist und bleibt allen Menschen nahe, selbst in ihrer größten Verlassenheit. Der verbundene Körper verbirgt und offenbart gleichzeitig sein geheimes Wirken. Dies wird auch in der Ähnlichkeit des Verbundenen mit dem Kokon einer Raupe deutlich, in dessen Verborgenheit sie in einen Schmetterling verwandelt wird und sich ihr eine vollständig neue Lebensdimension eröffnet.

So deutet der Verband die anstehende Verwandlung an. Der Körper ist noch da, aber verborgen, nur in einer äußeren Form sichtbar. Der Verbundene stellt gewissermaßen eine Karsamstagsexistenz (vgl. Hans-Ulrich Wiese) dar, die Zeit – und den Zustand – zwischen Tod und Auferstehung charakterisierend, in der das Vergangene verhüllt und das Kommende angedeutet, aber noch nicht offenbar ist.

Dieser Arbeit von Margaret Marquardt hat Arnold Stadler ein Buch gewidmet. Es trägt den Titel: Da steht ein großes JA vor mir. Es ist 2013 im Verlag Jung und Jung erschienen und umfasst 104 Seiten sowie 14 farbige Abbildungen. ISBN-10: 3990270397.

Patrik Scherrer, 16.03.2013

Margaret Marquardt

Entstehungsjahr: 2011
Installation in der evangelischen Stadtkirche Tuttlingen
© Margaret Marquardt
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