Verdichtete Kraft
Vor einem blauen Hintergrund wirbelt in einem lichten Bogen eine weiße Wolke durch die Luft. So könnte es gesehen werden, wenn man den blauen Hintergrund als Himmel betrachtet. Dennoch stellt sich die Frage, was das Blau sein könnte. Die Farbe könnte ebenso für das Weltall, für Wasser oder etwas anderes stehen. Die weißen Lichtpunkte lassen sich durch ihre Unschärfe auch nicht genau identifizieren. Sie erinnern an Sterne, doch ihre Verdichtung lässt den Betrachter die Idee verwerfen. Die schmalen langen Stiele an den Lichtpunkten weisen vielmehr auf etwas Blumenartiges hin, ja von den Proportionen her gar auf Gänseblümchen.
Tatsächlich hat die Künstlerin hunderte von Gänseblümchen auf die beiden mit grünem Ammoniumeisencitrat und Kaliumhexacyanidoferrat fotosensibilisierten Büttenpapiere gelegt und sie dann mit Sonnenlicht belichtet. Bei diesem Fotogramm blieben die Stellen mit den Blumen unbelichtet, wodurch die blaue Farbe der Chemikalien anschließend ausgewaschen werden konnte. Der blaue Grund entstand bei diesem Cyanotypie oder auch Eisenblaudruck genannten Verfahren dadurch, dass die Eisenverbindung in den belichteten Bereichen zweiwertig und wasserunlöslich wurde. So entsteht bei dieser künstlerischen Technik eine Umwandlung, die nicht von Künstlerhand, sondern durch das Licht geschaffen wurde. Die Künstlerin musste die Umwandlung im Prozess des Auswaschens nur noch sichtbar machen.
Aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Chemikalien mit Licht und Wasser ist etwas Luftiges entstanden, etwas Beschwingtes, Frohes und Hoffnungsvolles. Die doppelte Verwandlung durch das Licht (Gänseblümchen in Lichtstellen, Eisen in blaue Fläche) rief einen mystischen Lichtertanz ins Leben, ein verdichtetes Sternenmeer, das wie ein segensreicher Regen langsam auf die Erde niederschwebt, ins Wasser fällt und in die Tiefe der Materie sinkt.
Die Zartheit des segensreichen Blütenregens erinnert an das Pauluswort im Römerbrief 5,5: “Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.” Ist das nicht eine schöne Vorstellung, das lichte Funkeln als Gottes Segen zu sehen, der gerade in der menschlichen Nacht wie ein Feuerwerk funkelnd und niedergehend meine innere Dunkelheit erhellt, meiner Mutlosigkeit Hoffnung schenkt, meine Lähmung durch das Feuerwerk berührt und in Bewegung wandelt? Das Diptychon bringt in seiner Zweiteilung gut dieses Berührende, Verwandelnde und Verbindende zum Ausdruck. So wie Jesus sich bei der “Heilung des Gelähmten” (Mk 2,3-12) des Gelähmten annahm, zu ihm stand und ihm durch die Vergebung der Sünden in der Tiefe half – was seinen ganzen Körper gesunden ließ und ihm damit wieder die Bewegungsfreiheit schenkte.
Auch der Psalm 65 (2-14) spiegelt diese Sicht und weitet sie auf die ganze Schöpfung aus. Der Beter formte seine Worte in einen eindrucksvollen Lobpreis auf Gott als Retter und Schöpfer:
Dir ist Schweigen Lobgesang,
Gott, auf dem Zion,
dir erfüllt man Gelübde.
Du erhörst das Bittgebet.
Alles Fleisch wird zu dir kommen.
Sündenlasten, die mir zu schwer sind,
unsere Frevel, nur du kannst sie sühnen.
Selig, den du erwählst und in deine Nähe holst,
in deinen Höfen darf er wohnen.
Wir wollen uns sättigen am Gut deines Hauses,
am heiligen Gut deines Tempels.
Furcht gebietende Taten vollbringst du
und gibst uns Antwort in Gerechtigkeit,
du Gott unsrer Rettung, du Zuversicht
aller Enden der Erde und der fernsten Gestade.
Du gründest die Berge in deiner Kraft,
du gürtest dich mit Stärke.
Du stillst das Brausen der Meere,
das Brausen ihrer Wogen, das Tosen der Völker.
Alle, die an den Enden der Erde wohnen,
erschauern vor deinen Zeichen;
das Kommen des Morgens und des Abends
erfüllst du mit Jubel.
Du hast für das Land gesorgt, es getränkt,
es überschüttet mit Reichtum.
Der Bach Gottes ist voller Wasser,
gedeihen lässt du ihnen das Korn,
so lässt du das Land gedeihen.
Du hast seine Furchen getränkt,
seine Schollen geebnet,
du machst es weich durch Regen,
segnest seine Gewächse.
Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt,
von Fett triefen deine Spuren.
In der Steppe prangen Auen,
es gürten sich die Höhen mit Jubel.
Sie jauchzen, ja, sie singen.
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