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Christopher Winter, Verhör, 2000
© Christopher Winter

Verhör

Nicht viel in diesem Bild lässt auf eine Kreuzwegstation schließen. Hier scheint es sich vielmehr um ein Kinderspiel zu handeln, wo ein Junge auf einem erhöhten Bürosessel den Chef spielt, ein Zweiter den gefesselten Angeklagten, zwei weitere die mit Pistolen und Maschinengewehr bewaffneten Soldaten. Die in den grellen Farben der Pop Art dargestellten Kinder sind in sportlicher Freizeitkleidung, haben rote Backen und schauen sich gegenseitig mit offenen Gesichtern an. Es kann sich nur um ein Spiel handeln …

… wenn da nicht Goldflächen und die anderen Bilder von Christopher Winter wären! Da hat ein Künstler es tatsächlich gewagt, den Kreuzweg mit Kindern darzustellen, stilistisch wie in einem Comic. Ob das nicht anstößig ist, die Grenzen des Respekts überschreitet? – Diese Bilder sind sicher eine gewaltige Herausforderung an unsere bekannten, durch Jahrhunderte tradierten und auch abgeschliffenen „Kreuzwegbilder“. Sie wollen anstößig sein, uns zum Stolpern bringen, zum Innehalten, Nachdenken anregen und durch ungewohnte Darstellungsweisen neue Sichtweisen ermöglichen.

Dabei hat Christopher Winter bewusst Bildelemente aus Bildern von Fra Angelico, Leonardo da Vinci und Piero della Francesca verwendet. In der Verbundenheit mit dem Geist der Renaissance hat er schöne Bilder geschaffen, was im Kontext der Gewalt irritiert. Will der Künstler das Leiden Christi beschönigen, mit Kindern verniedlichen?

Ich glaube nicht. Dafür spricht trotz allem Spielerischen zuviel Ernsthaftigkeit aus seinen Bildern. Die Referenz an die alten Meister ist unübersehbar, die vergoldeten Flächen lassen zu sehr ein heiliges Geschehen spüren. Passionsspiele kommen mir in den Sinn. Begeistert spielen da Erwachsene – also nicht nur Kinder –, die Passion Jesu Christi nach, weil sie am eigenen Leib (in der Rolle der einen oder anderen Person) die Erfahrung des Leidensweges machen wollen. So können die Kids eine Einladung an uns sein, den Kreuzweg in den Andachten nicht nur äußerlich mitzuschreiten, sondern wie bei einem Theater so zu verinnerlichen, dass wir die dargestellten Personen von innen heraus spüren und verstehen.

Vielleicht ist der Künstler deswegen von der üblichen Bildfolge des Kreuzweges abgewichen, um ein erneuertes inneres Mitgehen zu ermöglichen. Dem Bild vom Verhör durch Pilatus kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Weil Jesus die Frage des Pilatus „Bist du der König der Juden?“ bejaht (Mk 15,2),  wird er gedemütigt und zu Tode gekreuzigt. Die violetten Berge im Bild zwischen Jesus und Pilatus künden den steinigen Leidensweg an. Überstrahlt werden sie durch das Gold, das für die Herrlichkeit Gottes steht und durch den Heiligenschein Jesus als den Gottessohn auszeichnet, der für uns diesen Weg geht. Auch das Dreieck auf seinem T-Shirt weist auf seine Zugehörigkeit zur Dreifaltigkeit hin.

Der sitzende Junge mit der umgedrehten Basketmütze ist durch das „PP“ als Pontius Pilatus ausgewiesen. Mit seiner linken Hand zeigt er wie mit einem Revolver auf Jesus. Pilatus will endlich die Wahrheit hören über diesen Menschen. Im spannenden (von den Bergen unterstützten) Blickkontakt der beiden Hauptpersonen wird Jesu aufrichtige Antwort sichtbar: „Du sagst es.“

Im Gegensatz zum Glanz des Goldhintergrundes verblasst die farblich sehr ähnliche Mütze des Pontius Pilatus. Ganz unscheinbar spricht der Künstler damit die in Johannes 19,10-11 diskutierte Machtfrage an und sagt in seiner Sprache: Die Macht des Pontius Pilatus kommt nicht an diejenige von Gott heran. Zwei weitere Details führen die Gedanken weiter. Die schwere Halskette des Pilatus erinnert mehr an ein Absperrschloss als an ein Schmuckstück  (auch wenn die Goldkette wie die umgedrehte Basketmütze von Gangland-Chefs in Los Angeles und Miami oft als Kennzeichen ihrer Gang getragen wird)! Ist er vielleicht seinerseits Gefangener? Gefangener des Bösen? Dann wären auch die beiden aus der Mütze hervorstehenden Haarsträhnen nicht ganz zufällig, sondern vielmehr stille Hinweise darauf, dass sich im Verhör nicht nur Jesus und Pilatus gegenüber- stehen, sondern letztlich Gott und sein Widersacher.

Der Bürostuhl versetzt diese Szene dann in die Chefetage eines Konzerns und verbindet sie mit unserem Alltag. Kommt das Böse nicht überall in unserem Leben vor und fordert von uns Stellungnahmen in unserem Tun und Denken? Stellungnahmen zur Wahrheit, zum Guten, zu Gott – auch wenn die Folgen unbequem sind?

Weitere Stationen des Kreuzwegs können auf der Website des Künstlers angeschaut werden.

Patrik Scherrer, 27.03.2004

Christopher Winter

Verhör
Entstehungsjahr: 2000
Acryl und Blattgold auf Holz, 80 x 100 cm
© Christopher Winter

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