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Jacques Gassmann, Diasporen, 2003
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Armut

Sind es Köpfe, menschliche Gesichter, die mir in diesen vier Zeichnungen begegnen? Tiefschwarz sind sie auf das hellbraune Material einer Kartonschachtel gezeichnet. Mit wenigen Linien, undeutlich, mit verwischten Grauschleiern wie mit markanten fleckengleichen Flächen.

Es sind keine schönen Gesichter, die mich da anschauen. Es sind vielmehr vier vom Elend gezeichnete Gesichter, unsauber, ungepflegt. Die mangelnde Hygiene hat ihre Spuren hinterlassen. Der Künstler hat sie schattenhaft und unscharf dargestellt, als hätten sie in der Gesellschaft bereits ihr Gesicht verloren.

Ähnlich wie der Karton, auf dem ihre flüchtige Erscheinung festgehalten wurde. Die Kartonschachtel war einmal etwas Wertvolles, Nützliches. Ein Gegenstand war mit ihm verpackt und vielleicht auch verschickt worden. Herunterhängende Klebstreifen kleben und hängen wie Zeugen dieser Reise am Karton. Nun hat er seinen Dienst getan und hätte weggeworfen werden sollen. Doch der Künstler hat ihn aufgehoben und für würdig befunden, das Trägermaterial seiner Zeichnungen zu werden. Er hat keine edle Leinwand gewählt, sondern einen alten, gebrauchten, wertlosen, unstabilen Karton.

Dadurch ist ein authentisches Kunstwerk entstanden. Trägermaterial und Dargestelltes haben die gleiche Aussage. Dadurch ist seine Arbeit auch unbequem geworden. Denn er stellt Gesichter, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, quasi versteckt werden, wieder in den Mittelpunkt. Portraits von Menschen, die auf solchen Kartons unter einer Brücke schlafen, sich mit ihnen notdürftig vor Kälte und Wind schützen.

Es ist gut, wenn uns solche Anblicke nicht unberührt lassen, sondern immer wieder neu zur wirklichen Begegnung mit den Armen bewegen, um sie durch Zuwendung und Teilen aus ihrer Ausgrenzung herauszulösen und wieder in die gesellschaftliche Gemeinschaft zu integrieren. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ sagt Jesus zu seinen Jüngern (Mt 25,40) und „wer ein solches [Menschen-] Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (18,5) Wer Jesu Wort beherzigt, darf die Hoffnung in sich tragen, dass wieder Leben, Farbe und Schönheit in die Gesichter der Armen einziehen werden, die dass die heimatlos auf dem Bildgrund schwebenden Köpfe wieder Anschluss an ihre Körper erhalten.

Patrik Scherrer, 27.07.2005

Jacques Gassmann

Diasporen
Entstehungsjahr: 2003
Tusche auf Karton 50 x 123 cm Foto: Thomas Buhr
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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