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Markus Lüpertz, Westrosette in St. Ulrich, Regensburg, 2023
© Markus Lüpertz

Aufstieg ins Elysium

In der gotischen Westrosette der Regensburger Ulrichskirche strahlen die bunten Farben vom runden Mittelfeld über zwei mal zwölf konzentrisch angeordnete Glasscheiben nach außen. Im Zentrum schaut ein frontal dargestellter Engel (mit großer Ähnlichkeit zum berühmten lachenden Engel im Dom nebenan) auf den Betrachter hinunter. Er ist von zwölf intensiv blauen Perlen mit roten Spitzen umgeben. Die auf die Mitte ausgerichteten Maßwerkelemente werden von dünnen grünen, roten und blauen Strahlen begleitet, die wie Lebensadern nach außen führen.

Die offenen Hände des blondgelockten Engels liegen auf der unteren blauen Hälfte der Rosette auf, die leicht gewölbt an die Rundung der Erde erinnert. In deren blauen Feldern sind oben sechs expressiv gemalte Gesichter zu erkennen, unten drei Totenköpfe. Die dunkle Farbe und der finstere Gesichtsausdruck der Köpfe lassen an Menschen in irdischer Dunkelheit denken, an Umnachtete und Unerlöste.

Oberhalb der einladend ausgebreiteten Arme des Engels sind die Farben heller und bunter. Sieben Köpfe und drei Händepaare verteilen sich auf die Felder. Erhobene Hände und frohe Gesichter künden von glücklichen Menschen, von Erlösten. Sie sind bereits vom Engel mit wolkenartigen Flügeln an den Schultern zum Elysium erhoben worden, in das Land der Glückseligen, ins himmlische Licht. Sie leuchten wie Edelsteine.

Man könnte die Beobachtungen dabei bewenden lassen. Doch erstaunt es, dass der Künstler – wenn er dem Engel schon die Körperhaltung des Gekreuzigten gibt – nicht gleich Jesus als Auferstandenen und Schlüssel zum Himmelstor ins Zentrum gesetzt hat. Die Bibel erzählt, dass nach dem Sündenfall Cherubim das Tor zum Paradies bewachen (Gen 3,24) und an der Schwelle zur Endzeit Engel die Menschen ermahnen und offenbaren, was bald kommen wird (Offb 1,1; 22,6.16). Somit kann der Engel mit ausgebreiteten Armen Jesu Platz einnehmen. Er ist vom gleichen intensiven Himmelsblau wie der schmale blaue Streifen ganz oben umgeben, der wie ein Sternenhimmel aussieht und nach dem sich drei Händepaare sehnsüchtig ausstrecken. Der Engel erhebt die Menschen ins himmlische Licht, auf die Insel der Glückseligen, aber er vermag sie nicht zu erlösen oder zum Vater zu führen und ihnen damit eine ewige Heimat im Himmel anzubieten.

Das Elysium, die Insel der Glückseligen, wird so aus christlicher Sicht eine Zwischenstufe zum Himmel: sie ist die helle, obere Seite der Welt, der lebenswerte und lebensfrohe Teil. Wie in der griechischen Mythologie sind Himmelsboten zu den Menschen in der Dunkelheit gesandt, um sie aus ihren misslichen Lebensumständen herauszuholen, sie mit ausgebreiteten Armen willkommen zu heißen, ihnen auf die Füße zu helfen, sie in die Freiheit zu führen und hinein in das Licht der Gesegneten, Glücklichen, Lebenden.

Die Abwesenheit von Jesus fordert die Anwesenheit anderer Himmelsboten ein: Uns! – Alle, die an Gott glauben und eine Sendung in sich spüren, in welcher Form auch immer, den Be-nach-teiligten so zu helfen, dass sie gleichberechtigte Beteiligte an den Gütern und dem Wissen dieser Erde werden. Dabei gilt es nicht, die ganze Welt zu umarmen, sondern dem Einzelnen und Nächsten konkrete Hilfe zukommen zu lassen. Von so einem Handeln geht Segen aus, ähnlich wie die Hintergrundflächen der Engelshände golden leuchten.

So wie Jesus damals seine Jünger zu Menschenfischern, zu begeisterten Menschensuchern und -fängern berufen hat, um möglichst alle am Reich Gottes teilhaben zu lassen, so sind WIR heute berufen, ihren Auftrag engelsgleich in unserem Lebenskreis auszuführen und Menschen von der Dunkelheit ins Licht zu begleiten.

 

Patrik Scherrer, 09.09.2023

Markus Lüpertz

Westrosette in St. Ulrich, Regensburg
Entstehungsjahr: 2023
Westrosette in der gotischen Kirche St. Ulrich, Regensburg Bleiverglasung, Derix Studios, Traunstein, Foto: Julia Knorr
© Markus Lüpertz
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