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Lisa Huber, Es ist ein Ros entsprungen - Dornenkrone, 2019-21
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Ein himmlisches Angebot

Eine blaue Fläche verdeckt den barocken Hochaltar und erfordert einen Wechsel der Sehgewohnheiten. Durch das zeitweise Verhüllen des Gewohnten sollen die Gläubigen die Chance zu einer Neuentdeckung und einer neuen Sicht auf Gott erhalten und damit eine Umkehr zu Ihm. Das hängende Fastentuch eröffnet mit seiner blauen Farbe einen universellen Blick in die unergründlichen Weiten des Himmels oder Tiefen des Meeres. Seine halbtransparente Struktur lässt spielerische Lichteffekte zu und vermag damit an die Bedeutung von lebendigem Wassers für das Leben hinzuweisen.

Von oben senkt sich mittig ein intensiveres blaues Band in die Tiefe und breitet sich zwischen den beiden seitlichen Heiligenfiguren horizontal aus. In diesem auf dem Kopf stehenden T (Tau oder Kreuz) zieht ein helles Tondo den Blick auf das in einem Rosenstrauch sitzende nackte Jesuskind.  Auf der rechten Seite ist es von drei Rosenblüten umgeben: einer großen, voll aufgeblühten, darüber einer großen Knospe und Jesus selbst hält einen von der voll aufgeblühten Rose ausgehenden Stiel mit einer verschlossenen Knospe wie ein Zepter vor seinem Körper. Die drei Rosenblüten symbolisieren die Dreifaltigkeit. Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ (GL 334/EG 30) ist ein Zugang zu diesem ungewöhnlichen Fastentuch. „aus Gottes ew‘gem Rat hat sie ein Kind geboren …“ heißt es in der zweiten Strophe und so sieht man das Jesuskind als Menschensohn zwischen der symbolischen Darstellung von Gott Vater in der aufgeblühten Rose und der haltgebenden Hand Mariens. Ebenso passt die dritte Strophe: „ Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet uns von Sünd und Tod.“

In mir begann die zweite Strophe des Liedes „zu Bethlehem geboren“ von Friedrich Spee (GL 239/EG 32) bei der Betrachtung des Fastentuches zu singen. Denn die große blaue Fläche und das leuchtende Tondo fokussieren den Blick auf Jesus und auf seine Position in meinem Leben: So klang in mir: „In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab; mein Herz will ich ihm schenken und alles was ich hab. Eia, eja, und alles was ich hab.“ Erschrocken über die weihnachtlichen Klänge kam ich aber zur Erkenntnis, dass es in der Fastenzeit gerade darum geht: Den vielleicht aus den Augen und aus dem Alltag verlorenen Gott wiederzufinden und ihm den Platz in meinem Leben wiederzugeben, der ihm als „höchsten Gut“ gebührt. Dem war sich Friedrich Spee bewusst, wenn er in der fünften  Strophe formuliert: „Dazu dein Gnad mir gebe, bitt ich aus Herzensgrund, dass dir allein ich lebe jetzt und zu aller Stund. Eia, eia, jetzt und zu aller Stund“.

Diese gnadenvolle Veränderung soll mein/unser ganzes Leben durchwirken und es zur Ehre Gottes verändern, damit es wie die goldenen Strahlen von seiner Präsenz in meinem/unserem Leben kündet. Um anzudeuten, dass so eine Veränderung meist unsichtbar, aber doch durch ein vielfältiges, heilsames Wirken in konkreten menschlichen Beziehungen, Handlungen und Gesten geschieht, hat die Künstlerin auf der Rückseite des Fastentuches in der Höhe des Tondos mit goldenen Umrisslinien neun bewegte Hände in zwei Gruppen dargestellt: gebende, helfende, empfangende, darreichende, betende, bewahrende, beschützende und segnende Hände. – Eine Einladung, dem Mitmenschen wie Jesus zu begegnen, sie wie sie sind anzunehmen, ihnen Freiheit und Lebensfülle schenkend, sie an der Hand nehmend oder ihnen segnend die Hände aufzulegen zur Stärkung in allen Lebenslagen – aus der Verbundenheit mit Gott und Ihm in jedem Mitmenschen.

 

Das Fastentuch ist bis zum 14. April 2022 in der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Villach (A) im Original zu sehen. Auf der Website der Pfarrei können Sie eine andere, sehr lesenswerte Betrachtung von Herrn Pfarrer Dr. Richard Pirker lesen.

Patrik Scherrer, 19.03.2022

Lisa Huber

Es ist ein Ros entsprungen - Dornenkrone
Entstehungsjahr: 2019-21
7 x 3 m, Leinen, Vorder- und Rückseite mit Goldfäden, handgestickt; Tondo: Farb-Holzschnitt, Handabzug, untermalt .
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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