Psalm 139
In drei Fenstern entfaltet die Künstlerin das Hauptthema des 139. Psalms, das Leben in Gottes Allgegenwart. Gehalten werden die drei Fenster durch das intensive Rot in der Mitte, das sein Echo in den äußeren Rändern der seitlichen Fenster findet. Diese bilden mit den blauen Kreissegmenten eine zusammenhaltende Klammer und formen eine Art Antwort auf die starke Mitte.
Mittleres Fenster
Drei Hände halten einen leuchtend roten Mantel hoch, der fast das ganze Fenster füllt. Damit kommt die Erfahrung des Beter zum Ausdruck: „Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, … (V. 5) Manfred Sauer schreibt sehr schön zu diesem Mantel: „Ein Mantel in der Farbe der Liebe, aber auch in der Farbe des Heiligens Geistes, in der Farbe der Begeisterung, der Inspiration. Ein Urvertrauen und eine tiefe Zuversicht sind für mich angesprochen. Gottes Gegenwart, Gottes heilender und inspirierender Geist umhüllt uns, wie dieser Mantel. Er umweht uns. Er kleidet uns in Würde. Er schont und schützt uns. Ein Mantel, der nicht nur vor Kälte und der Hitze schützt, sondern ein Mantel, der auch vor Argwohn und Aggression schützt. Ein Mantel, der uns Kraft gibt, wenn wir müde geworden sind. Jede und jeder kennt die Erfahrung des Schüttelfrosts. Wenn wir plötzlich am ganzen Leib zu zittern beginnen, weil wir Angst haben, weil wir überfordert sind, weil wir aus dem Gleichgewicht geraten sind. In solchen Momenten tut es gut, wenn uns jemand umarmt, einen Mantel, eine Decke oder seine Arme um uns legt, uns an sich drückt und wärmt.“ (Lisa Huber, Eins vom Andern, Klagenfurt und Graz, 2015, S. 11f).
Auf der dem Betrachter zugewandten Innenseite des Mantels sind in acht Bildfeldern je zwei Hände miteinander im Dialog. Sie bringen Zärtlichkeit, Berührung und Nähe, abstoßendes Fernhalten als auch einladende Offenheit, Bitten und Beschützen zum Ausdruck. In den acht Händepaaren ist viel Bewegung und Gefühl eingeschrieben, vor allem aber Nähe und Berührung. „Hier wird dem Schauenden vor Augen gemalt, auf welch vielfältige Weise Gottes Hände um uns bemüht sind. Auffallend für mich ist, dass die Hände sehr behutsam und zart miteinander umgehen. Sie gebärden sich vorsichtig tastend, antippend, ja manchmal wirken die Berührungen nahezu spielerisch werbend. Selbst die bildhafte Übersetzung von Martin Bubers Formulierung „du legst auf mich deine Faust“ wirkt nicht bedrohlich, sondern wie ein Anpochen, ein Anklopfen, mit dem Gott auf sein Wirken aufmerksam machen will. Das Händepaar darunter zeigt uns den Lebensbeginn, der einem Garn gleicht, das von den schützenden Händen ganz sanft umwoben scheint: „Mein Kern war dir nicht verhohlen, als ich wurde gemacht im Verborgenen“ (übersetzt M. Buber). (Manfred Sauer, ebd. S.14)
Rechtes Fenster
Den Worten des Psalms folgend muss die Betrachtung mit dem rechten Fenster weitergehen. Über dem blauen Halbkreis, der für das Meer als auch für den „blauen Planeten“ Erde Symbol sein kann, schwebt ein gehender Mensch. Das Kreuz, die am unteren Bildrand züngelnden Flammen als auch der dunkle Hintergrund deuten an, dass er ein Pilgerer durch die Zeit ist und hier mit Grenzerfahrungen wie Dunkelheit, Schmerz, Leid, Sterben und Tod konfrontiert wird. Tröstend strecken sich ihm, der haltlos an irdischen Abgründen steht, zwei schützende Hände entgegen. Hier wird klar: Wohin der Mensch auch geht, Gott ist gegenwärtig: „Wenn ich mich lagerte in der Unterwelt – siehe, da bist du“, sagt der Psalmist (V. 8b). Die Darstellung erinnert an Petrus, der auf den Zuruf Jesu mutig über das Wasser ging, dann aber zweifelte, worauf Jesus die Hände ausstreckte und ihn rettete. (vgl. Mt 14,26-32) Die Darstellung macht so die Kraft des Glaubens sichtbar, dass Gott stärker ist als das Leid und der Tod, dass er den, der an ihn glaubt, dem Tod zu entreißen vermag (vgl. Joh 11,25f).
Linkes Fenster
Nach dem „Abstieg“ in die dunklen Bereiche des Lebens zeigt das linke Fenster den „Aufstieg“ ins Licht und ins Leben. Es orientiert sich an den Psalmversen: „Ob ich sitze oder stehe, du kennst es. Du durchschaust meine Gedanken von fern. Ob ich gehe oder ruhe, du hast es gemessen. Du bist vertraut mit all meinen Wegen.“ (V. 2f) Und: „Nähme ich die Flügel des Morgenrots, ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich ergreifen.“( V. 9f) Die Allgegenwart Gottes ist hier mit der Sonne und dem das Fenster vertikal querenden breiten Lichtstrahl symbolisiert. Der Mensch ist wie in den Psalmworten zweifach dargestellt. Ob er sich ganz nah bei Gott sitzend ausruht oder sich mutig beflügelt – aber auch geistig umnachtet – auf die Erkundung der am weitesten von Gott entfernten Gegenden macht (nicht nur geografisch ;-), Gott weiß darum und ist auch hier dem Menschen nahe.
Wer will, kann in der gelb gekleideten Gestalt auch Gott sehen, der gelassen dasitzt und sich finden lässt. Schaut sich nicht die beflügelte Person wissend oder suchend zu ihm um? Ebenso lässt sich in der stehenden Gestalt auch ein Engel sehen, ein (den hier nicht sichtbaren Menschen) überall hin begleitender Bote Gottes. Egal wie die Personen auch gedeutet werden, so strahlen die hellen Farben, das leuchtende Gelb der Sonne und ihres Lichts zusammen mit dem Glitzern des Meeres Hoffnung und Zuversicht aus. Die Flammen des ewigen Feuers haben sich in ewiges Licht verwandelt, die Dunkelheit wird vom Licht an den Rand gedrängt. „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Sieh doch, ob ich auf dem Weg der Götzen bin, leite mich auf den Weg der Ewigkeit! (V. 23f)
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