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Uli Winkler, Maria, 1998
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Maria in Erwartung

Maria soll das sein? Diese Skulptur entspricht überhaupt nicht den herkömmlichen Vorstellungen von Maria. Kein Heiligenschein, kein besonderes Gewand, kein Kind zeichnet sie als Muttergottes aus. Die Bronze zeigt einfach eine junge Frau, die sich hingesetzt hat. Beim Betrachten fällt auf, dass vieles keine Rolle spielt: weder der Stoff, mit dem sie bekleidet ist, noch die Beine oder die Details ihres Gesichts. Um die besonderen Umstände dieser Frau hervorzuheben, hat der Künstler alles Unwesentliche vereinfacht. Es geht ihm um die Haltung, wie diese Frau ihr noch unsichtbares Kind hält und wie sie sich selbst gehalten fühlt.

In sich gekehrt ruht sich die junge Frau auf der erhöhten Sitzfläche aus, sie legt eine Pause ein. Den Kopf leicht gesenkt, scheint ihre Aufmerksamkeit ganz beim Kind zu sein. Sie erweckt den Eindruck, in sich hineinzuhorchen, dem in ihrem Bauch wachsenden und sich bewegenden Kind nachzuspüren. Eine andächtige und würdevolle Ruhe geht von dieser Frau aus.

Die rechte Hand hat sie unter den gewölbten Bauch gelegt. Sie scheint das Kind von außen liebkosen zu wollen und gleichzeitig fühlend zu prüfen, wie es ihm geht. Ob es gesund ist? Ob es sich wohlfühlt bei ihr? Die linke Hand liegt mit etwas Abstand auf dem Oberschenkel. Aus der leicht geöffneten Handfläche sprechen Offenheit und Bereitschaft für das, was mit ihr geschieht. Aber auch Ungewissheit ist herauszulesen, die Frage, WIE alles geschehen soll.

Also doch Maria? Die Ganzfigur ist in gerader Frontalansicht geschaffen. Dadurch erhält die Frau etwas Thronendes und trotz ihrer Schlichtheit etwas Majestätisches. Der Umstand, dass sie ein Kind erwartet, verleiht ihr die eigentliche Würde. Es könnte Maria sein. Die Art und Weise, wie diese Frau innehält, lässt Besinnung und Einkehr spüren, einen Dialog mit dem Kind in sich und mit dem, der ihr das Kind geschenkt hat.

Es könnte sein, dass sie gerade an die Botschaft des Engels denkt, der ihr erschienen war und verheißen hatte, dass sie den Sohn des Höchsten empfangen wird und ihm den Namen Jesus geben soll. Seinen Worten nachhorchend könnte es sein, dass sie ihre damalige Antwort bekräftigend wiederholt: Mir geschehe, wie du es gesagt hast. Insofern steht die Skulptur der biblischen Erzählung nah.

Und wenn der Künstler mit seiner Plastik nicht die biblische Maria gemeint hätte, sondern eine junge Frau unserer Tage namens Maria? – Auch an ihr wäre ein Wunder geschehen und ebenso wären ihr Bereitschaft und Annahme abverlangt worden. Ein Ja, das heutzutage zunehmend schwerer fällt zu sprechen, weil damit einhergeht, seinen Körper mit einem heranwachsenden Wesen zu teilen und die eigenen Lebensgewohnheiten und -pläne auf das Wohl des Kindes abzustimmen. Ein Ja, das Verantwortung für das neue Leben mit sich bringt, nicht wissend, wie es sich entwickeln und was es bringen wird.

Maria! Die Bronzeskulptur erinnert an sie, deren Muttersein aus dem gewohnten Rahmen gefallen war und bringt angesichts der unfassbaren Aufgabe ihr bescheidenes Sich-zur-Verfügung-stellen zum Ausdruck. Ein Vorbild – für jeden von uns.

 

Diese „Maria in Erwartung“ wurde im Advent 2007 nach dem alpenländischen Brauch „Frauentragen“ in einer Münchner Pfarrgemeinde abends von Haus zu Haus getragen. Die jeweilige Familie beherbergt dann die Figur für eine Nacht, begleitet von Gebeten und einem gemeinsamen Essen. Sie bringt so ihre Offenheit und Bereitschaft zum Ausdruck, für Menschen wie Maria und Josef ein offenes Haus zu haben und Jesus zu erwarten.

Link zum Erlebnisbericht einer Frau aus Schäftlarn

Patrik Scherrer, 08.12.2007

Uli Winkler

Maria
Entstehungsjahr: 1998
Bronze, Höhe 37 cm
Privatbesitz
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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