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Dietlinde Stengelin, Stern und Rose, 2010
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Rose und Mensch

Ein rosarotes Feld mit schönen Schattierungen dominiert das Bild. Erst auf den zweiten Blick mag in den Formen und Schattierungen eine Rosenblüte sichtbar werden. Im Vergleich zum Stern neben ihr und den feineren Strukturen unter ihr schwebt sie – es sind kein Stiel und keine Blätter zu sehen – geradezu übergroß im Bildraum.

Dieser ist dem Stern nach und der Pyramide unter ihm im Außenraum anzusiedeln, im Bereich zwischen Himmel und Erde. Der gelbe Boden suggeriert im Zusammenhang mit der Pyramide zudem eine Wüste, die Neigung auf der rechten Seite die Wölbung der Erde.

Da, mitten drin, umgeben von lilafarbenen Spurenelementen, in der roten Farbe intensiver, aber dennoch mit der Rose darüber korrespondierend, eine liegende menschliche Gestalt. Ihre Größe ist schwer auszumachen. Im Vergleich zur Rose über ihm erscheint der Mensch klein und irgendwie auch einsam. In seiner roten Farbe erweckt er den Eindruck voller Leben, voller Liebe zu sein. Die Farbspuren um seinen Kopf lassen aber auch seine Verletzlichkeit spüren, vielleicht auch schon die seelische und körperliche Gewalt, die er später einmal erleiden muss.

Wer den lila Farbspuren nachgeht, wird um das Menschenkind herum zwei feine, gerade Linien entdecken. Erstaunlich: dieser Bildbereich scheint aufgeklebt, eine Collage, ein Ausschnitt aus einem anderen Bild zu sein. Ob die Künstlerin dem Betrachter damit sagen will, dass dieses Menschenkind seinen Ursprung an einem anderen Ort hat? Der Gedanke scheint nicht abwegig, denn über eine lila Farbspur im Stern ist direkt über dem Kind in der linken oberen Ecke des Bildes ein ähnliches Bildelement angesiedelt, allerdings mit einer organischeren Begrenzung. Es ist, als wäre der Himmel hier aufgerissen und der Ausschnitt darunter ganz klar dem Himmel zugehörig. Dadurch kann dem Kind eine göttliche Abstammung zugeschrieben werden. Der da allein in der weiten Wüste daliegt, nur von mysteriösen lila Farbspuren umgeben, muss Gottes Sohn sein. Der Stern über der Pyramide kündigt an: Gott selbst schenkt der Welt seinen Sohn. „Unweit“ der Pyramiden wurde er im Nahen Osten geboren.

Doch wieso mag die Künstlerin die Rose so groß gemalt haben? Worauf will sie mit ihr wohl hinweisen? Ob sie an das Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ aus dem 16. Jahrhundert erinnern will, in dem Jesus als die Rose besungen wird, als das „Blümlein“, das aus dem Rosenstock Maria hervorging und als dessen Wurzel Jesse gesehen wird? Im Vergleich mit dem Bildmotiv „Wurzel Jesse“ (z.B. Wikipedia) wird deutlich, dass die Künstlerin durchaus Bildelemente verwendet haben mag. Die liegende Gestalt könnte auch Jesse darstellen, über dem (und durch die im Bild unsichtbare Maria) die wunderbare Rosenblüte Jesu aufgeht. Sie ist größer als der Stern, der ihn angekündigt hat. Sie wächst von der Erde her dem Himmel zu, Gott und die Menschen wunderbar und neu miteinander verbindend.

Wenn aber in der Rose eine symbolische Darstellung von Jesus betrachtet wird, erhält auch die liegende Gestalt eine neue Bedeutung. Neben dem Jesuskind oder seinem Stammvater Jesse kann in ihr auch ganz einfach der Mensch in seiner Erbärmlichkeit und Hilfsbedürftigkeit gesehen werden. Was wir im Bild in einer kosmischen Schau zusammensehen, sieht der liegende (und damit aufschauende) Mensch sich über ihm entfalten. Im Symbol der Rose sehen wir, wie sich Gott durch Jesus in Liebe dem Menschen zuwendet, ihm machtvollen und doch sanften Beistand schenkt.

Patrik Scherrer, 24.12.2011

Dietlinde Stengelin

Stern und Rose
Entstehungsjahr: 2010
Acrylfarben/Papier
120 x 80 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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