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Samuel Buri, Schriftbild zu Jeremias 1,17–19, 2007
© 2007 beim Künstler / ProLitteris, Zürich

Schrift-Bild

Auseinandersetzung
Schriftzeichen begegnen uns im Alltag überall: meist schwarz auf weiß transportieren sie in den Printmedien, der Werbung, dem Straßenverkehr und an anderen Orten Informationen. Kontrastreich und linear geordnet dienen sie der guten Lesbarkeit. Der Sinn der Buchstaben und Worte soll schnellstmöglich erfasst werden können. Wenn ein Künstler die Schrift selbst gestaltet, lässt er sie zu einem Bild, zu einem Schriftbild werden. Diese Schriftbilder wollen keine Illustration, sondern ein Durchdringen und Vertiefen des Wortsinns zum Ausdruck bringen. Durch die Gestaltung der Buchstaben und Worte sowie des Hintergrunds wird der Wortsinn verstärkt, die Schrift selbst zu einem sprechenden Bild.

Worte aus dem Buch Jeremia (1,17-19) haben Samuel Buri zu einem farbenfrohen, geradezu kunterbunten Bild inspiriert. Die gleichmäßig großen, handgeschriebenen Buchstaben füllen das ganze Bildfeld aus. Auf dem vielfarbigen Hintergrund heben sie sich durch ihre eigene Farbigkeit mehr oder weniger kontrastreich ab. Manchmal wechselt die Farbgebung der Buchstaben mitten in einem Wort. Durch diese plötzlichen Wechsel entstehen Irritationen. Ein äußerst lebendiges Geschehen voller Veränderungen wird deutlich. Intensive Farben und klare Abgrenzung zwischen Schrift und Hintergrund vermitteln im oberen Teil ebenso gegensätzliche Positionen wie Nachdruck im Gesagten. In der unteren Bildhälfte werden die Farben sanfter und gleichen sich die beiden Ebenen einander an. Doch die Auseinandersetzung bleibt spürbar.

Einzelne Worte springen dem Betrachter wie Schlagworte in die Augen und vermitteln das Wichtigste in Kürze: „Du aber gürte … sage ihnen alles, was ich dir gebiete. Erschrick nicht … Schrecken … sieh, ich … Könige … Priester … bekämpfen werden … Herrn, um dich zu retten. Jeremias“.

Da erhält ein „Du“ den Auftrag aufzustehen und entschlossen ein vielsagendes („alles“) Wort furchterregenden Menschen zu verkünden („erschrick nicht vor ihnen“). Die Aufzählung lässt ahnen, dass er mit seiner Botschaft allein gegen ein ganzes Land stehen wird, angefangen von den Machthabern über die Priester bis hin zum einfachen Volk. Aus dem Wortlaut geht hervor, dass er eine unbequeme Botschaft verkünden muss, eine Botschaft, die niemand hören will. Deswegen werden sie ihn bekämpfen und versuchen ihn mundtot zu machen. Doch der Beauftragte soll nicht erschrecken, wenn sie ihn angreifen, denn sein Auftraggeber hat ihn mit einer Widerstandskraft ausgestattet, die einer befestigten Stadt gleicht. Denn Gott selbst, der Herr, wird mit ihm sein. Wie eine beglaubigende Unterschrift steht am Ende des Textes der Name Jeremias.

Jeremias
Die Worte richten sich an den jungen Jeremias auf der Suche nach seiner Aufgabe im Leben. Er war Sohn eines Priesters aus dem heutigen Anata und muss um 650-625 v. Chr. geboren sein. Seine Zeit war von politischen Machtkämpfen im ganzen vorderasiatischen Raum geprägt. Das assyrische Reich beherrschte damals das Gebiet zwischen Nil und Tigris. Die judäischen Könige waren Vasallen von Assur und mussten Tribut zahlen. Babylon, Medien und Ägypten erhoben sich gegen die assyrische Herrschaft, wodurch Judäa immer wieder zum Kriegsschauplatz wurde. Dementsprechend schlecht war der sittlich-religiöse Zustand in Judäa. Öffentlichem Götzendienst standen die Priester meist hilflos gegenüber, ebenso der Verrohung und dem Verfall der Sitten im privaten und öffentlichen Leben.

In diesem Milieu hatte Jeremias ein starkes inneres Erlebnis. Er spürte deutlich den Auftrag Jahwes, sein Volk wachzurütteln und zur Umkehr zu bewegen. Und er solle dies nicht in den Fußstapfen seines Vaters inmitten der versagenden Priesterschaft tun, sondern als Wanderprediger und Weissager. Damit war er mit der Weisung, dem Auftrag Jahwes zu folgen und dem Versprechen, dessen Schutz und Beistandes sicher sein zu können, ganz auf sich allein gestellt. Dieses innere Erlebnis stellt das Buch Jeremias mit dem zu dieser Zeit üblichen Stilmittel der wörtlichen Rede in Dialogform lebensecht dar. Im Schriftbild von Samuel Buri wird der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Jeremias, der sich der ihm zugedachten Aufgabe entziehen will, weil er sich ihr in seinen jungen Jahren nicht gewachsen fühlt, miterlebbar veranschaulicht.

Auftrag und Entscheidung
Geradezu unheilvoll haben sich im oberen Bildteil die Farben zu einem dunklen Gewitterhimmel zusammengebraut. Ungewissheit, ratloses Hinundhergerissensein sind herauszuspüren. Die wechselnden Farben geben alle Phasen eines inneren Kampfes wieder: soll ich, soll ich nicht; kann ich, kann ich nicht; will ich, will ich nicht; muss ich dem Ruf folgen oder kann ich mein Leben so gestalten wie ich will? Warum verspüre ich ein so starkes Gefühl der Sicherheit von Jahwes Auftrag und seinem Schutz und andererseits Angst und Unsicherheit? So geht der Auftrag, der eigentlich in klaren weißen Buchstaben dasteht, durch die emotionale Einfärbung an manchen Stellen beinahe in den brodelnden Gefühlen und widerstreitenden Gedanken unter, die er auslöst. Erst im unteren Viertel des Bildes ist mehr Gleichmaß, mehr Ruhe, als habe sich der Entschluss gefestigt, den Auftrag in der Hoffnung auf Jahwes Beistand anzunehmen.

Eine Widmung am rechten Bildrand stellt eine Brücke zur Gegenwart dar: „für FB von SB“. Der Künstler hat das Bild seinem Vater, dem evangelischen Theologen Fritz Buri gewidmet. Im Entstehungsjahr des Bildes wäre er hundert Jahre alt geworden. In jungen Jahren hat er diesen Text von seinem Professor als „Weisung“ auf den Weg als Theologe und Pfarrer erhalten. Gott beruft zu jeder Zeit Menschen in ihre je eigenen Lebensaufgaben, im weitesten Sinn also in Seinen Dienst. Jeder steht einmal oder wiederholt in diesem vom Künstler so anschaulich dargestellten Entscheidungsfeld und muss sich entscheiden. Insofern sind und bleiben das anfängliche „Du“ Anspruch und Auftrag an jeden Menschen, die weiteren Worte Gottes Ermutigung.

 

Dieses Bild entstammt der Zürcher Bibel – Kunstbibel 2007. Einspaltige Ausgabe mit 25 Schriftbildern von Samuel Buri 2007, ca. 2000 Seiten, 14,2 x 22 cm, Hardcover, ISBN 978-3-85995-243-0, CHF 60,00 / EUR 38,00

Prospekt zur Zürcher Bibel 2007 mit allen Aquarellen von Samuel Buri

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 1/2008 der Zeitschrift „das münster“, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Patrik Scherrer, 21.06.2008

Samuel Buri

Samuel Buri
Mühlenweg 20
CH-4052 Basel

Tel.: ++41 (0)61 / 272 56 71

Schriftbild zu Jeremias 1,17–19
Entstehungsjahr: 2007
99,5 x 69,5 cm, Aquarell auf Papier aus der Zürcher Kunstbibel 2007 mit insgesamt 26 Schrift-Bildern, TVZ Theologischer Verlag Zürich
© 2007 beim Künstler / ProLitteris, Zürich

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