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Meide Büdel, Altar der evang. Christuskirche in Nürnberg, 2008
© Meide Büdel

schwebend

Wer in die evangelische Christuskirche in Nürnberg eintritt, dessen Blick wird bald von einer gelben Linie im Granitboden eingefangen und vom Taufbecken im Eingangsbereich nach vorne in den Chor geführt. Das schmale Band aus Glas verdeutlicht den lichten Weg eines jeden Gläubigen von der Taufe auf Christi Namen und lädt zur Feier der Gemeinschaft im Hören auf Gottes Wort und Teilen von Brot und Wein ein.

Die gelbe Linie würde, mit einem kurzen Unterbruch, den waagrechten, dunklen Kubus als Altar bezeichnen, in dessen Mitte sie auf die Höhe ihres Ausgangs, des Taufsteins, hochgezogen wurde, wenn nicht davor eine waagrechte Platte Zweifel an dieser These aufkommen ließen. An vier kaum wahrnehmbaren Seilen hängt sie als Mensa am traditionellen Ort des Altars von der Decke herunter und fordert den Besucher auf, mit ganz neuem Denken an den Abendmahlstisch heranzugehen.

Seine Abhängung von der Decke suggeriert, dass das Ereignis, dem auf diesem erhöhten Ort gedacht wird, von oben her gegeben ein Geschenk vom Himmel ist (solus Christus). Nur der flüchtige Schatten berührt den Boden, lässt ihn stellvertretend für alles Geschaffene die geheimnisvolle Gegenwart des ganz Anderen spüren, der sich uns Menschen an diesem Ort im Abendmahl sinnlich erfahrbar gibt und gleichzeitig wie ein Windhauch allem Begreifen entzieht.

Dieser ganz andere „Tisch“ erinnert an das Außergewöhnliche einer jeden Gottesbeziehung, ihr Geschenk wie ihre Abhängigkeit von der Gnade Gottes (sola gratia). Dabei umschreiben die vier Stahlseile einen durch die Schwerkraft der Stahlplatte geerdeten Luftraum, der durch das stetige Wiederholen und Vergegenwärtigen der Abendmahlfeier an seinem tiefsten Punkt zu einer Art unsichtbaren Wolkensäule oder Leiter Jakobs wird, welcher die Gegenwart und Heiligkeit Gottes im Hier und Jetzt spüren lässt.

Der auf das strikte Minimum reduzierte Abendmahltisch in der Mitte der Versammlung lässt die zentrale Bedeutung des hier Dargebrachten spüren. Leicht durchhängend wie eine Schale vermag dieser Altar die Gaben von Brot und Wein aufzunehmen und ohne Ablenkung durch einen künstlerisch gestalteten Unterbau konzentriert auf ihr Zeichen hinzuweisen. Durch seinen schwebenden Zustand vermittelt er zudem etwas Instabiles und verweist auf die Vergänglichkeit dieser heiligen Handlung und den Bedarf der stetigen Erneuerung.

So hängt der Altar leicht wie eine Erscheinung vor dem visuell dominierenden Rechteck, das aus Distanz den erdenden Sockel für die Chorwandgestaltung mit einer thronenden Christusfigur von Burch-Corrodi bildet, sich aus der Nähe und in der Liturgie zum überdimensionalen Ort des Wortes wandelt. Spätestens hier wird die Bedeutung des Wortes Gottes und seiner Auslegung in der evangelischen Kirche deutlich (sola scriptura), dem gegenüber die Abendmahlfeier, auch wenn ihr Ort räumlich perfekt im Vordergrund angeordnet ist, im Hintergrund steht. Dieser Altar beansprucht nicht, im Mittelpunkt zu sein. Visuell ist das im Raum ganz klar die erhöhte Christusfigur und in der Liturgie der Pastor, der unter ihr und stellvertretend das Wort Gottes verkündet, auslegt und im Abendmahl feiert.

Dennoch ist der Altar nicht dem Ort des Wortes untergeordnet, sondern vielmehr der Verkündigung zugeordnet und folgerichtig vorgelagert. Das im Boden verlaufende „güldene Band der Taufgnade“ läuft unter der Altarmensa durch, steigt im Wort Gottes hörbar auf, um sich dann zusammen mit dem Leib und dem Blut Christi in der Gestalt von Brot und Wein den Gläubigen zur Stärkung zu schenken. Eine wunderbare Bewegung: irdisch verhaftet am Boden von hinten nach vorne, dort, nachdem das geschriebene Wort durch den Geist zum Leben erweckt wurde und in der Hingabe Christi seine sinnliche Erfahrung fand, als geistige Nahrung wieder zurück zu den Gläubigen.

Nicht wie gewohnt nebeneinander, sondern räumlich bedingt hintereinander und sich damit wie durchdringend und einander bedingend eine Einheit bildend, stehen die beiden Prinzipalstücke dabei im Zentrum dieser liturgischen Bewegung. Wie der Glaube werden sie von innen her zusammengehalten durch die Form des Kreuzes, dessen Waagrechte die Altarmensa und dessen Senkrechte der aufsteigende Glasstreifen in der Brüstung des Ortes der Rede bilden. Am Kreuz Christi, seinem Tod und seiner Auferstehung scheiden sich die Geister, auf das Geschehen an ihm gründet unser Glaube, allein der Glaube – Sola fide.

 

Meide Büdel erhielt für diese Arbeit am 9. Oktober 2008 von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern den Kunstpreis 2008.

Patrik Scherrer, 11.10.2008

Meide Büdel

Altar der evang. Christuskirche in Nürnberg
Entstehungsjahr: 2008
Stahlplatte, 270 x 140 x 6 cm, 1,7t, Oberfläche brüniert und poliert, 4 Stahlseile
Fotos: Pirko Julia Schröder
© Meide Büdel

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