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Christina Utsch, Amare I, II, III, 2003
© Christina Utsch

Spannungsbogen der Liebe

Wie Seerosen auf einer das Licht und die Sonne spiegelnden Wasseroberfläche muten die Buchstaben in dieser dreiteiligen Arbeit an. In jedem Teil des Triptychons leuchtet ein anderes Wort auf. Links oben groß, deutlich und erhaben: „deum“ in einer sich nach unten neigenden Einheit, umgeben vom Blau des Himmels. In der Mitte lässt sich das Wort „alterum“ entziffern. Die sieben Buchstaben tanzen geradezu verstreut in der unteren Bildhälfte, das Bildformat seitlich durchbrechend. Im rechten Bildteil befinden sich die beiden Buchstaben „m“ und „e“ ganz groß und ganz unten, das „e“ wiederum über die Bildkante hinausragend.

Wie drei Welten kommen die drei Wörter „deum“ – „alterum“ – „me“ dem Betrachter entgegen. Man spürt, das „me“ steht mir am nächsten, dann geht es wie über eine Treppe nach oben zum „deum“. Auch ohne Lateinkenntnisse wird einem der Sinn dieses Triptychons deutlich: Hier geht es um mich, um Gott und dazwischen um die anderen. Die Darstellung macht deutlich, dass sie für jeden von uns wie eine Brücke zu Gott sind, ganz wie der König im Weltgericht sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)

Langsam wird einem klar, dass es in dieser dreiteiligen Arbeit um die Liebe geht. Geradezu spielerisch verschmitzt vermag einem aus der Innenform eines jeden „m“ ein Herz ins Auge zu springen, liebevoll die Antwort des suchenden Gesetzeslehrers an Jesus andeutend: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ (Lk 10,27)

Auffallend ist, dass die drei Wörter nicht im Nominativ, sondern im Dativ geschrieben sind. Ob es daran liegt, dass der Nominativ die drei Bereiche der Liebe nur repräsentativ und beziehungslos darstellen würde, der Dativ jedoch auf das Objekt der Liebe hinweist, von wem sie gegeben wird und wem sie gilt? Denn Liebe ist immer ein Geschenk, das gegeben und empfangen wird. Liebe, die nur sich selbst kennt, ist unglücklich machender Egoismus. Liebe, die nur Nächstenliebe ist, verliert sich selbst. Und nur Gottesliebe? Das haben die Eremiten und Säulenheiligen der frühchristlichen Zeit ausprobiert. Doch auch die Gottesliebe allein hat keinen Bestand, wenn sie nicht in der Nächstenliebe tätig wird.

Liebe braucht die Spannung der drei Pole, zwischen denen sie sich formen und entfalten kann. Das gibt uns auch die Künstlerin in dem formalen und farblichen Dreiklang ihres Triptychons zu be(tr)achten. Was eigentlich wie in einem Spiegel uns gegenüber stehen sollte, offenbart sich so immer mehr als visionäres und herausforderndes Ziel, da es vielen in unserer Zeit genau um das Gegenteil geht. Es geht weder um Gott noch um die anderen, sondern primär um sich selbst. Es geht nicht, wie dem Schriftgelehrten, um das ewige Leben, sonderen um den schnellen persönlichen Erfolg. Gott erleben viele nur in weiter Ferne, das Schicksal der anderen berührt nur am Rande oder wenn die Medien ihren Focus darauf richten.

Dabei ist es gerade die Liebe zu Gott, die unsere Liebe formt, schult und ihr Gestalt gibt. Deshalb sollen wir ihn auch mit ganzem Herzen, ganzer Kraft und mit allen Gedanken lieben. Die primäre Ausrichtung auf ihn gibt unserer Liebe eine Offenheit, die weit über uns hinausgeht. Sie ermöglicht eine Weltsicht, bei der die Armen und Kranken, die Behinderten und Benachteiligten genauso einen Platz im persönlichen Blickfeld haben wie die Bedürfnisse des eigenen Ichs. Und die liebende Ausrichtung auf Gott entfaltet in uns alle notwendigen Kräfte, um unsere Gesellschaft um des Nächsten willen gerechter und besser zu gestalten.

Patrik Scherrer, 11.09.2010

Christina Utsch

Amare I, II, III
Entstehungsjahr: 2003
Bildgewebe nach Lk 10,27), je 43 x 150 cm,
Atelier für Paramentik, Berlin
© Christina Utsch
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