Spiegelbilder des Lebens
Die Aufreihung ist kein Zufall. Ob eine Anlehnung an Käsereibretter besteht, die zum Trocknen in die Sonne gestellt werden, bleibt fraglich. Auf jeden Fall dienen die Oberflächen nicht dem Tragen einer Sache, sondern der Schaustellung einer Geschichte.
Sieben Bretter in gleicher Höhe, ähnlicher Breite und Dicke lehnen an der Wand. Sie sind alle aus dem gleichen Stamm geschnitten. Es sind Schichten, die Geschichten erzählen vom Wachstum des Holzes und des Baumes. Schichten mit Bearbeitungsspuren, welche die Auseinandersetzung des Menschen mit dem Holz hinterlassen haben.
Die Spuren der Kettensäge sind gut zu sehen – als mechanischer Gegensatz zur gewachsenen Struktur – oder anders gesagt als Spuren menschlicher Intervention im Gegensatz zur natürlichen Holzstruktur. Es sind Spuren der Arbeit, der Anstrengung und der Mühe, des sich durch den Widerstand des Materials Durcharbeitens, um etwas ganz Eigenes zu schaffen.
Doch das Holz hat weiter gearbeitet. Es ist geschwunden, hat sich gebogen, verbogen, hat Spalten und Risse freigegeben, Einblicke und Durchblicke. Brüche, neue Konturen, Zeichnungen, Formungen, Grate, usw. sind entstanden.
Der Künstler wiederum hat „die Platten vorder- und rückseitig weiß gekalkt, wodurch sich die Präsenz des Holzes verklärt und ihm seine Schwere entzogen wird. Die weiße Farbe vereinheitlicht, fasst zusammen, sie mindert die Relieftiefe und dämpft die stofflichen Unterschiede der Oberflächen. Zugleich hebt sie die zeichnerischen Aspekte hervor und lenkt die Aufmerksamkeit auf die linearen Details. Skulptieren und Zeichnen konvergieren letzten Endes, die Säge wird gleichsam zum Zeichenstift des Bildhauers.“ (Justus Jonas in: Erwin Wortelkamp. Einsichten – Ansichten, München 2016, S. 19)
Aus diesem wechselseitigen Ringen um die Form sind Sinnbilder des Lebens entstanden. Bilder, die ein Leben wiedergeben, das Widrigkeiten und Belastungen ausgesetzt ist, das Widerfahrnisse aushalten und durchmachen muss. Ereignisse wie Naturgewalten oder Krankheiten, unverschuldete Unfälle oder Gewaltanwendungen, denen wir alle ausgesetzt sind.
Die Tafeln zeigen auch, dass wir immer nur eine Seite unserer Gegenüber sehen können: seine „Schauseite“, sein „Geoffenbartes“. So wie durch die Intervention des Künstlers das Verborgene des Stammes offen gelegt und ungeschminkt zu einem Gegenüber gemacht wurde – tomographische Spiegelbilder und Metaphern von unseren Stärken und Schwächen, von unseren Erfolgen und Widerfahrnissen. Wie die Siebenzahl der Tafeln andeutet, gehören diese Erfahrungen konstitutiv zum Leben, ja trotz aller Schwere zur Fülle des Lebens.
Erwin Wortelkamp
Foto: Werner J. Hannappel
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