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Helmut Anton Zirkelbach, Die Verwandlung, 2008
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Unliebsame Gesellschaft

Unsicher steht die Frau in der Bildmitte. Ihre nackten Füße sind nach innen gewendet, ihre dünnen Arme hängen kraftlos am Körper, ein einfaches Kleid bedeckt sie notdürftig. Ihr Kopf ist als Schädel wiedergegeben, an dem einige schüttere Haare übriggeblieben sind. Der Kopf wird leicht von der Seite gezeigt, so dass die tiefschwarzen Augenhöhlen sie nach rechts blicken lassen. Ihr Mund scheint geschminkt, über die rechte Wange ziehen sich Risse.

Im Bezug zum Bildformat erscheint sie schwebend, haltlos, hängend. Der Eindruck ergibt sich aus dem undefinierten weißen Hintergrund und dem Umstand, dass ihr Kopf vom oberen Bildrand angeschnitten wird.

Wer ist diese Frau? Was können die beschriebenen Beobachtungen über sie aussagen? Sicher ist, dass sie den Boden unter den Füßen verloren hat und sich in einem Zustand des Übergangs befindet. Die geschminkten Lippen lassen vermuten, dass sie auf ihr Aussehen Wert gelegt hat. Die körperliche Erscheinung und das einfache Kleid deuten zudem auf eine jüngere Frau hin.

Verloren steht sie zwischen zwei dunklen Gestalten. Ihre Köpfe weisen sie als Boten des Todes aus. Der linke grinst, der rechte schaut nach unten. Ihre Körper werden durch waagrechte Stoffstreifen gebildet, die mit der Kleidstruktur der Frau korrespondieren. Sie haben keine Arme und Beine, keine Hände und Füße. Gespenstisch schweben sie im Raum, unheimlich flankieren sie die Frau in den besten Jahren. Es sieht aus, als würden sie sie verfolgen und bedrängen. Nun sind sie schon sehr nah. Gleich berühren sie sie. Im Vergleich zum hellen und detailliert wiedergegebenen Körper der Frau wirken sie wie Schatten. Wie bei Vogelscheuchen ist ihr „Gewand“ ausgefranst. Dadurch wirken sie ruhelos, vagabundenhaft, schwer fassbar.

Durch ihre kleinere Gestalt, die dunkle Wiedergabe und die nach außen gebogenen Formen wirken die beiden gespenstischen Todesboten wie Flügel. Schwarze Flügel, welche der Frau den Boden unter den Füßen entziehen, sie aus dieser irdisch materiellen Welt in eine immaterielle und zeitlose Welt überführen (siehe Hintergrund). Die Verwandlung hat am Kopf schon angefangen, noch zeigt sich das Kleid durch seine waagrechte Zeichnung dem Irdischen verhaftet, doch nach und nach wird die Verwandlung den ganzen Körper erfassen

Das Bild wäre bedrückend, wenn nicht der helle Hintergrund wäre. Er gibt die Hoffnung wieder, dass der Tod nicht das Ende, sondern nur die Exekutive einer höheren Macht ist, der vorübergehende Begleiter in ein größeres und unbeschwerlicheres Danach. Für den Gläubigen hat „der zweite Tod“, der leibliche Tod seine Macht verloren. Er ist in der Taufe bereits mit Christus in den Tod begraben (vgl. Röm 6,3-5; Kol 2,12). Das ist der Grund, wieso Franziskus von Assisi den Tod als „Bruder“ bezeichnen und Gott dafür loben konnte.

„Herr, sei gelobt durch unsren Bruder Tod,
dem kein Mensch lebend je entrinnen kann.
Der zweite Tod tut uns kein Leid an.
Lobet und preiset den Herrn in Dankbarkeit,
und dienet ihm mit großer Demut.“

In Bezug auf das Bild bedeutet das, dass der Gläubige gerade in der Zeit, in dem symbolisch alle Farben in seinem Leben verblassen, in dem das Lebenskleid ausfranst und sich auflöst, letztlich der Lebensfaden abgeschnitten und das Lebenslicht erlischt, sich um so mehr an Gott festhält und darauf vertraut, dass ER ihm nach der Zeit des Übergangs neuen Boden unter den Füßen geben und in Seinem Licht das Leben in nie gekannter Fülle erleben lassen wird.

Ganzer Zyklus des Tailfinger Totentanzes sowie Bestellmöglichkeit des Katalogbuches zum Totentanz auf der Website des Künstlers

Patrik Scherrer, 19.10.2013

Helmut Anton Zirkelbach

Die Verwandlung
Entstehungsjahr: 2008
Tailfinger Totentanz,
Blatt IX von XIII,
Radierung, 76 x 56 cm,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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