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Annette von Bodecker-Büttner, Engel, 2004
© Annette von Bodecker-Büttner

Warten auf den Aufbruch

Ausnahmsweise finden wir keine mächtige Leuchtgestalt oder einen beschützenden Engel vor. Klein und beinahe verloren kauert er auf der Kante eines Bootes, das im Vergleich zu den anderen kleineren Booten wie ein Luftschiff in großer Höhe anmutet. So wie das Boot perspektivisch von oben gezeigt wird, müsste der Engel eigentlich seitlich herunterfallen. Doch er sitzt mit seinen angezogenen Beinen seelenruhig da und schaut von seinem „Adlerhorst“ auf das Wasser unter ihm.

Wartend, die ungewöhnlichen Zeichen beobachtend: den das Bild horizontal durchquerenden Fischzug, der in das weite Meer aufgebrochen ist, rechtwinklig dazu den mit Wassertropfen angedeuteten Regen, der aus einer prall gefüllten Wolke senkrecht durch das Bild ins Boot am unteren Bildrand fällt. „Tauet Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn herab, rief das Volk in bangen Nächten“, kommt einem unwillkürlich in den Sinn. Gottes Verheißung, einen Retter zu senden, scheint nicht mehr weit von seiner Erfüllung entfernt zu sein. Es lohnt, sich vorzubereiten und sich Zeit zu nehmen, um das Kommen des Herrn nicht zu verpassen. Auch in der Nacht, denn man weiß nicht, zu welcher Uhrzeit er kommen wird.

Dem Engel gegenüber taucht das Segment eines großen Kreises auf mit labyrinthähnlichem Muster, das an eine Stadt erinnert, gleichzeitig den Verlötungen auf elektronischen Schalttafeln gleicht. Ob es als Symbol für den unermesslich großen Gott gedeutet werden darf, dessen Gedanken unserem Verständnis und unserer Einsicht verborgen sind? Der Ausschnitt dieses unerhört Anderen und Größeren strahlt ein Geheimnis aus, aber auch kommunikative Nähe. Dadurch geschieht etwas, scheint ein fruchtbarer Aufbruch stattzufinden, der das Eis teilt und schmelzen lässt. Der von diesem Aufbruch ausgehende Strom wird mit den vielen Fischen voller Leben gezeigt. Bereits erscheinen die Silhouetten von Häusern und Bäumen beidseits dieses Flusses, als wollten sie auf das paradiesische Bild anspielen, das dem Propheten Ezechiel (47,1-12) gezeigt wurde: auf den vom Tempel ausgehenden Strom, der immer mächtiger wurde. Und Gott erklärte ihm: „Wohin der Fluss gelangt, da werden alle Lebewesen, alles, was sich regt, leben können und sehr viele Fische wird es geben. Weil dieses Wasser dort hinkommt, werden (die Fluten) gesund; wohin der Fluss kommt, dort bleibt alles am Leben.“ (V 8) Das Wasser macht auch das salzige Wasser gesund, ebenso werden an seinen Ufern Bäume wachsen, die nie ohne Früchte sein werden und deren Blätter nicht verwelken, sondern als Heilmittel dienen.

Hier wird endzeitliches, göttliches Heil im Aufbruch gezeigt. Gott ist dabei, einzugreifen, sich den Menschen sehr nahe zu zeigen. Und überall Boote, auch auf den Flügeln des Engels. Ein augenzwinkerndes Wortspiel mit Bote und Booten? Die Boote sind leer, als wollten sie bestiegen werden. Sie verheißen keinen sicheren Untergrund, verlangen Geschicklichkeit und Vertrauen. Wer die Bootsfahrt wagt, wird sich auf die Strömung einlassen müssen, setzt sich dem Wind und dem Wetter aus. Die Boote sind nicht größer als Nussschalen. – Ob solch ein Wagnis nicht zu gefährlich ist? Kann ER genug Sicherheit geben? Noch ankern die Bootspaare allein auf dem Wasser. Die Flügel des Engels könnten aber andeuten, wie schnell die Wasseroberfläche mit Booten bedeckt sein könnte, wenn alle sich aufmachen würden auf das Wasser des Lebens.

Eine doppelte Erfahrung würde sie begleiten. Erstens, dass sie im Wagnis, Gott zu glauben, getragen werden. Getragen von Gott selbst, der sich als Quelle, ja als Strom des Lebens offenbart. Zweitens, dass solch ein Aufbruch nicht in die Einsamkeit, sondern in eine Gemeinschaft führt, in der sich die Menschen nahe stehen und auf dem unsicheren Untergrund des Lebens eine sichernde Solidargemeinschaft bilden.

Patrik Scherrer, 06.12.2008

Annette von Bodecker-Büttner

Engel
Entstehungsjahr: 2004
Acryl, 45 x 45 cm
© Annette von Bodecker-Büttner

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