Gehalten und erfüllt

In diesen bewegten Zeiten der Corona-Pandemie erschrecken mich die rasend schnell steigenden Zahlen an Infizierten und Toten. Dieses Leid und diese Not wirbeln unser Leben durcheinander. Unweigerlich muss ich auch an die Worte aus Psalm 91,7 denken: „Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten, noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag. Fallen auch tausend an deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es dich nicht treffen.“ – Was für eine Zusage all denjenigen, die an Gott hängen, die seinen Namen kennen und zu ihm rufen!

Die Menschengestalt bringt die Verunsicherung durch die äußeren Ereignisse als auch ihren Glauben treffend zum Ausdruck. Die Person steht inmitten eines aufgewühlten und unruhigen Hintergrundes. Stürmische Zeiten, welche sich auch im Innern der Person fortsetzen. Sie kann sich dem Ganzen nicht entziehen, ist bis ins Innerste erschüttert, verunsichert, destabilisiert. Zu groß und unbeschreiblich ist das Leid und die Not um sie herum. Wieso soll gerade sie überleben, wenn 11.000 Menschen um sie herum sterben?

Die Bewegungen im Innern der Gestalt sind nicht mehr so wirr und diffus wie um sie herum. Eine rhythmisch geordnete Bewegung gleich einem Tanz durchzieht die Menschengestalt und gibt ihr eine eigene Dynamik. Sie ist dem Sturm nicht wehrlos ausgesetzt, sondern vermag sich mit einer ihr innewohnenden Kraft zu widersetzen. Diese Kraft wird mit runden Pinselstrichen charakterisiert, mit weißen, gelben und roten Kreisbewegungen. In den Rundungen klingt Gottes unendliche Größe und Kraft an. Im farblichen Dreiklang Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, die gemeinsam den Menschen schützen, beleben, aufbauen. So ist eine innere Freude zu spüren, ein Wandel von der Bewegtheit hin zur Beschwingtheit, von der Verunsicherung hin zur Stärke, von der Angst, den Boden zu verlieren hin zur Standfestigkeit.

Gott selbst bewegt und stärkt den Glaubenden in seinen Zweifeln, Abgründen und seinem Unglauben, wenn dieser ruft: „Herr, hilf meinem Unglauben!“ (Mt 9,24) oder steh mir bei „in meiner Not“ (vgl. Ps 18,7; Est 4,17r). Doch die Hinwendung zu Gott, das Vertrauen und die Hingabe, das muss von uns kommen.

“Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen.
Ich sage zum HERRN: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue.
Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens.
Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht,
Schild und Schutz ist seine Treue.
Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten,
noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt,
nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag.
Fallen auch tausend an deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es dich nicht treffen.
Mit deinen Augen wirst du es schauen, wirst sehen, wie den Frevlern vergolten wird.
Ja, du, HERR, bist meine Zuflucht. Den Höchsten hast du zu deinem Schutz gemacht.

Dir begegnet kein Unheil, deinem Zelt naht keine Plage.
Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen.
Sie tragen dich auf Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt;
du schreitest über Löwen und Nattern, trittst auf junge Löwen und Drachen.
Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen.
Ruft er zu mir, gebe ich ihm Antwort.
In der Bedrängnis bin ich bei ihm, ich reiße ihn heraus und bring ihn zu Ehren.
Ich sättige ihn mit langem Leben, mein Heil lass ich ihn schauen.”

Psalm 91

Angst

Der Altarraum ist verändert, und so verändert sich unser gewohnter Blick auf das Kreuz auch. Das Kreuz steht nicht mehr allein auf dem Altar wie sonst in Kirchen üblich . Es hat einen “Mantel” bekommen, einen neuen Rücken. Aber der Mantel ist kein Mantel, der umhüllen will, sondern es ist eine Explosion zu sehen, ein Klecks aus Tusche mit einem dunklen schwarzen Zentrum und viel wegspritzender schwarzer Farbe, die sich vom Zentrum her nach außen auflöst. Hier entsteht eine enorme Spannung zwischen dem gewohnten braunen Altarkreuz und dem schwarzen Tuscheklecks dahinter. Vor dem großen schwarzen Klecks verschwindet das Jesuskreuz fast ganz. Oder ist es andersherum? Ja, das Kreuz mit dem leidenden Jesus steht vor der Explosion.

Was soll das bedeuten? Der schwarze Klecks hinter dem Kreuz – das sind unsere Ängste, das ist unsere eigene tief sitzende Grundangst, unsere dunklen Stellen, unsere Löcher, unsere Fehlbarkeit. Es ist unsere Furcht, die wie ein schwarzer Fleck auf unserer Seele lastet. Die sich ausbreitenden schwarzen Spritzer und Linien zeigen an, wie sehr wir uns bemühen, sie zu verteilen, sie nicht so sichtbar werden zu lassen. Aber vor dieser großen Angst des Menschen steht oder hängt Jesus am Kreuz. ER ist es, der unsere Ängste und uns schützen, umhüllen will. ER ist es, der uns bedeckt, zudeckt.

Sind es nur unsere Ängste? Und was heißt “nur”? Vielleicht kann man sagen, diese Ängste sind der Teufel, unser eigener Teufel und die bösen Mächte, unsere finsteren Seiten, die in uns wohnen und wüten und uns belasten, aus denen wir aus eigener Kraft nicht herausfinden. Aber was sind die Teufel unserer Zeit? Jeder Mensch wird da andere für sich benennen können. Ängste begleiten unser Leben, unseren Alltag auf Schritt und Tritt: zu versagen, zu vergessen, nichts richtig und gut zu machen. Und genau darum geht es: Wie kann man seine Angst bekämpfen oder gar besiegen? Niemand vermag das wirklich erfolgreich. Und darum ist Jesus vor uns und schützt uns – auch vor uns selbst. …

Die Kunstinstallation von Michael Bracht kommt nicht von ungefähr und nicht zufällig jetzt. Es ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit uns Menschen, ja des Künstlers Michael Bracht mit sich selbst und – von außen herangetragen – mit dem „Lutherjahr”, dem 500. Jubiläum der Reformation. Von Luther wissen wir, dass er eine tiefsitzende Angst vor dem Teufel und seinen Mächten hatte, dass er Schuldgefühle bis zu seinem Tod hegte. Bekannt ist die Episode auf der Wartburg, wo er bei seiner Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche in der Nacht sein Tintenfass nach dem vermeintlichen Teufel an die Wand warf. Diese Überlieferung führte wohl zu der Gestaltungsidee des Themas “Angst”. Einer Angst, der sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens stellen muss, ob nun im Geheimen oder ganz offen.

Der Pfarrer der Kirchengemeinde Sankt Petri und Künstler Michael Bracht sagt dazu: “Meine Installation im Kirchraum von Sankt Petri beschäftigt sich mit der vielleicht entscheidenden Triebfeder, die schließlich zur Reformation führte: den Ängsten Martin Luthers und den Antworten, die er gefunden hat. Sie fragt zugleich nach den Ängsten der Betrachter und fordert sie auf, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und selbst Antworten zu finden.”

Michael Bracht trieb es um, dieses Thema zu gestalten. Er begann vor fünf Jahren, erste Ideen zu entwickeln und überlegte wie es wäre, viele Tintenkleckse öffentlich aufzuhängen. Daraus wurde dann nichts. Und so reduzierte er die Mehrzahl von Tintenflecken auf den einen. Er sprach somit nicht mehr vom Wir, sondern vom Ich. Nicht das Verstecken hinter der Schuld und der Angst vieler, sondern bezogen auf mich, mein Versagen, meine Unzulänglichkeit, meinen Anteil. Das ist wesentlich konzentrierter und auch ehrlicher im Bekenntnis. All diesen Überlegungen trägt die Bildgröße Rechnung; sie entspricht in etwa der Altarbreite, ist deckungsgleich mit 2 x 2 Metern, so dass die Intention von Bracht („Angst / Schuld der Menschen, die hinter dem Altarkreuz verschwindet, aber dennoch sichtbar bleibt“) sehr gut deutlich wird.

Eine tolle Idee und eine beeindruckende Umsetzung! (leicht gekürzte Vernissagerede)

Ansicht von rechts
Ansicht von links

Ent-Festung

„Es häufen sich die Anzeichen für ein neues Unbehaustsein“ – schreibt Vilem Flusser 1989 geradezu prophetisch in der Basler Zeitung unter der Überschrift „Häuser bauen“. Die Entfestung unserer Existenz ist ein sich über Jahrhunderte vollziehender Prozess. Anfangs betraf er nur unsere Stadtgrenzen, deren Sicherung durch Mauern und Türme unsinnig geworden war, weshalb sie heute nur noch pittoresken Charakter haben. Es blieben die Nationengrenzen und die privaten Häusergrenzen. Während die Menschen über Jahrhunderte versuchten, sich in festen Häusern und Nationen einzurichten (‚Festung Europa‘), begannen ihre Behausungen in neuerer Zeit immer durchlässiger und fragiler zu werden. Erst waren es die Antennen, dann die Drähte, schließlich die Kabel und Netze, die aus den massiven Abgrenzungen gegenüber der Umwelt nahezu transparente Gitter werden ließen: „Das heile Haus wurde zur Ruine, durch deren Risse der Wind der Kommunikation bläst.“ Und die globale Kommunikation macht auch die nationalen Grenzziehungen, die immateriellen Grenzen immer willkürlicher. Wir können zwar weiterhin (verbal) Festungen errichten, aber wir kommen nicht umhin, unsere zunehmend instabiler und netzartiger werdende Existenz neu zu reflektieren. Die Scholle ist heute nur noch ein Element, kein Argument mehr.

Madeleine Dietz verleiht diesem epochalen Prozess vom Sichtbar- und Bewusstwerden unseres Unbehaustseins und der Rückkehr zum Nomadischen einen künstlerischen Ausdruck. Das Material ‚Stahl‘ steht zunächst für den Schein der Sicherheit, für Konstruktion und Abgrenzung, für Undurchdringlichkeit. In dem Moment, in dem wir uns unsicher fühlen, beginnen wir Mauern zu errichten und Zäune hochzuziehen und verwandeln aber zugleich das eigene Gebiet in ein Gefängnis (weitere Ansicht). Die bei Madeleine Dietz sichtbar werdende künstliche Schichtung der Materialien, ihre an Instabilität grenzende Konstruktion verweist aber auch auf die Brüchigkeit dieses Prozesses. Ihre Objekte stehen im Weg, erzwingen Um-Wege, schließen sich aber nicht mehr. Dietz schichtet Stahlplatten, wie ehedem ihre Erdstücke, zu einem Gebilde, das bei aller scheinbaren Solidität zugleich auch fragmentarische Züge bekommt. Der Stahl behält so zwar seinen materialimmanenten konstruktiven Charakter, aber er wirkt nun vor-läufig, nicht mehr end-gültig. Er kann sich zwar noch zu einem Kubus erheben, aber die Stahlplatten rundherum lassen die Gegenkräfte erkennbar werden, die drohende tektonische Verwerfung, die Gefahr „einstürzender Neubauten“. Das Ganze wird zu einem Objekt, das Entwurfscharakter hat, weil es jederzeit sich verändernden Gegebenheiten angepasst werden muss, damit seinen Festungs-Charakter verliert und potentiell nomadisch wird. Das ist unmittelbar politisch.

Im Kontext der früheren Arbeiten von Dietz, die ebenfalls vom Ruinösen und vom Vergänglichen sprechen, tritt nun verstärkt das Element des Transitorischen, des Übergangs hervor. Es ist eine künstlerische Metapher. Die Gitterzäune, die wir heute erleben, bieten keine Sicherheit, sondern machen die Willkürlichkeit, die Künstlichkeit dieser Art der Grenzziehungen sichtbar. Die stählernen Gebilde können morgen schon andere Gehäuse bilden, aber sie können nicht mehr der End-Gültigkeit der Abgrenzung dienen, sie sind Konstruktionen, die auch dekonstruiert werden können. Gitter, Stahl, Erde gibt es weiterhin, aber sie sind nun reversible Elemente, Mittel im Prozess von Verflechtungen, Aufbrüchen und neuern Zusammenstellungen. (Text bis hierher von der Künstlerin zur Verfügung gestellt.)

Damit kann die Installation als Sinnbild für die Notwendigkeit bezeichnet werden, sich stets anzupassen. Unser Umfeld verändert sich unaufhörlich und stellt immer wieder neue Herausforderungen an unsere Flexibilität. Wir können nur durch Anpassung überleben, durch das Eingehen auf diese Veränderungen und im Annehmen und Integrieren derer. Widerstand ist in Maßen möglich und will gut überlegt sein (vgl. Lk 14,25-35). Wer nicht mitmachen will oder kann, wird ausgegrenzt, was aber nicht automatisch zum eigenen Nachteil sein muss. Inmitten eines starken und manchmal fast überwältigenden Umfeldes tut ein umso stärkerer innerer Halt gut, der Orientierung gibt in allen Veränderungs- und Anpassungsprozessen.

Standortbestimmung

Unwirklich zerreißt das lilafarbene Element die mit roten Strichen fein strukturierte Fläche. Die Schatten an seinen Rändern wirken bedrohlich dunkel und unheilvoll. Die rote Intensivierung auf der anderen Seite lässt wiederum an schmerzhaft entzündete Wundränder denken. Die Schattierungen suggerieren einen Absatz, eine Tiefe oder auch ein Dahinter – auf jeden Fall eine andere, durchaus auch geheimnisvolle Ebene, weil sie sich nicht gleich erschließt. Die ungleichen „Bruchkanten“ oder die Ränder des „Risses“, die nicht „zusammenpassen“, tragen das ihre dazu bei.

Beidseits dieses lilafarbenen Elements breiten sich Flächen mit intensiver roter Schraffur aus. In den unteren zwei Dritteln ist die Struktur durch die Zweifarbigkeit ruhiger als oben gestaltet, besitzt aber wegen der Verdichtung im unteren Bereich dennoch aufstrebenden Charakter. Dazu trägt auch der helle Saum ganz unten und der größere Weißanteil am oberen Rand bei. Die Fläche oberhalb des lila Streifens ist durch einen dichten gelblich-roten Bereich intensiver als unten gestaltet. Dadurch wirkt er im Vergleich zu seinem Pendant unten wärmer und stärker.

Was sich uns beim Betrachten eines digitales Abbildes entzieht, ist die Tatsache, dass die roten Striche, welche das ganze Bild wie eine Textur überziehen, im Original nicht additiv, also durch Hinzufügen von Farbe, sondern durch Abkratzen von Farbe entstanden sind. Mit einem Messer hat die Künstlerin die oberflächliche Farbschicht aus Ölpastell weggeschabt, damit die rote Grundierung aus Acryl, welche auch den Rand der Arbeit bildet, wieder zum Vorschein kommt.

Reinhild Gerum hat mit dieser Technik in den letzten 15 Jahren über 170 Blätter gestaltet. Sie hat damit wenige Tage nach dem Attentat auf die Twin Towers in New York angefangen. Sie schreibt dazu: „Der Vorgang dieses Abkratzens ist zerstörerisch, andererseits gelingt es nur auf diese Weise, das Rot, welches Kraft und Energie pur spüren lässt, zum Vorschein zu bringen. Rot als Farbe der Auflehnung gegen die Schreckstarre, die damals rundum wahrzunehmen war. Es ging in dieser Situation der Verwirrung und Verunsicherung um die Bestimmung der persönlichen Lage, die täglich mit der Auswahl der Farben auszuloten war.“ (Reinhild Gerum, Zeichnung und Installation, 2012, S. 54)

Der Bedrohung und Verunsicherung stellt die Künstlerin die Standortbestimmungen gegenüber. Immer und immer wieder. Erinnernd, fragend, ins Heute vergegenwärtigend: Wo stehe ich? Wo befinde ich mich aktuell? Wo will ich hin? Die Serie der Standortbestimmungen bildet die Notwendigkeit ab, immer wieder innezuhalten, sich selbst auszuloten und seine Mitte zu finden. Sie motiviert, sich mit der Gegenwart und ihren vielfältigen Anforderungen auseinanderzusetzen, um sich selbst und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade wenn Erschütterung und Verwirrung, Zerstörung und Angst drohen uns handlungsunfähig zu machen. Die Bilder ermutigen, sich mit Brüchen und Wunden in unserem Leben auseinanderzusetzen und erstarkt aus ihnen herauszugehen.

Ein Licht strahlt auf

Eine Vielzahl an Blautönen verleiht diesem Bild eine faszinierende Stimmung. Wolkenartig gehen sie ineinander über, zu den Bildrändern hin dunkler werdend, im unteren Bereich die schattigen Umrisse einer menschlichen Gestalt in sich bergend, nach oben geradezu vor der hellen Lichterscheinung zurückweichend.

Das Bild lebt von diesem Gegensatz, bei dem sich Hell und Dunkel nicht feindlich gegenüberstehen, sondern durchdringen. So sind in jedem Bildteil Farbnuancen aus anderen Bereichen zu finden. Am stärksten kommt dies im dialogischen Gegenüber des hellen Zentralbereichs und der zu einer Schale geformten Kreatur am unteren Bildrand zum Ausdruck. Gekrümmt und armselig liegt die menschenähnliche Gestalt am Boden. Sie ist nicht viel mehr als ein Schatten in der Nacht. Ihre Konturen sind vage, nur das Gesicht vermeint man wahrzunehmen. Der Kopf erscheint erhoben, die rechte Hand ans Ohr gelegt, um besser hören und sehen zu können. Alles an ihr ist auf die Lichterscheinung über ihr ausgerichtet Diese bildet ein Dreieck, in dessen Innerem ganz Unterschiedliches gesehen werden kann, da sich die Helligkeit zur Mitte hin verdichtet und nach unten eine auslaufende Struktur aufweist, wie sie Regenböen eigen ist. Unaufdringlich wird mit diesen Symbolen göttliches Wirken angedeutet. So kann im Dreieck der dreieinige Gott gesehen werden, der sich vom Himmel her dem in der Dunkelheit darbenden Menschen zuneigt und ihn mit der blauen Spitze ganz zärtlich zu berühren scheint, um ihn nicht zu verletzen und doch aufzuwecken. In der hellsten Stelle der Lichterscheinung ist zudem eine senkrecht stehende menschliche Gestalt zu erkennen. Sie scheint die Arme ausgebreitet zu haben und nur mit einem Lendenschurz bekleidet zu sein. Ist es der Gekreuzigte, Jesus, der sich im Licht dem in der Dunkelheit liegenden Menschen offenbart? Oder darf in der Erscheinung auch ein Engel gesehen werden, der vom Licht aus der Höhe umgeben auf die Erde niedersteigt? Die violetten Wolkenfetzen lassen zudem an einen dritten Austausch zwischen den beiden denken, an etwas, das auf den Liegenden herunterfällt.

All das lässt in dem Bild etwas Adventliches sehen. Dabei kann der Liegende als das Volk Israel, das seinen Retter erwartet, oder als Maria, die Auserwählte, gedeutet werden. Schon der Prophet Jesaja (9,11) kündigte an: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.

Durch das aufstrahlende Licht ist dieser Mensch fortan nicht mehr allein. Der Retter kommt und bringt Licht in die Dunkelheit, Leben in die Unbeweglichkeit. Schon … und doch noch nicht. Aber das Licht ist in Sicht und erste Berührungen und heilende Begegnungen finden statt. Die größte Sehnsucht ist gestillt, das ungewisse Warten macht einer absehbaren Erwartung Platz.