Zweiwerdung

Eine junge Frau mit kurzen Haaren und ein Mädchen mit zu Zöpfen gebundenen Haaren umarmen sich gegenseitig. Die Begegnung lebt von den gebogenen Körpern, der doppelten Verbindung der Arme und dem intensiven Blickaustausch.

Die schlanken, nur mit drei Beinen den Boden berührenden Gestalten verstärken diese Bewegungen. Die dünnen Beine und Arme verleihen den beiden Frauen etwas Feines und Tänzerisches, etwas Kostbares und doch auch Zerbrechliches. Die dynamische Begegnung strahlt etwas Temporäres und Vergängliches aus. Durch den engen Körperkontakt im Bauch- und Hüftbereich wird die eine Zeit lang währende enge Verbundenheit von Mutter und Kind zum Ausdruck gebracht. Doch durch den nach hinten gebogenen Oberkörper und Kopf wird auch ein Auseinanderwachsen angedeutet.

„Zweiwerdung“ nennt die Künstlerin deshalb diese Skulptur. Von Seiten der Tochter ist es nach wie vor ein Aufschauen zu ihrer Mutter. Sie hängt noch an ihr, doch signalisiert der die linke Schulter umfassende linke Arm gleichzeitig eine kollegiale Geste. So wie die beiden Zöpfe in der Luft schweben, könnte das Überbringen einer freudigen Nachricht vorangegangen sein. Der kurzen innigen Verbindung folgt fast unmittelbar das Auseinandergehen. Es folgt ein Auf-Distanz-Gehen zur Mutter, in dem sie von dieser zum einen mit der rechten Hand noch gehalten oder sogar fest an sich gepresst festgehalten wird, zum anderen mit der linken Hand bereits losgelassen wird.

Der Blickkontakt zwischen den beiden Frauen ist ungewöhnlich stark. Es ist ein gegenseitiges Anschauen, das Bände spricht. Unsichtbar, intensiv, gegenwärtig. Sie schauen sich von unten nach oben und von oben nach unten an – und doch auf Augenhöhe. Ernst, liebevoll, ruhig auf der einen Seite, spielerisch, dankbar, ungestüm auf der anderen Seite. Es könnte ein Wiedersehen sein, doch vielmehr klingt ein Abschied an, die Absicht, sich von der Mutter zu lösen und eigene Wege gehen zu wollen. Die Beziehung wird sich wandeln, doch das Wissen um den Ursprung und die gemeinsame Geschichte werden den weiteren Lebensweg beider Frauen prägen.

Ob es verwegen ist, sich die Beziehung zu Gott auch so herzlich vorzustellen? Ihn umarmend, an seinem Hals hängend? Seine mütterliche, lebensspendende Nähe so intensiv zu spüren, in stetigem Blickkontakt und Austausch mit ihm zu stehen, sein Auge wohlwollend und zutrauend auf mir ruhend zu wissen, mich haltend und doch ermutigend freigebend, um eigene Wege gehen zu können? Und wie Mütter ein Leben lang für ihre Kinder da sind, sagt auch Gott seinen Kindern Rettung und Schutz zu, gerade weil sie an ihm hängen. „Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen. Ruft er zu mir, gebe ich ihm Antwort. In der Bedrängnis bin ich bei ihm, ich reiße ihn heraus.“ (Ps 91,14f)

Trinität

Ganz hell präsentiert sich dieses dreiteilige Bild. Bis auf drei dunklere Bereiche sind alle Farben so stark aufgehellt, dass das Dargestellte nur wie durch einen Nebelschleier hindurch zu erkennen ist.

Irgendwann assoziieren wir das Dargestellte vielleicht mit drei menschenähnlichen Gestalten, die sich um eine gelbe Mitte versammeln, denn der Bildaufbau verwendet die gleichen Hauptelemente wie Andrej Rubljow am Anfang des 15. Jahrhunderts in seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone. Doch während dieser die drei göttlichen Personen durch Engelsgestalten darstellte, deutet Bernd Zimmer sie als energiegeladene Außerirdische in einer transzendenten Atmosphäre an. Beim einen sind sie um den Tisch (Altar) mit Schale und Brot versammelt, beim anderen um ein lichtes Ereignis in ihrer Mitte. Sind die drei göttlichen Personen in der Ikone als solche klar erkennbar, steht man beim Triptyk eher einem Rätsel gegenüber. Hier wird zweifelsfrei eine Trinität dargestellt, die im Wesen eins ist, aber sie entspricht nicht unseren Vorstellungen, sondern ist anders als wir. Es bestehen wohl Ähnlichkeiten, so dass wir bei ihnen von einem Körper und einer Art Kopf sprechen können, aber Gott bleibt der Nicht-Darstellbare, der ganz Andere.

Wie hat sich Bernd Zimmer nun dennoch bildlich ihm angenähert? Als erstes wählte er drei gleich große Leinwände, die er durch die Farben und das gleiche Motiv zu einem Triptyk vereint. Dann stellt er die drei Gestalten in ein blendend helles Licht, so dass sie wie auf einem überbelichteten Foto nur ganz schwach zu erkennen sind. Je nach Lichteinfall sind sie mehr zu erahnen als zu sehen. Ihre Körper bestehen aus weißen Energieströmen, die von einer gelben Mitte auszugehen scheinen und individuell zu drei aufrechten Gestalten aufsteigen und je in einem kopfähnlichen Gebilde enden. Diese bestehen stets aus einer dunkleren, grünlicheren Innenform (rechts am wenigsten), bräunlichen Strichzeichnungen, in denen Kopfformen ausgemacht und Gesichtszüge gesehen werden können sowie mit etwas Abstand dazu einer rundlicheren Umrisslinie, die an die Außenform einer Glühbirne oder gar an einen Heiligenschein denken lässt.

So wie die „Köpfe“ eine dreiteilige Erscheinung haben, so durchzieht das Thema „Trinität/Triade“ die Arbeit in immer neuen Variationen. Wir haben ein dreiteiliges Bild mit drei gleichbedeutenden Gestalten, deren Einheit nur durch die Trennung der Leinwände unterbrochen wird. Jede Gestalt besteht im Wesentlichen durch eine grau-weiße, bzw. in der Mitte durch eine gelb-weiße körperliche Abgrenzung vom lindgrünen Hintergrund (je drei Farben) und dem dreifach ausgeformten einen „Kopf“.

Die drei Gestalten sind um das leuchtend gelbe Ereignis versammelt, das wiederum von einer kreisrunden Mitte auszugehen scheint. Etwas Spritziges wohnt diesem Ereignis inne, ebenso etwas Leichtes im schwebenden Überlagern der anderen Farben, etwas Vereinendes im Übergreifen auf die seitlichen Bildteile. Wie von einer gemeinsamen Energiequelle scheinen die Drei aus diesem einen Wesen zu leben.

Der Künstler bleibt in seiner Darstellung der Trinität offen. Er hat mit den „schemenhaften weißen Phantasmen“ … „eine Figuration, die aber ohne Identität ist“ geschaffen, eine Präsenz, „die eine kultische Assoziation zulässt, ohne sie zu definieren“ (Walter Grasskamp im Gespräch mit Bernd Zimmer in: Das menschliche Format, S. 41/43, München 2010). Für den Künstler muss das Bild „als strahlende Erkenntnis erscheinen, die Nichtfarbe Weiß, fast neutral in ihrer Erscheinungsform, muss den Bildraum bestimmen. Eine weiße Leinwand, gleich einer durchbrochenen Nebelwand, symbolisiert die Anwesenheit des Undarstellbaren“ (ebda.).

So kann das Bild durch die drei Gestalten mit der Erscheinung Gottes an Abraham bei den Eichen von Mamre (Gen 18,1-15) verbunden werden, durch das feurige Ereignis in der Mitte aber genauso gut mit der Erscheinung Gottes an Mose im brennenden Dornbusch, bei der er sich als „Ich-bin-da“ offenbarte (Ex 3,14). Er ist der Lebendige, der aus seiner Mitte heraus der ganzen Schöpfung Leben schenkt. Nicht nur den Menschen hat er als sein Abbild geschaffen (Gen 1,27), sondern auch des Menschen Familie, die traditionell aus Vater, Mutter und Kind besteht. Vielleicht verbinden wir gerade wegen dieser ursprünglichen Erfahrung so viel mit der Zahl Drei. So kann eine dreifache Manifestation kein Zufall mehr sein und steht somit für ein glaubwürdiges Zeugnis. Gleichzeitig deutet sie auf Vollkommenheit hin. In dem Sinne hat die Zahl Drei als eine allumfassende Zahl in vielen Religionen vielseitige Anwendung gefunden (u.a. z.B. Erde, Himmel, Hölle; Glaube, Hoffnung, Liebe), im Christentum ganz ausgeprägt im dreieinigen Gott. Er ist die Fülle des Lebens, aus der alle leben, in ihm findet auch alles Leben seine Vollendung. Und ist es nicht so, dass das Leben gerade in den Beziehungen seine Vollkommenheit erfährt, in der gelebten Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen? – Auch da ist uns die Trinität Vorbild.