Gefangen

Grünblaue Schnüre zurren einen Inhalt zu einem unbeweglichen Paket zusammen. Teilweise ist das Innere noch zu sehen. Senkrechte Elemente blitzen durch, schauen stellenweise hervor. Weiß in ihrer Farbe. Darüber rosarote Farbfetzen. Doch viel ist es nicht.

Was hier wohl zusammengeschnürt worden ist? Wir werden es nicht erfahren. Wir können Vermutungen äußern, Überlegungen anstellen. Von der Form und ihren Proportionen her vermag das Bündel an eine menschliche Gestalt zu erinnern. Es ist, als wäre rechts unten noch ein Fuß wahrnehmbar, im Bogen darüber eine Schrittbewegung, noch weiter oben eine gebeugte Schulter, ein gesenkter Kopf. – Aber so etwas kann doch nicht sein, eine derart beengende Einschnürung wird doch hoffentlich niemandem angetan. – Dieser Gestalt scheint wie von einer Vakuumpumpe alle Luft entzogen. Von den Schnüren fest umwickelt bleibt kein Bewegungsspielraum mehr, nur Erstarrung.

Die Frage bleibt, ob diese Figur für uns Menschen stehen kann. In den Ähnlichkeiten und Anspielungen an die menschliche Gestalt ist der Zweifel gesät. Gibt es nicht Situationen in unserem Leben, in denen wir uns gefangen vorkommen, weil wir uns von unsichtbaren inneren oder äußeren Fesseln zurückgehalten fühlen? Gibt es nicht Handlungen, durch die wir uns nach und nach in eine Sache verwickeln, verstricken oder verheddern, so dass uns immer mehr Bewegungsfreiheit abhanden kommt, bis wir schließlich bewegungslos aufgeben müssen? Die Aufzählung könnte sicher noch lange weitergeführt werden.

Was auch immer in der Plastik gesehen wird, sie macht deutlich, dass hier keine Befreiung mehr aus einer inneren Kraft heraus möglich ist. Wer oder was sich hier in den Schnüren wie in einem Spinnennetz verfangen hat, ist den Weg bis zum Ende gegangen. Befangenheit wurde vielleicht zu einem Verhängnis, dieses mit der Zeit zu einem Gefängnis, einem langsamen Erstarren, das letztlich zum Tod führte.

Die mit Schnüren umwickelte Figur gibt einen Prozess wieder. Es gab eine Zeit ohne Schnüre. Und es gab auch eine Zeit, in der eine Abwendung des finalen Zustandes noch möglich gewesen wäre. Eine Zeit, in der es noch aus eigener Kraft möglich war, entweder die wenigen Bindungen abzustreifen, sie durchzuschneiden, oder auch jemanden um Hilfe zu bitten, der einem aus dem Korsett der Schnüre befreit.

Die Plastik mahnt auf eindrückliche Art und Weise, dass es in unserem Denken und Handeln ein Zu-Spät gibt. Wer die Freiheit bewahren will, muss auf sichtbare und unsichtbare Fesseln achten, die sich zu jeder Zeit bewusst oder unbewusst um ihn legen. Und er / sie wird sich immer wieder neu für das Leben und gegen behindernde und gar lähmende Bindungen entscheiden müssen. Rechtzeitig.