In beschwingter Bewegung füllt der Dollar-Schein das Bildfeld. Von links nach rechts aufsteigend, findet die horizontale Bewegung im farblich hervorgehobenen Bild eines Mannes ihren Höhepunkt, um dann in die Vertikale zu gehen und in der rechts unten angedeuteten Person ihren Abschluss zu finden. Mit wenigen Strichen lenkt der Künstler damit unsere Aufmerksamkeit auf den „am Boden“ liegenden, durch seine violette Farbe auch als leidend charakterisierten Menschen. Er scheint unter dem Geldschein Schutz gefunden zu haben und von der Person über ihm begünstigt zu werden.
Mit seiner runden Brille, den kurzen Haaren und dem gepflegten Aussehen ist letzterer unschwer als Bill Gates zu identifizieren, dem Gründer von Microsoft. Mit Computersoftware wurde er zu einem der reichsten Männer der Welt. Die schwungvolle Bewegung der Banknote unterstreicht seinen wirtschaftlichen Aufstieg, seine Positionierung neben George Washington stellt ihn als einen für Amerika und damit für die ganze Welt äußerst einflussreichen Mann dar. Dies geschieht einerseits durch die von ihm vertriebene Software, die unsichtbar weite Bereiche unserer Gesellschaft steuert, andererseits durch das Geld.
Die raumfüllende Banknote lässt die Dominanz des Geldes spüren. Ihre schwebende Darstellung suggeriert, dass es leicht verdient werden kann. Der Umstand, dass die Farbe des „Greenback“, wie der Geldschein aufgrund seiner Farbe genannt wird, zur Hintergrundfarbe geworden ist und das ganze Bild beherrscht, visualisiert zudem die Macht und den Einfluss des Geldes: So transparent und leicht die Banknote erscheint, so bedeutungsschwer durchdringt und beherrscht das Geld das Denken und Tun vieler Menschen – im Guten wie im Schlechten.
Dieser Gedankenansatz ist weiterzuverfolgen. Die rote, herunterhängende Krawatte von Bill Gates legt eine Verbindung zu der Person unter ihm nahe, die im Gegensatz zu ihm „gesichtslos“ und haltlos dargestellt ist. Der rote Schlips weist mit seiner Form zudem auf das Solidarisierungssymbol der Anti-Aids-Kampagne hin, so dass der Liegende als Aidskranker interpretiert werden darf. In seiner für viele stehenden Person schließt sich der Kreis. 1999 haben Bill und Melinda Gates die weltweit größte Privatstiftung gegründet, die heute mit den Zinsen des über 37 Milliarden US-Dollar großen Grundkapitals so umfassend wie keine andere Institution infektiöse Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und vor allem auch Aids bekämpfen kann. Darauf weist die Dollar-Note hin. Sie ist die Grundlage dieser einzigartigen Initiative und all des Guten, was damit gemacht wird.
Dass der Künstler sein Bild allerdings in den Zusammenhang mit dem Almosen Geben und Jesu Bergpredigt (Mt 5-7) bringt, muss uns stutzig machen. Almosen ist ein altertümliches Wort, das an kleine Geldbeträge erinnert, an die Münzen, die wir verschämt in den Hut eines am Straßenrand Sitzenden oder in den Klingelbeutel der Kirche werfen, aber nicht an Bill Gates und seine Riesenstiftung. Auch die Überlieferung der Worte Jesu aus der Bergpredigt – der Zusammenfassung der Maximen christlichen Verhaltens im Leben – will nicht zur Stiftung von Bill Gates und den Aids-Kranken passen. Sind das nicht heutige Probleme?
Jesus sagt: „Hütet Euch, Eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen, sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir her posaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“ (Mt 6,1-4)
Was für Gegensätze in der Zeit, in der Sprache und sicher auch in der Geldmenge! Kann denn eine Milliardenstiftung verborgen bleiben, so dass nur Gott davon weiß? Geht es nach Jesu Aussage wirklich darum, dass Geldspenden nur im Verborgenen gemacht werden dürfen? Jesus lebte und lehrte in einem sozialen Umfeld, in dem die Bedürfnisse der Hungernden und Dürstenden, der Obdachlosen und Kranken vom „Nächsten“, das heißt von der Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft abgedeckt wurden. Da lag es nahe, in den kleinen Gemeinschaften mit seinen Guttaten zu prahlen, um Anerkennung und Lob zu erhalten und sich gegenseitig zu übertreffen.
War das nur damals? Sind uns diese menschlichen Verhaltensweisen nicht auch bekannt? Vor aller Augen Gutes zu tun, um mit seinem Vermögen zu imponieren, Wählerstimmen zu gewinnen, den Steuerfreibetrag zu erhöhen usw.? Dieses Verhalten prangert Jesus an. Ihm geht es um die Transparenz des Einsatzes. Wer etwas Gutes tun will, der muss es uneigennützig machen, voll und ganz für den Bedürftigen. Alles andere ist unehrlich und ungerecht. Diesbezüglich gilt das Wort Jesu für seine Zeitgenossen wie für moderne Wohltäter, für kleine wie unermesslich große Almosen. Bill Gates steht stellvertretend für jeden von uns, der mit einem Teil seines Vermögens Gutes tut, der Dollar-Schein für jeden Geldbetrag und Zeitwert, den wir teilend einsetzen, um die vielgestaltigen Nöte anderer Menschen zu lindern und ihr Leben lebenswerter zu gestalten.
Gerade wer viel Geld spendet, wer viel Gutes tut, kann dem Medieninteresse und -rummel schwer entgehen. Das Verbreiten eines guten Werkes kann ja auch Gutes bewirken und z.B. andere Menschen anregen, auf ihre Weise Ähnliches zu tun. Entscheidend wird die Herzensbewegung des Gebers sein. Diesen in der Tiefe des Herzens verborgenen Grund wird nur Gott einsehen und bewerten können … Aber ist das überhaupt nötig, wenn man mit einem reinen Herz schenkt?
Diese Arbeit stammt aus dem sehr schönen und mit 34 anregenden Bildern gestalteten Buch „Die Bergpredigt. Evangelium nach Matthäus, Kapitel 5-7″. Weitere Informationen sowie eine Bestellmöglichkeit finden Sie auf der Website des Fütterer-Verlags.