In die Hand gelegt

Ein sitzender Buddha meditiert ein mit Brombeerranken umwickeltes Bündel, das von der Größe und der Lage her an ein Kleinkind erinnert. Was für einen spannungsvollen Gegensatz hat die Künstlerin durch das Zusammenbringen dieser beiden Objekte aufgebaut, was für Welten sich dadurch begegnen lassen.

Schon rein materiell betrachtet bildet die glänzend-weiße Oberfläche des Porzellans einen kontrastreichen Hintergrund zu den matten Naturmaterialen des Bündels. Während die Buddhafigur sitzt und in einer meditativen Haltung verweilt, liegt das dornige Objekt passiv in ihrem Schoß und scheint die Situation zu erleiden. Außerdem steht die industriell-serielle Fertigung der Buddhafigur einer einmaligen manuellen Herstellung des Bündels gegenüber.

Die Buddhafigur stellt in idealisierter Form Siddharta Gautama dar, der meditiert, um Erleuchtung zu erlangen. Er sitzt mit gekreuzten Beinen da, eine Hand liegt in der anderen, beide Handflächen zeigen nach oben. Seine Augen sind geschlossen, sein Kopf leicht nach vorne geneigt. Auffallend sind auch seine großen Ohren, die hörende Offenheit signalisieren. Die Konzentration seiner Sammlung, die Hinwendung all seiner Sinne auf eine unsichtbare, transzendente wie immanente Präsenz ist deutlich spürbar.

Die Zufriedenheit, die er ausstrahlt, der Frieden, der von ihm ausgeht, lassen ahnen, dass er dieser geheimnisvollen Gegenwart begegnen und in dieser Begegnung verweilen durfte. Umspielt nicht ein leises Glück seine Mundwinkel und seine Augen? Er macht den glücklichen Eindruck, den oder das gefunden zu haben, das ihn erfüllt, ihm Halt gibt und ihn tief in sich ruhen lässt.

Macht das vielleicht die Faszination der Buddhafiguren aus, dass sie Ruhe und Harmonie, Zufriedenheit und ein Glücklich-Sein ausstrahlen, die wir uns so sehr ersehnen und in den Gesichtern unserer Mitmenschen so oft suchen? Ist er vielleicht deshalb auch für Christen so attraktiv geworden, weil er zu den unzähligen Kreuzigungsdarstellungen, die das Bild von Jesus mitprägen, eine Alternative bietet, bei der nicht das Leid und der Tod, sondern die Suche nach Erkenntnis, Ausgeglichenheit und Glück, letztlich das Leben im Hier und Jetzt im Vordergrund steht?

Das Bündel in seinem Schoß scheint ihn in seiner Meditation nicht zu stören, auch wenn es in den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit gelegt wurde. Für den Betrachter wird es aber zur humanistisch-christlichen Herausforderung, bei aller Konzentration auf das eigene Wohlergehen nicht den Blick für die Umwelt und Mitmenschen zu verlieren, für ihre Not und ihre Leiden. Das verschnürte Bündel aus Zeitungen und Stoff erinnert zum einen an ein Kleinkind, zum anderen schaffen die Dornenranken und das mit roter Farbe betupfte Tuch einen eindeutigen Bezug zum Leiden Jesu. Damit vermag das Bündel das Elend und die Hilfsbedürftigkeit der Menschen in ihrer lebenslänglichen „Menschwerdung“ von der Geburt bis zum Tod zu symbolisieren.

Offensichtlich ist auch die formale Ähnlichkeit mit einer Pietà. Von Maria sind unzählige Darstellungen überliefert, in denen sie ihren Sohn mit Freude als Kleinkind und mit Trauer als Verstorbenen in ihrem Schoß gehalten hat. Wie sie sollen wir den uns Anvertrauten das ganze Leben lang Halt geben. Letztlich geht es der Künstlerin darum, darauf hinzuweisen, dass Kontemplation und Aktion zusammengehören, dass wir einerseits leere Herzen und Hände brauchen, um uns selbst zu finden, andererseits um Einsicht und Mut zu erhalten, wo und wie wir in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen und zum Wohle der ganzen Welt handeln müssen. – Denn vollkommenes Glück erreicht der Mensch nur in der Zuwendung zum Menschen.

Glück !?

Die beiden an sich unabhängigen Bilder stehen einander thematisch und kompositorisch nahe. In beiden Werken steht ein Bild einem Durchgang mit vergleichbaren Proportionen gegenüber, der mit Licht erfüllt ist. Auch Gegensätze prägen die Komposition: Die Bilder sind im Vergleich zu den Durchgängen erhöht. Auf ihnen sind Heilige in ekstatischer Haltung dargestellt, die von je zwei spielenden Putten begleitet auf Wolken schwebend in den Himmel entrückt werden. Neben dieser „dreifachen“ Erhöhung sitzt ein Kind auf der Treppe bzw. steht ein weiteres auf dem Boden. Sie sind allein und wirken verloren in der großen Türöffnung und vor dem undefinierten Hintergrund. Während ihre unsichtbaren (da von ihnen aus um die Ecke herum platzierten) Gegenüber mit ausgebreiteten Armen dem Licht über ihnen entgegenschauen, sind sie mit sich selbst beschäftigt. Der Junge zündet sich gerade eine Zigarette (oder einen Joint) an, während das Mädchen von ihrem Idol Marilyn Monroe träumt. Dieser Genuss, diese irdische Vision scheint sie zu „elektrisieren“.

Die Bilder erscheinen wie aus der Türe herausgeschnitten und an die Wand gehängt. Obwohl sie thematisch in eine Kirche gehören würden, befinden sie sich in einem weltlichen Gebäude. Mit Maria und Franziskus (erkennbar am Ordensgewand und den Stigmata) werden zwei der wichtigsten Vorbilder des christlichen Glaubens in glücklichen Momenten ihres Lebensweges gezeigt. Ihre Platzierung im Museum deutet an, dass sich die Frage nach der erfüllenden und beglückenden Lebensgestaltung überall und zu jeder Zeit stellt, letztlich aber doch sehr religiös geprägt ist. Welche Bindung macht mich glücklich, schenkt mir inneren Frieden? Wer oder was motiviert mich, ermutigt mich und schenkt mir die Kraft, Großes zu erreichen?

In der Gegenüberstellung der barocken Heiligenbilder mit der heutigen Wirklichkeit der Kinder stoßen nicht nur Vergangenheit und Gegenwart aufeinander, in den Personen begegnen sich auch die Erfüllung und die Suche danach. In diesem Bild wird neben der Frage der Sinnfindung auch die Berufs- und Berufungsfrage angeschnitten, die sich sicher bei Kindern und Jugendlichen am intensiven stellt, uns aber gewissermaßen immer wieder neu begegnet: Wo will ich hin? Zu was bin ich berufen? Die lichten und grenzenlosen Räume hinter den Kindern mögen Ausdruck dafür sein, dass ihnen alle Möglichkeiten offen stehen.

Obwohl das Mädchen noch auf Marilyn Monroe „steht“, stellt sich aufgrund des mit Licht erfüllten Raumes die Frage, ob sie wie Maria vielleicht gerade von einem unsichtbaren Engel angesprochen wird. „Wie soll das geschehen?“, mag sich auch das Mädchen fragen. Wie kann ich eine Karriere machen wie Marilyn oder Maria …? – Ob sie an Gott glaubt? Ob sie ihm ihr Leben anvertraut, es gleichsam in seine Hände legt, wie es einst Maria gemacht hat mit den Worten: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Maria ist für dieses Vertrauen, für diese Hingabe in ihre Aufgabe mit der Aufnahme in den Himmel belohnt worden. Aber was für ein Gewicht hat dieser immaterielle „Gewinn“ schon bei der Entscheidungsfindung gegenüber dem weltlichen Ruhm und dem finanziellen Erfolg?

Auch der Junge scheint sich in seiner Glückssuche schwer zu tun. Seine sitzende Haltung am unteren Ende der Treppe signalisiert einen Tiefpunkt. Er gibt sich mit vergänglichem Genuss zufrieden. Sein Gegenüber, Franziskus, hat entgegen dem Zeitgeist auf die durch Armut geprägte Nachfolge Christi gesetzt und ist reich beschenkt worden. Vielleicht stellen sich dem Jungen ähnliche Fragen.

Der Künstler lässt uns mit der Geschichte der beiden Jugendlichen im Ungewissen. Aber wenn wir das unendliche Licht hinter ihnen als Gegenwart Gottes deuten, dann leuchtet uns die Zuversicht entgegen, dass Er alle Suchenden mit Erkenntnis unterstützt und – wie die Entscheidung auch fallen wird -, hinter ihrem Entschluss stehen wird.

„In den Arbeiten von Stephan Melzl zeigt sich exemplarisch die Macht des Bildes, rationales Denken zu transzendieren. Für die Darstellung innerer Zustände und Phantasien konstruiert er gegenständliche Welten von eigentümlicher Melancholie und zugleich humorvoller Komik. Die widersprüchlichen Empfindungen, die seine Bilder auslösen, fallen auf den Boden der eigenen Widersprüchlichkeit, und kaum etwas erscheint in seinen Bildern als gesichert. Sie erzählen von einem fragmentierten, einem ambivalenten Zustand einer Bewältigung der äußeren und inneren Wirklichkeit.” (Auszug aus einem Text von Dorothea Strauss, Freiburg)