Kreisen um die goldene Mitte

Rote Linien oder besser gebogene Holzstäbe sind in der dreidimensionalen Skulptur spielerisch mit der goldenen Mitte im Dialog.

Drei Ovale umkreisen die Mitte und definieren das Kreisen in seiner dreifachen Wiederholung als etwas Bestimmtes, Sicheres, vielleicht sogar als etwas Heiliges. In ihrer Gesamterscheinung geben sie der Skulptur das Aussehen eines Sonnensystems oder auch eines großen Auges.

Sechs zur Mitte hin gebogene Linien sind ein weiterer Ausdruck des Dialogs mit dem Zentrum. Von außen kommend nähern sie sich der Mitte mehr oder weniger und entfernen sich dann wieder. Dabei kreuzen sie die konzentrischen Linien und bilden eine Vielzahl von Berührungspunkten. In der Gesamterscheinung deuten die nach außen offenen Bogenformen eine dynamische Kreuzform an.

Das Zentrum bildet ein runder, gewölbter Körper mit einem goldenen Innenraum, der von einem unsichtbaren Licht warm pulsierend erleuchtet wird. Für den Zürcher Künstler Adrian Bütikofer steht es in seinem skulpturalen Wandobjekt symbolisch für die Bahnhofkirche im Zürcher Hauptbahnhof, einem spirituellen Ort der Konzentration und Stille inmitten der dynamischen Betriebsamkeit des Bahnhofalltags. So gesehen könnte das Objekt ein Ausdruck für unser geschäftiges Leben sein.

Darüber hinaus vermag das pulsierende Licht unsichtbarer Herkunft aber auch das göttliche Licht und seine nicht nur das Herz bewegende Kraft zu symbolisieren. Es steht für Gottes geheimnisvolle Gegenwart in jedem Menschen. Als unsere Lebensquelle brennt er in uns und von ihm strömt das Leben durch uns wellenförmig in die Welt.

Gleichzeitig können die strahlenförmig zur Mitte und wieder nach außen führenden Holzlinien mit Aktion und Kontemplation, dem Suchen und Finden von Gott, dem Verweilen bei Ihm und der Sendung durch Ihn gedeutet werden. Überraschend tauchen Assoziationen zum spätmittelalterlichen Meditationsbild des Niklaus von Flüe auf. Doch in der vorliegenden Arbeit werden keine inhaltlichen Vorgaben gemacht. Die aus einem Holzstück herausgearbeiteten „Holzlinien“ können mit ihrer lebendigen Struktur und dem pulsierenden Rot genauso als Blutbahnen, Lebensadern oder als Transportsysteme gedeutet werden, aber ebenso als vom Heiligen Geist dynamisch durchwehte Lebensbahnen.

In dieser Offenheit lädt die Skulptur zur Betrachtung und Meditation ein: Über die Bedeutung eines Ortes der Stille und der Spiritualität inmitten der ruhelosen Geschäftigkeit eines Bahnhofes, eines Stadtzentrums, eines Menschenlebens. Gegen den Zeitgeist weist sie auch leise darauf hin, dass der Mensch nicht um sich selbst kreisen soll oder er selbst im Mittelpunkt steht, sondern die goldene Mitte Gott ist. Die mit Abstand von der Wand in der Luft schwebende Skulptur lässt spüren, dass unsere Freiheit und all unsere Bewegungen nur durch den festen Halt in unserer Mitte möglich sind. Diesen innersten Halt gilt es immer wieder zu suchen und erneuernd zu festigen, damit – wie mit den symbolischen zwölf Enden angedeutet – das unendliche Neuland des Lebens zuversichtlich beschritten werden kann.

 

Die Wandskulptur war bis zum 25. August 2023 in der Bahnhofskirche Zürich ausgestellt. Auf der Website finden sich zudem Fotos zum Entstehungsprozess. Ganz unten einige Links zum Flyer der Kunstintervention und zu “Wegworten” der Seelsorgenden:  mittendrin / kreisen kurven kreuzen / ein Gott der mich ansieht.

überschattet

Eine horizontale und eine vertikale Bewegungen kreuzen sich. Es ist ein Aufeinandertreffen einer fließenden Landschaft und einer menschlichen Erscheinung. Nicht neben- oder hintereinander, sondern einander durchdringend, quasi durch das andere Element hindurchgehend ohne sich – wie bei der Durchdringung von Wasserwellen – gegenseitig im jeweiligen Fluss aufzuhalten oder zu behindern.

Die horizontale Bewegung ist durch ihre farbliche Intensität stärker als die lineare Erscheinung in der Mitte. Die leuchtenden Farben und die leichte Schwingung haben etwas Warmes, Energetisches und Beschützendes an sich. Das dunkelgrüne Band wird oben und unten von dunklem Blau begleitet, während darunter Magenta und Rot wie Magma unter einem Vulkan glühen.

Die vertikale Bewegung erhebt sich breit abgestützt aus diesem glühenden Bereich, wobei eine Diagonale von rechts unten nach links oben für zusätzliche Dynamik sorgt. Zunächst wirken die in einer bestimmten 2021_Bernd_Nestler_Licht_Art_FIN_1 geschaffenen Linien abstrakt bewegt, dann ergeben sich allerhand konkrete Assoziationen bis plötzlich der schräg geneigte, aufmerksam blickende Kopf sichtbar wird, der auf breiten Schultern ruht. Es scheint ein inneres Schauen zu sein. Wie bei einem Vexierbild erscheint rechts oben ein kleinerer Kopf, der nach rechts blickt. Somit wird auch hier ein weiteres Durchdringen angezeigt.

Der Bildtitel “Die Sehnsucht des Geistes”  verrät einen Bezug zur Verkündigung an Maria. Auf die Ankündigung des Engels, dass sie schwanger werden und einen Sohn gebären werde, fragt Maria zurück: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ (Lk 1,34f) Was bedeutet „die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“? In diesem Glaskunstwerk kommt der Heilige Geist nicht im traditionellen Symbol einer Taube zu Maria, sondern senkt sich wie ein engergiegeladener Nebel vorübergehend über und auf Maria.

Obwohl der Schatten nichts Wesenhaftes ist, gehört er biblisch gesehen zu den großen Wundern Gottes. Er bietet Kühlung und Schutz (vgl. Ps 36,8; 63,8) und ist als Abbild eng mit dem Wesen des Schattenspenders verbunden. Im der hebräischen Sprache lautet das Wort für Schatten – tsêl ähnlich wie das Wort für Bild – tselem. Die Überschattung Mariens steht dadurch in direktem Bezug zur Erschaffung des ersten Menschen, den Gott „als sein Bild“ – tselem erschaffen hat (Gen 1,27). Jesus ist der neue Adam, Gottes Neubeginn mit den Menschen. In Jesus offenbart Gott bis zum Tod am Kreuz (vgl. Hebr. 5,19) seine glühende Liebe zu uns Menschen, sein wahres Wesen. Moses hatte das Verlangen, Gott zu schauen, doch Gott verhüllte sein Angesicht. Gott hat Maria seinen Sohn als seinen Schatten geschenkt und sich damit gleichzeitig uns allen in ganzer Herrlichkeit offenbart.

Im Bild von Bernd Nestler legen sich die einzelnen Schichten wie ein sanfter Schleier auf und um die Schultern Mariens. Sie erfährt nicht nur das Vorrecht, sich im Schatten Gottes aufhalten zu dürfen, sondern auch von ihm nach und nach so durchdrungen zu werden, bis Sein Bild in ihr Menschengestalt angenommen hat: Die Liebe und das Leben selbst.

Geheimnis des Glaubens

Die Zusammenschau der drei quadratischen Bilder lässt durch Ihre Heterogenität eine Fülle von Assoziationsmöglichkeiten zu. Denn das Grau der Steine und des Wasserglases oder das runde Element in jedem Bild vermögen Verbindungen zu schaffen und den “Trialog” zu beleben. Auf verschiedenen Ebenen entstehen Bezüge, die immer wieder um eine Dreiheit kreisen:

Allen drei Bildern geht es um Ausdehnung und um Irritation. Die Ausdehnung erfolgt um eine runde Mitte herum (auch beim Glas hat die nicht sichtbare Öffnung des Glases in etwa den gleichen Durchmesser wie die beiden zentralen Steine). Die verwendeten Primärfarben Gelb, Rot und Blau bilden die Basis für den ganzen Farbenkosmos. Von links oben bis zum unteren Bild ist zudem eine Steigerung zu beobachten. Während die goldgelben Samen, die auch Wachstum beinhalten, noch geschlossen daliegen, scheint die rote Farbe im zweiten Bild wie Feuer oder vergossenes Blut unter dem dunklen Stein hervorzuspritzen, um dann ganz rechts explosionsartig alles zu sprengen und jede feste Form hinter sich zu lassen bzw. in Seifenblasen eine temporäre Form einzunehmen. Letztere stehen im Gegensatz zu den Versteinerungen in den anderen beiden Bildern, die Überzeitliches versinnbildlichen.

Die Bildtitel zu den in einem trompe-d’oeil-haften Realismus gemalten Arbeiten legen einen Zusammenhang mit alchemistischem Denken nahe. Splendor solis lässt an das gleichnamige illustrierte alchemistische Manuskript aus dem 15. Jahrhundert denken, in dem es um die Herstellung und Wirkungsweise des Steines der Weisen geht. Mit Mercurius wird Quecksilber (keckes oder lebendiges Silber) bezeichnet, von dem angenommen wurde, dass es den flüssigen und festen Zustand überschreitet. Ob es sich bei dem Triptychon um eine Darstellung der Tria Prima der Alchemie handelt? In der Tria Prima beschreibt Paracelsus das Gesetz des Dreiecks: zwei Komponenten kommen zusammen, um eine dritte zu erzeugen. Grundlage sind bei ihm Schwefel, Salz und Merkur. Schwefel ist die Flüssigkeit, die das Hohe und das Niedrige verbindet. Salz gilt als Grundstoff, Merkur ist der allgegenwärtige Geist des Lebens.

Doch anstatt von Schwefel liegen Weizenkörner auf dem runden Stein, anstelle von Salz spritzt Blut über die quadratische Platte und statt Quecksilber schießt blasenbildendes Wasser in die Höhe. Diese Beobachtung und auch der zweite Bildtitel Salz der Erde, der in engem Bezug zu Jesus steht, sorgen für Irritation. Sind hier alchemistische Symbole weiterentwickelt worden und mit neuen Bedeutungen verbunden worden? Dann wäre eine christliche Interpretation der vielleicht unorthodoxen Darstellung von etwas Bekanntem gar nicht so abwegig. Vorzugsweise setzen wir unsere Betrachtung rechts oben fort.

Der viereckige Stein ist ein Symbol für die Erde. Mit Salz der Erde werden die Worte aus der Bergpredigt (Mt 5,13) angesprochen, mit denen Jesus auf die unabdingbare, verantwortungsvolle Aufgabe der Jünger in der Welt hinweist, Gutes zu bewirken, sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einzusetzen – Licht der Welt zu sein. Jesus hat sein Leben bis in den Tod hinein dafür hingeben. Er ist DAS Salz der Erde, der mit seinem Leben und seinem Blut zur Vergebung des Unrechts an den Menschen neue Maßstäbe gesetzt hat. So kann das mittlere Bild als eine Art Kreuzigung gesehen werden: Gottes Sohn, erschlagen durch unsere Sünden. Sein Blut ist das Salz der Erde, das bewirken sollte, dass solches Unrecht nicht weiter geschieht. Er ist der Stein der Weisen, der in uns diesen Sinneswandel vollbringt und einen menschlichen Goldstandard etabliert wie es keine alchemistischen Wunder zustande bringen. Blut und Wein verweisen auf die Einsetzungsworte beim Abendmahl: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27f). Der perfekt runde Stein in der Mitte mag die göttliche Natur Jesu andeuten, die Zweiteilung mit der roten Farbe, dass er mit seinem Blut die gespaltene Erde/Materie versöhnt.

Der runde Stein – ohne Anfang und Ende – ist Symbol für die Unendlichkeit und für Gott. Mit seinen Versteinerungen ist er ein Urgestein. Die Weizenkörner sind im Licht und der Wärme der Sonne (Spendor solis = Pracht der Sonne/Sonnenglanz) gereift und als Goldkörner dargestellt. Mit dem Stein in der Mitte wird ihre nächste Wandlung zu Mehl angedeutet, aus dem dann Brot und andere Lebensmittel gemacht werden können. Entsprechend kann hier eine Allegorie Gott Vaters gesehen werden, der der Sonne ihre Pracht verliehen hat und uns das tägliche Brot schenkt.

Auf dem unteren Blatt wird alles Bisherige gesprengt und in eine neue Daseinsform überführt, der etwas für uns Menschen Unfassbares anhaftet. Das versteinerte Wasserglas birst und das Wasser sucht sich nicht den bekannten Weg der Schwerkraft, sondern breitet sich überraschenderweise wie eine in die Freiheit entlassene Materie nach oben aus, die dabei noch fröhliche Luftblasen bildet. Merkur bzw. Hermes war in der griechischen Mythologie der geflügelte Götterbote, der Überbringer von Botschaften. Im christlichen Glauben wird die unsichtbare göttliche Kraft dem Heiligen Geist zugeordnet, der kreativ in der ganzen Schöpfung am Wirken ist: unsichtbar, geheimnisvoll, wunderbar, lebendig.

So liegt die Vermutung nahe, dass Manfred Scharpf in diesem Triptychon über die alchemistische Tria prima hinaus die grundlegende und alles umfassende „Tria prima“ des christlichen Glaubens allegorisch gemalt hat: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Oder anders betrachtet: Das mystische Geheimnis der beiden Hauptsakramente Taufe und Abendmahl (Brot und Wein).

Lebendiges Wasser

Quirlig fällt Wasser von oben durch die Bilddiagonale ins Blickfeld hinein. Links unten schlägt es spritzend auf einer bewegten Wasseroberfläche auf. Vor dem schwarzen Hintergrund tanzen die Wassertropfen und -spritzer wie eine zeit- und ortlose Lichterscheinung auf dem durch Lichtreflexe aus der Dunkelheit hervortretenden Grund.

Das fallende Wasser ist eine Momentaufnahme von etwas Fließendem. Das Foto zeigt einen normalerweise nicht fixierbaren Augenblick in seiner Einzigartigkeit. Es zeigt einen unsichtbaren Ausschnitt des Lebens, wie ihn nur eine fotografische Aufnahme mit ganz kurzer Belichtungszeit einfangen und festhalten kann. Eine minimale Momentaufnahme – vergleichbar mit einem Film-Still, dem Einzelbild aus einem Film – das Wesentliches des Großen und Ganzen sichtbar macht. Umso mehr als es sich um einen sich wiederholenden Bewegungsablauf handelt.

Die Reduzierung auf das spielerisch herabtanzende Wasser verleiht dem Schwarzweißfoto eine Faszination und Ausstrahlung, die über sich hinausweist. Das Wasser als Lebensquell und Lebensträger wird spürbar, seine bewässernde, erfüllende und erfrischende Kraft. Gleich einem Gnadenstrom durchbricht es die Dunkelheit, bricht sie auf und lässt sie wie Erde fruchtbar werden.

Das Wasser bringt Bewegung und Licht ins Dunkel. Der lockere und leuchtende Wasserfluss transportiert eine heitere Freude und Begeisterung. Er verbindet den unsichtbaren Schöpfer und Spender des Wassers mit allen Kreaturen der Schöpfung, die des Wassers für den Erhalt ihres Lebens bedürfen. Voller Leben plätschert das Wasser sanft auf dessen harte und kantige Oberfläche der Wasserwoge unten im Bild, wie vor Freude hell aufspritzend, um dann in das große Wasser einzutauchen und sich mit ihm vermischend zu erneuern.

Die Lebendigkeit des Wassers lässt an die Worte Jesu vom „lebendigen Wasser“ denken, die er zur Frau am Jakobsbrunnen sprach:  „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. … Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.“ (Joh 4,13-14) Jesus braucht kein Schöpfgefäß, weil er selbst die Quelle des Lebens ist. Wer an ihn glaubt, trinkt davon und wird von „Strömen lebendigen Wassers“ erfüllt werden, dem Heiligen Geist (vgl. Joh 7,37-39).

Inspiration und Begeisterung erhalten im lichten Wasserfall ein symbolisches Gesicht. Erleuchtung in der Tiefe der Seele, in der es vielleicht so dunkel ist wie am Grund eines tiefen Brunnens. Licht und Wasser von oben, die neuen Lebensatem einhauchen und in der erneuerten Verbundenheit mit Gott der Seele neue Kraft schenken. Dem Gläubigen wird ein Gnadenstrom der göttlichen Geisteskraft zuteil, der unendlich fließt, um das Leben schöpferisch kreativ zu gestalten.

Lebendiges Wasser – in jeder Beziehung eine himmlische Kostbarkeit!

Das besprochene Bild ist aktuell bis 31.10.20 zu sehen in derSchöpfergeist+Meisterwerk“-Foto-Ausstellung im Terassensalon der Residenzgalerie, DomQuartier Salzburg

Rampenlicht der Gnade

Eine Frau steht dem Betrachter zugewandt in gelblich-weißem Licht. Ihre Silhouette zeichnet sich klar vom Hintergrund ab. Der Blick folgt den Konturen ihrer Haare, dem Zweiteiler, den sie trägt. Ihre Arme sind leicht angehoben, die Hände in lockerer Haltung. Ihre Gestalt ist erdig braun, um anzudeuten, dass sie von der Erde geschaffen und irdischer Natur ist.

Sie steht in einem gegenstandsfreien offenen Raum. Unter ihr breitet sich eine bläuliche Wolke aus, darüber ist nur Licht, das sich durch die hellere Mitte bühnenartig nach hinten öffnet. Vertikale Farbverläufe deuten ein herabkommendes Geschehen an, das sich insbesondere in der Mitte über und um die Frau herum konzentriert.

Ohne sichtbaren äußeren Halt über den Wolken zu gehen braucht ein gesundes Maß an Selbstvertrauen. Sie sieht nicht wie eine Seiltänzerin aus oder dass sie mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hätte. Im Gegenteil, es scheint für sie eine Selbstverständlichkeit zu sein (man beachte, dass in einem Wort drei wesentliche Wörter vereinigt sind: selbst, verstehen und stehen), vom Licht umgeben zu sein, in ihm zu stehen und zu leben.

Da die Künstlerin das Bild durch ihr Bibelzitat aus Röm 5,5b „denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“ eindeutig in einen christlichen Kontext stellt, darf das Licht als eine Kraft gesehen werden, die von Gott ausgeht und für den Menschen gedacht ist.

So kann man das fließende Licht als Symbol für die Liebe Gottes sehen. Durch den Heiligen Geist umgibt sie jeden Menschen, der Gott als seinen Vater angenommen hat. Durch den Heiligen Geist pulsiert sie mit dem Blut in unseren Herzen und unseren Adern, um uns und alles, was wir tun, zu durchdringen und mit seinem Geist zu erfüllen.

Das Licht ist ein Ausdruck seiner Gnade, die er allen Menschen zukommen lässt, die offen für sein Wirken sind, ob sie ihn kennen oder nicht. Gott ist da – stark wie das Tageslicht, wärmend wie die Sonne, darüber hinaus am Tag und in der Nacht und auch im Innern von uns. Gottes liebende Gegenwart durch den Heiligen Geist gibt von unseren Herzen ausgehend einen Halt, der alle anderen Sicherheiten überflüssig macht. Seine Liebe ist wie eine Boje, die im Sturm am Ort und über Wasser hält. Sie ist wie ein Heißluftballon, der seine Passagiere sicher durch die Luft trägt, wenn es einem den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Seine Liebe ist das Licht, das auch dann scheint, tröstet und gegen allen Anschein Halt und Orientierung gibt, wenn sich überall Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit breit gemacht hat.

In Seinem Licht zu stehen bedeutet für Christen die Selbstverständlichkeit, dass Gott durch seinen Heiligen Geist da ist: immer, überall, in allen Lebenslagen. Das Licht symbolisiert von Gott her die Gnade und vom Menschen her das Vertrauen, dass er da ist und handelt, auch wenn es nicht danach aussieht (vgl. Ps 23). Es ist ein heiliges Miteinander, das wie das Licht weit über sich hinaus segensreich Gutes bewirken kann.

Erfüllt von Heiligem Geist

Ein Mann und eine Frau stehen auf einer Erdscholle. Sie sind bis auf ein Feigenblatt, das ihre Genitalien bedeckt, nackt. Beide sind orange leuchtend dargestellt, die Frau etwas größer als der Mann, einander zugewandt. Sie stehen vor einem mit dichten Linien bewegten Hintergrund, der sich rechts hinter der Frau einen Spalt öffnet und denjenigen offenbart, der reines Licht ist. Die Frau tritt gleichsam als fleischgewordene Idee aus dieser Öffnung heraus, als Konkretisierung des geistigen Vorbildes.

So zeigt die Arbeit die ersten beiden Menschen, Adam und Eva, nach ihrer Erschaffung durch Gott und nach dem Sündenfall (vgl. Gen 3,7). Sie stehen nicht im Garten Eden, nicht im Paradies, sondern auf einem Stück Land, das überall sein könnte. Als dritter Protagonist tritt bei dieser Darstellung der Hintergrund machtvoll in Erscheinung. Es sind fließende Linien voller Dynamik und Leben, die sich in gelben, roten und braunen Farbfeldern über die beiden zu ergießen scheinen, wobei der dunkelrote Bereich durchaus als Symbol für die Dreifaltigkeit gedeutet werden kann.

Es ist ein übernatürliches, kraftvolles Geschehen, das wohl mit Wind und Licht zu tun hat, viel mehr aber auch Umgebendes, Belebendes, Durchdringendes, Befähigendes, Erfüllendes und Bewegendes zum Ausdruck bringt. Wirkmächtig wird hier Gott als Creator spiritus, als Schöpfergeist dargestellt, der den Menschen durch seinen Geist erschaffen und auch von Anfang an mit ihm beschenkt hat.

In der orangen Farbe leuchten Adam und Eva in der Glut innerer Erleuchtung, die von der Erkenntnis ihrer Nacktheit und Schuld über die Wahrnehmung von Gott bis zur Furcht vor ihm geht infolge einer sensibleren Differenzierung von Gut und Böse. Wie auch immer offenbart sich Gott durch seinen Geist in ihnen. Eingehüllt in einen Gnadensturm fließenden Lichts wird ihnen ihre Unvollkommenheit und Hilfsbedürftigkeit bewusst. Auch darin sind sie ganz unsere Ureltern. Wer weiß, wie sie damals zu Gott gebetet haben. Uns sind heute so wunderbare Worte wie jene des Gebetes „Veni creator spiritus“ gegeben, mit denen wir um die Fülle der göttlichen Geisteskraft bitten können. Das Bild wird dann zu einer Visualisierung der Verheißung für uns, mit welcher Kraft Gott in uns und um uns wirken kann, wenn wir ihn darum bitten:

Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein,
besuch das Herz der Kinder dein:
Die deine Macht erschaffen hat,
erfülle nun mit deiner Gnad.

Der du der Tröster wirst genannt,
vom höchsten Gott ein Gnadenpfand,
du Lebensbrunn, Licht, Lieb und Glut,
der Seele Salbung, höchstes Gut.

O Schatz, der siebenfältig ziert,
o Finger Gottes, der uns führt,
Geschenk, vom Vater zugesagt,
du, der die Zungen reden macht.

Zünd an in uns des Lichtes Schein,
gieß Liebe in die Herzen ein,
stärk unsres Leibs Gebrechlichkeit
mit deiner Kraft zu jeder Zeit.

Treib weit von uns des Feinds Gewalt,
in deinem Frieden uns erhalt,
dass wir, geführt von deinem Licht,
in Sünd und Elend fallen nicht.

Gib, dass durch dich den Vater wir
und auch den Sohn erkennen hier
und dass als Geist von beiden dich
wir allzeit glauben festiglich.

Dem Vater Lob im höchsten Thron
und seinem auferstandnen Sohn,
dem Tröster auch sei Lob geweiht
jetzt und in alle Ewigkeit.

Christus, der Herr

Wer die Kirche des Heilig-Geist-Klosters in Wickede-Wimbern betritt, wird nicht anders können, als auf die neue Chorwandgestaltung zu schauen. Ein großes Segel in hellen Farben bildet zusammen mit einem roten Band den Kontrast zum hängenden Bronzekreuz von Dr. Else Hoffmann aus dem Jahr 1978 und lässt in ihm den gekreuzigten und auferstandenen Herrn wahrnehmen. Dieses künstlerische Ensemble beherrscht als visuelle Attraktion den Kirchenraum und gibt Besucher:innen, Betenden und Feiernden Orientierung und Perspektive.

Das Stoffsegel und seine Bemalung lassen ganz verschiedene Zugänge zu, von denen hier nur einige beleuchtet werden sollen. Zum einen steigt das Stoffsegel wie eine Flamme vom Altar auf. Was in dieser Flamme aufleuchtet, hat seinen Ursprung in der Hingabe Jesu, in seiner Liebe zu uns Menschen. Für uns und unser Heil ist er gestorben (vgl. Röm 5,6). So wird in der übergroßen Flamme die übergroße Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar. Die helle Flamme hinterfängt dabei das dunkle Kreuz und gibt ihm den neuen Hintergrund der Auferstehung und des Lebens. Was am Altar gefeiert wird, ist das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung.

Bis ins Kreuz hinein ist alles von der Kraft der Auferstehung und des Lebens durchdrungen. Das schwere Kreuz hat die Last des Todes verloren. Es schwebt und Jesus selbst scheint im freien Innenraum des Kreuzes zu schweben. Noch sind die Arme ausgebreitet, aber Hände und Füße sind nicht mehr ans Holz genagelt. Dieses Kreuz verkündet die Überwindung des Todes und zeigt Jesus als Christus, den Herrn als Befreier, der allen Besucher:innen den österlichen Willkommensgruß zuspricht: „Friede sei mit euch.“ (Joh 20,19)

Dabei scheint Christus im Kreuz über der blauen Fläche zu schweben und vermag an den Sturm auf dem See Genezareth zu erinnern, bei dem er über das Wasser auf seine Jünger zuging. In dieser Klosterkirche geht Jesus auf die Gläubigen zu. – Gott kommt zu den Menschen. – Die finden sich unvermittelt in der Rolle des Petrus wieder, der auf den Ruf seines Herrn das mehr oder weniger sichere Boot verlässt und im Glauben versucht über das Wasser auf den Herrn zuzugehen. Doch angesichts des heftigen Windes bekam er Angst, zweifelte und begann unterzugehen, so dass Jesus ihn retten musste. (vgl. Mt 14,24-31)

Durch die mandorlaartige Form und die zentrale Lichterscheinung, welche von sonnengelben Farbbahnen begleitet wird, vermittelt das Kunstwerk eine freudige Begeisterung. Im Dialog mit dem Kreuz wird wie bei der Taufe (Mt 3,17) oder der Verklärung Jesu göttliche Offenbarung spürbar erlebbar. Man hört förmlich Gottes Stimme aus dem Licht heraus sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.“ (Mt 17,5)

Umgekehrt können auch Worte von Jesus gehört werden, der mit weit ausgebreiteten Armen zu seinem Vater betet: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,25-30)

Solche Worte ermutigen, solche Lichtblicke tun der Seele gut. Denn das große Altarbild kann auch als Segel eines Bootes oder Schiffes gedeutet werden, das sich Kirche oder Gemeinde nennt. Es ist sichtlich zu spüren, dass hier ein neuer, guter Wind weht, ein Wind, der dieser Gottesdienstgemeinde und Klostergemeinschaft eine klare, hoffnungsvolle Richtung gibt.

Eine zusätzliche Dynamik erhält die Installation durch ein schmales langes Band in Rottönen, das sich so von rechts oben zum Kreuz hinunter schwingt, dass es das Kreuz visuell mitträgt (Nahansicht). Dadurch steht der Auferstandene nicht nur im Dialog mit seinem Vater, der hinter ihm steht, aber im unzugänglichen Licht wohnt, sondern auch mit dem Heiligen Geist, der ihn führt und mit Kraft erfüllt.

Was für eine Vision! Was vermögen sich dem Glaubenden dadurch für Horizonte zu öffnen! Ist es zu verwegen, sich in Jesus hineinzuversetzen, um sowohl die liebende Nähe des Vaters als auch die belebende Kraft des Heiligen Geistes zu erfahren?

Großformatige Wandkalender, Postkartenkalender und Karten mit Motiven von Eberhard Münch sind im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich: www.adeo-verlag.de

Ausstrahlung

Was für eine Wärme geht von diesem Bild aus! Was für ein Sog führt ins glühende Zentrum dieses Bildes! Ungeformte Materie scheint von einem feurigen Kern nach außen geschleudert zu werden und sich dabei, dunkler werdend, zu verfestigen. Darüber schwebend oder darin schwimmend, strukturieren weiße, unförmige, auf die Mitte ausgerichtete Fragmente das Bild. Einige erscheinen uns als flüchtige Wolken, andere, vor allem die größeren, eher als Inseln. Der größten von ihnen ist ein gelber Kreis beigeordnet.

Schöpfung? Das Bild lässt an etwas denken, das im Entstehen ist, das von einer unsichtbaren Mitte gleichsam angezogen und zusammengefügt wird. Es könnte die Anziehungskraft der Erde sein. Die feurige orange-rote Farbe lässt an das brodelnde Innere unseres Planeten denken, an die flüssigen Magmamassen, die hier und dort durch die Vulkane an die Oberfläche treten und die Erde „ursprünglich“ mitgestalten.

Die zentrale Kreisform wie die strahlenförmige Anordnung der weißen Elemente bringen gleichzeitig die Fragilität alles Geschaffenen zur Sprache. So wie sich die Materie gefunden hat, könnte sie durch die geballte und vielleicht auch gestaute Energie auseinander bersten, explodieren. Die „Inseln“ im Glutmeer lassen daran denken, dass der Boden unter den Füßen heiß werden und sich das Leben unter der Sonne schon bald auf einer „dahinschmelzenden Eisscholle“ befinden könnte.

Erinnern die strahlenförmigen wolkenähnlichen Gebilde nicht diskret an das Zifferblatt einer Uhr? – Die Zeit läuft! Auch wenn kein Zeiger genau sagen kann, wie spät es ist! Wie der Klimawandel weist das Bild darauf hin, dass es höchste Zeit ist, sich jetzt unseres Planeten anzunehmen: Ihn als lebendigen Organismus zu beachten, mit ihm achtsam, sorgsam, umsichtig umzugehen und ihn nicht weiter auszubeuten oder wie eine unerschöpfliche Müllhalde zu behandeln.

Die Fragilität von allem Geschaffenen und die damit einhergehende Vergänglichkeit mag ein Grund für einen veränderten Umgang mit unserer Umwelt sein. Mit seiner Ausstrahlung spricht das Bild noch etwas an, das unser Verhalten prägen sollte: die Schönheit der Schöpfung. Ist in ihrer überbordenden Lebensfülle nicht Gottes schöpferischer Geist zu spüren? Kommt in der orange-roten Farbe des Bildes nicht seine Liebe zum Ausdruck, die der Schöpfung zu Grunde liegt und alles Geschaffene im Werden wie im Vergehen durchwirkt, hält und mit Schönheit erfüllt?

Die Kraft des Höchsten

Wie durch einen Schleier hindurch ist die sitzende Gestalt der Maria zu erkennen (Vorlage: Maria aus der Verkündigungsgruppe vom Alter der Sieben Freuden Mariens im Chor der Abteikirche von Brou, Franchcomté, um 1520). In ein weites Gewand gehüllt scheint sie beim Lesen der Heiligen Schrift gerade innezuhalten und den Kopf nachdenklich nach hinten zu neigen.

Ob das, was im Vordergrund geschieht, Ausdruck ihrer inneren Erfahrung ist? Zwei Dutzend pastos aufgetragene, fast weiße Kreisformen scheinen mit großer Leichtigkeit auf sie herunterzufallen. Sie können als Zeichen der Gnade, als „die Kraft des Höchsten“ (Lk 1,35) gelesen werden, die auf Maria herabkommt.

Das verhüllende Weiß des Bildes scheint dabei die Unschuld und die Reinheit des Immateriellen zu verkörpern. Insofern mag dieser nebulöse Schleier auch ein Ausdruck der göttlichen Gegenwart sein. Im Buch Exodus (40,34) wird überliefert, dass eine Wolke das Offenbarungszelt in der Wüste verhüllt und die temporäre Wohnstätte des Herrn mit seiner Herrlichkeit erfüllt habe. Ebenso erscheint uns Maria im Bild von einer Wolke verhüllt und lässt an den wunderbaren Moment denken, an dem sie durch die Kraft des Höchsten und von seiner Herrlichkeit erfüllt schwanger wurde. Maria wird so zum neuen Offenbarungszelt, aus dem heraus Gott sein ewiges Wort spricht. Hier klingen die Texte der Kirchenväter an, welche in Maria die neue Bundeslade sahen, die der Welt das neue Gesetz geboren hat: Jesus Christus.

Der Evangelist Johannes (1,14) bringt es mit prägnanten Worten auf den Nenner: „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Auf dem lasierend gemalten Motiv der Maria erinnern die pastosen und damit sehr materiellen Kreisformen an die Verwandlung des Wortes zu Fleisch. Räumlich gesehen scheinen diese „materialisierten Worte“ perspektivisch auf Maria zuzufliegen oder von ihr empfangen zu werden.

Wie durch einen Schleier hindurch lässt uns der Künstler ehrfurchtsvoll an diesem einzigartigen Geschehen teilhaben. Die Verwendung einer alten Mariendarstellung sowie die „blasse“ Zeichnung Mariens mögen in die Vergangenheit weisen. Doch die Gnadenfülle, die Maria durch ihr gläubiges Ja-Wort bei Gott ausgelöst hat und die vom Künstler „schwebend“ zwischen Maria und den Betrachter gemalt wurde, fließt weiter und macht auf wunderbare Weise für Menschen Unmögliches möglich (Lk 1,37; 18,27). Damit bezeugt uns der Künstler, dass für ihn der Empfängnis „nichts Vergangenes, sondern im Gegenteil ein ganz gegenwärtiges Geschehen von hoher Präsenz“ innewohnt.

Geist-Ausgießung

„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle [Apostel] am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg 2,1-4)

Das Geschenk des Heiligen Geistes drückte sich bei den Aposteln durch Reden in fremden Sprachen aus. In seinen 160 Blätter umfassenden „Bibelübermalungen“ bringt Arnulf Rainer das Pfingstereignis ganz anders zum Ausdruck: Er übermalte nicht wie bei den anderen Blättern Vorlagen aus der Kunstgeschichte, sondern brachte drei völlig eigenständige Bilder hervor. Es ist, als wollte er damit die besondere Kraft des Heiligen Geistes noch mehr hervorheben. Eines dieser Blätter sei hier vorgestellt.

Der Ausgangspunkt des Bildes ist am oberen Rand. Alle Linien und Farben brechen dort mit konzentrierter Urgewalt hervor, um sich dann orkanartig und wie vor Lebensfülle wellenförmig hin- und herwindend auf die Erde zu ergießen. Der überirdische Strom erinnert mich an die Verheißung des Propheten Joel, dass Gott am Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes „wunderbare Zeichen wirken [wird] am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen“ (3,3).

Für den Propheten sind diese Zeichen wunderbar, weil sie Befreiung bedeuten. Rot verweist einerseits auf das Blut Christi, durch das er uns von unseren Sünden erlöst (Offb 1,5) und für Gott erkauft hat (5,9). Andererseits weisen Rot und Gelb auf die feurige Kraft des Heiligen Geistes hin. Gottes Geist ist Wärme und Licht, der die Wahrheit an den Tag bringen wird (vgl. Jes 32,15-17; Joh 16,13), er ist die in unsere Herzen ausgegossene Liebe Gottes (Röm 5,5b), in der er uns belebend durchglüht und zu gutem Denken und Tun anfeuert und begeistert.

Links und rechts ist dieser stürmische Flammenregen von sanften Farbtönen begleitet, die diesem Bogen etwas friedvolles geben. Parallelen zum Regenbogen tauchen auf, den Gott als Zeichen des Bundes „in die Wolken“ gesetzt hat (vgl. Gen 9,8-17). Brach nicht mit Pfingsten ähnlich wie nach der Sintflut etwas ganz Neues an? Gott schenkte allen Menschen seinen Heiligen Geist! Nicht nur denen, die im Hauptstrom stehen, nein, auch denen im Abseits, wie mir das Bild tröstlich zu verstehen gibt.

Das Bild weckt in mir die Sehnsucht, mich unter diesen pfingstlichen Gnadenstrom zu stellen und mich wieder neu von Gottes Liebe, Licht, Gerechtigkeit und Frieden durchströmen und erfüllen zu lassen – um ganz Mensch zu werden, Mensch nach seinem Abbild (Gen 1,27)!