Wasser ergießt sich auf 70 schwarz-weißen Siebdrucken symbolisch in den Raum. Wild sprudelt es aus der Ecke hervor, um dann sanft auf dem Boden zu verlaufen und gleichsam zu versickern.
Die kunstvoll gebogenen, zerknitterten und gefalteten Papierbögen imitieren auf eine andere Art und Weise den darauf abgebildeten Wellenschlag – einzigartig und unnachahmbar. Wo auch immer sich die Bilderflut erneut in einen Raum ergießt, wird die Anordnung und Inszenierung eine andere sein. Genau wie richtiges Wasser von der Umgebung beeinflusst immer wieder anders fließt und einzigartige Bewegungsmuster bildet.
Es ist diese zusätzliche Kunst-Aktion oder Installation, welche den großformatigen Siebdrucken einen Wert gibt, den ihnen das schlichte Abdeckpapier nicht zu geben vermag. Ihr Mehrwert entsteht in der Teilhabe an einem großen Ganzen, im Teil-Sein einer singulären Aktion. Gezeichnet von dieser Besonderheit, erhalten die multiplizierten Drucke eine Einzigartigkeit, die weit über die Nummerierung hinausgeht.
In Zeiten zunehmender Überschwemmungen erinnert die Installation zudem an die Zerstörungskraft des Wassers. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird mitgerissen, unbrauchbar und wertlos. Übrig bleiben vom Wasser gezeichnete Haufen von Unrat.
Doch das Wasser ist nur ein Beispiel für die Zerstörungskraft einer großen Menge. Weder wir noch unsere Umwelt kommen mit einem Zuviel zurecht. Vieles fordert uns heraus, doch Zuviel überfordert uns. Es ist die schmale Mitte an genügend Wasser, Sauerstoff, Wärme, Bewegung, Informationen, Menschen, Liebe und Wertschätzung, usw., die uns gut tut und uns gut leben lässt. Doch genug ist keine feste Größe, kein bestimmter Wert. Was für den einen reicht, ist für den anderen zu wenig oder zu viel. Der richtige Umgang damit ist eine Art Kunststück, das Aristoteles in seiner „Nikomachischen Ethik“ als eine auf Gewohnheiten basierende Disposition beschreibt, zwischen zwei Extremen das richtige Maß zu finden.
Diese goldene Mitte in allem Denken und Tun und in allen Herausforderungen anzustreben geschieht in der christlichen Spiritualität in der Verbundenheit mit dem Heiligen Geist, der uns mit seiner Kraft durchdringt und lenkt. Der Heilige Geist ist in den Extremen des Chaos die ordnende Kraft. Er ist in uns das „lebendige Wasser“ (vgl. Joh 4,10), das nie versiegt und uns immer wieder neue Antworten auf die Herausforderungen und Fragen unserer Zeit finden lässt. Damit unsere Gedanken und Entscheidungen nicht zusammengefaltet oder zerknüllt in die Ecke geworfen werden, sondern den Weg zu einem respektvollen und einander fördernden Miteinander bereiten, in dem sich alle entfalten können.
Die Installation von Patrick Nicolas ist bis zum 22. November 2024 in Biberach in der Ausstellung: Geflutet: Wasser, Welle, Woge in der Kunst bis heute zu sehen.
Wer die Ausstellung nicht besuchen kann, dem empfehle ich den Kauf des Ausstellungskataloges. Die Kuratorin Dr. Barbara Renftle führt mit ihrer kunsthistorischen Einführung den Leser gekonnt durch die verschiedenen „Wasserwelten“ und öffnet Geist und Auge für die Vielfalt der ausgestellten Werke, die alle im Katalog abgebildet und beschrieben sind. Der Katalog kann hier bestellt werden.