Ins Zeitliche geboren

Das Wunder der Geburt geschieht in der liebenden Zuneigung der Eltern. Sie bilden in ihrer knienden und demütig sich vor dem Kind verneigenden Haltung eine bergende Krippe und ein beschützendes Haus. Der Freiraum zwischen Mutter und Vater ist des Kindes erster Lebensraum in der neuen Welt. Er erscheint als grauer Alltag. Die kurzlebige Tageszeitung als Hintergrund verortet die Geburt an einem bestimmten Tag und in der Armut der Obdachlosen, die Zeitungen als Isolation auf den Boden legen oder sich damit zudecken. Nur die Eltern können die lebensnotwendige Wärme schenken, die das Kind braucht.

Die drei Personen sind hauptsächlich durch die schwarzen, skizzenhaften Konturen definiert. Die sparsam verwendeten Farben deuten mit den braunen Farbtönen links Josef an, die rötlichen Farbspuren verweisen auf Maria und das lichte Gelb lässt das Göttliche im Kind aufleuchten. Jesus ist auf Zeitungen gebettet und in sie gewickelt.

Der Glanz der Heiligen Nacht entfaltet sich um das traute Paar herum. Die gelben Lichtblitze erhellen den Himmel und lassen gleichzeitig an die Engel der himmlischen Chöre denken. Am Boden verdichtet sich das himmlische Licht mit dem irdischen Stroh zu einer wahren Lichtflut, die warm und froh die Kunde der Geburt Gottes über die ganze Erde verbreitet.

Nun sind es nicht die Zeitungen, welche die Nachricht in alle Welt hinaustragen, sondern das Licht selbst, das im Denken, Sprechen und Handeln der Menschen vom Gottessohn kündet. Denn das Kind ist nicht arm, sondern reich an Liebe und Macht, um in allen Menschen den Glauben an Gott zu entzünden und in der Liebe zueinander zum Brennen zu bringen.

Geheimnisvolles Zusammenspiel

Rätselhaft gibt sich die Assemblage aus altem Holz, aufgesetzten Metallteilen und blauem Glas. Die Arbeit aus Fundstücken lebt von Gegensätzen wie rund – eckig, oben – unten, außen – innen, geschlossen – offen, aber auch durch Dreiklänge wie Metall – Holz – Glas oder die drei zentralen Rundformen aus verrostetem Eisenblech.

Bei der Annäherung an das Rätsel bildet die gestemmte Holztür die Grundlage und den Rahmen. Sie formt das rechteckige Pendant zu den drei Kreisformen im oberen Drittel. Im Zusammenspiel erscheinen sie wie ein Haus, bei dem die drei Metallteile das Dach bilden und sich vertraute Elemente wie die Öffnung oder der blaue Glasstein in der Türfüllung wiederfinden. Zwei sich gegenüberliegende flache Bogen betonen die sich nach unten öffnende Bewegung und formen gleichzeitig einen geschützten Innenraum.

Jedes einzelne Element des Werkes ist gleichsam energetisch aufgeladen mit seinem sinnlich-physischen Dasein und seiner Geschichte und weist doch im Zusammenhang darüber hinaus. Die drei Kreiselemente vermögen in ihrer runden Vollkommenheit die Unendlichkeit und die Dreifaltigkeit Gottes anzudeuten. Darunter findet sich in der rechteckigen Tür als Symbol für die Erde als viertes Kreiselement ein rundes Loch, das kreuzförmig mit Flacheisen versperrt wurde und deshalb an den Kreuzestod Jesu erinnert. So wie dieses Loch mit der Öffnung ganz oben korrespondiert, stehen die beiden blauen Glasstücke miteinander im Dialog. Während das obere im Kreis unzugänglich fern wirkt, erscheint das größere, herzförmige Glas näher und durch die offenen seitlichen Bogenformen greifbarer. Senkrecht von oben nach unten betrachtet thematisiert das Werk Entäußerung, Niederkunft, Gestaltwerdung im Herzen der Schöpfung und insbesondere des Menschen.

Denn die Assemblage kann auch als vereinfacht dargestellter menschlicher Oberkörper gelesen werden: Die oberste Kreisform als Kopf, die anderen beiden als Schulterpartie, die knochenartigen hellen Bogen als Rippen des Brustkorbs und gleichzeitig als bewahrende Arme oder große Hände vor dem rechteckigen Oberkörper. Bereits 2008 hat Jörgen Habedank eine ähnliche Assemblage geschaffen, die er „Heilige Umarmung der Welt“ genannt hat. Dieses Umarmende, Beschützende, Geborgenheit und Lebensraum Schenkende kulminiert in dem blauen Herz. Die Beleuchtung intensiviert seine Strahlkraft und lässt es noch lebendiger wirken.

In der Mitte der beiden „Rippenbogen“, die auch als offenbarende und verherrlichende Mandorla oder als symbolische Krippe gesehen werden können, gewinnt das himmelblaue Herz eine besondere Bedeutung: In seiner blauen Farbe schwingt die Symbolik des Saphirs mit, der als Edelstein mit der stärksten Energie gilt und für Reichtum und Weisheit steht. In ihm leuchtet die Weite des Himmels und die Tiefe der Ozeane, geheimnisvoll verborgen auch der Gottessohn.

So verwandeln sich die weggeworfenen Fundstücke durch den Künstler in Objets trouvés und erhalten im Zusammenspiel der Assemblage eine weitere Bedeutung und neues Leben: Die Geburt des Gottessohnes in der Welt und insbesondere in den Menschenherzen andeutend.

 

Die Assemblage war Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte. Die Ausstellung war mit über 120 zeitgenössischen Ausstellungsstücken bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.

Weitere Assemblagen des Künstlers

Die Antwort zur Frage

In einer sternförmigen Glasflasche schwebt mittig ein kleiner Schlüssel. Er hängt an einem feinen Faden am Korkpfropfen, der die Flasche verschließt. Die einfache Kombination regt zu vielfältigen Fragen an.

Wieso wurde der Schlüssel in diesen gläsernen Safe gehängt? Er ist wie ein Schaustück sichtbar und wird gleichzeitig hinter Glas unberührbar weggesperrt. Wozu ein Schlüssel und welches Schloss vermag er aufzusperren? Wer darf ihn aus der Flasche nehmen, um damit welche Tür zu welchem Raum zu öffnen? Auf welche Fragen wird er eine Antwort geben?

Die Sternform der Flasche lässt uns an dunkle Tages- und Jahreszeiten und vielleicht auch an die Advents- und Weihnachtszeit denken. Der Stern führte die drei Magier aus dem Osten zum menschgewordenen Gottessohn. Er weckte die Sehnsucht der drei Männer nach dem lebendigen Gott und offenbarte ihnen ein neugeborenes Kind.

Kann man den Schlüssel als Symbol für Jesus sehen und den Stern gleichsam als seine Krippe oder sogar als lichten Christusträger? Auch wenn der Glasstern nicht leuchtet, so verweist er doch auf eine vom Licht durchflutete, immaterielle Herkunft und der Schlüssel auf eine ihm innewohnende materielle, in Jesus menschgewordene Zukunft. Ist unser Herz die Antwort auf Seine Suche nach einer Herberge, so wie Angelus Silesius es auf den Punkt gebracht hat: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verloren“? Soll das Herz durch IHN wie ein Stern leuchten – weil ER der Schlüssel zu Gott, zur Erkenntnis, zum Glück, zum Seelenfrieden, zur Freude, zur Freiheit und vielem anderem Lebenswichtigem ist?

Fragen sind die Triebfedern der Suchenden: Die Leute haben Johannes den Täufer gefragt „Wer bist Du?“ (Joh 1,22), weil sie den Messias, den Retter ersehnt und gesucht haben. In der O-Antiphon des 21. Dezembers („Gott, send herab uns deinen Sohn“, 5. Strophe) wird Jesus besungen als „O Schlüssel Davids, dessen Kraft befreien kann aus ewger Haft: Komm, führ uns aus des Todes Nacht, wohin die Sünde uns gebracht.“ Die Schlüsselantwort Jesu auf die Frage der Suchenden ist: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6)

Der einsame Schlüssel ruft in Erinnerung, dass Jesus der Türöffner zum Himmel, zum Vater ist. Der einsame Schlüssel möchte berühren, die Schlösser und Türen unserer Herzen aufsperren, damit sie weit offen für die Begegnung und die gelebte Gemeinschaft mit Gott, unserem Vater, werden. ER ist die Antwort, auf die Frage.

 

Der Stern von Bethlehem

Der Stern von Bethlehem
leuchtet hinein
in unsere Dunkelheit
der inneren Unruhe,
des Überfordert- Seins,
des Machtstreites
untereinander,
der Lieblosigkeit,
der Verzweiflung
und der Unfähigkeit
zum Handeln.
Du, Stern von Bethlehem,
laß dein Licht
unsere Seelen erhellen
und uns zu Taten
der Liebe bewegen.

© Gudrun Kropp

Das Objekt war Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte. Die Ausstellung war mit über 120 zeitgenössischen Ausstellungsstücken bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.

GegenMacht

Die Gestalt des Gekreuzigten wächst hoch oben aus der dünnen Senkrechten heraus. Sein Körper ist bis auf den Kopf und die Arme vor allem auf der Vorderseite figürlich als Beine, Lendenschurz, Bauch und Brustbereich gestaltet. Die senkrechte Teilung der Beine setzt sich in einem Spalt im Brustbereich fort und bildet dort mit der Unterseite der Brust ein Kreuz.

Der Kopf ist nach rechts gedreht, der Blick nach unten gerichtet. Seine Arme hat der Erhöhte maximal ausgestreckt, ebenso seine Hände: rechts senkrecht erhoben, links waagrecht nach vorne abgewinkelt. So bildet der Körper als Ganzes ein hochaufragendes Kreuz, gleichzeitig trägt er im Brustbereich das Kreuz in den Körper eingeschrieben.

Er ist nicht als der leidende Jesus dargestellt, auch wenn seine Wundmale deutlich zu sehen sind. Jesus wird nicht als passiv das Leiden Erduldender, sondern als Mitleidender, als sich Erbarmender und Beschützer aller wie er Gekreuzigter dargestellt. Er hat das Unrecht der Missbrauchten durch Spott, Folter und Tod am eigenen Leib erfahren. Nun wehrt er sich und verteidigt alle: Es ist genug! Hört auf! Das ist nicht auszuhalten!

Jesus tritt den Peinigern und Mächtigen als Verteidiger der Missbrauchten und Entwürdigten entgegen: Am Kreuz erhöht stellt er sich mahnend zwischen die Gewalttätigen und die Unterdrückten. Mit seiner aufgerichteten rechten Hand gebietet er Halt und Einhalt, mit seiner waagrecht gehaltenen linken Hand wehrt er eher ab. Jesus hält die Gewalttätigen auf Distanz, er schaut sie nicht an. Er, der Menschenfreund, weist sie ab und will auch nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Er will auch von seinen eigenen Leuten nicht missbraucht oder verzweckt werden.

Missbrauch hat viele Gesichter und durchzieht zu allen Zeiten alle Gesellschaftsbereiche. Er ist uns näher als wir vielleicht denken, wenn wir stärker, reicher, klüger, älter, gesünder oder einflussreicher sind als andere (vgl. Lk 1,48-53). Macht ist schnell missbraucht, wenn Eigeninteressen höher gestellt werden als das Gemeinwohl und insbesondere das Wohlbefinden des Nächsten im biblischen Sinne. Niemand ist vor dieser Versuchung gefeit, auch nicht Priester oder Lehrer, Väter oder Mütter, Geschäftsleute, Arbeitgeber oder Politiker. Jesus ist gegen jede Art der Unterdrückung und Bevormundung. Im Christuslied des Philipperbriefes (2,6-8) wird beschrieben, wie Jesus auf seine unvorstellbare Machtfülle verzichtete, um den Menschen nahe zu sein und ihnen durch Gottes heilende, stärkende und rettende Kraft ihre Menschenwürde zurückzugeben.

Jesu Gegenmacht zum „Missbrauch von gutem Brauch“ ist seine Liebe und Fürsorge, sein Für-andere-da-Sein. Sein Umgang mit den Menschen ist geprägt von Respekt und Toleranz, von Wertschätzung und Vertrauen in deren Fähigkeiten und Kräfte. In seinen Augen sind alle Menschen gleich und in seiner Gerechtigkeit gibt es keine Unterschiede, außer dass den wie auch immer Benachteiligten Hilfe und Unterstützung zusteht.

Dieses Kreuz verkörpert Jesu Haltung über den Tod hinaus. Von „Gott über alle erhöht“ (Phil 2,9) bleibt er für alle Selbstsüchtigen und Peiniger ein Mahner des Unrechts und somit ein Stein des Anstoßes und ein Zeichen des Widerstands. Alle anderen stärkt Jesus als unübersehbares Vorbild im rechten und guten Umgang miteinander.

Licht in der Welt sein

Die Schlichtheit der übergroßen, brennenden Kerze auf dem schmalen Bildträger überrascht in der barocken Kirche. In marianisches Blau gekleidet bildet die Kerze einen warmen Kontrast zur feingliedrigen Formenfülle des Kirchenraumes, in dem sie sich optisch in die Mitte zwischen die Säulen des Hochaltars einreiht und diese über das Hochaltarbild hinausgehend überragt.

Schlank wie eine Säule steht sie mitten im Kirchenraum, mit ihrer Flamme Licht und Wärme ausstrahlend, alle Aufmerksamkeit auf sich fokussierend, die Gedanken beruhigend, sammelnd und zum Gebet erhebend.

Die überdimensionale Kerze erinnert an das Bibelwort: „Man zündet auch nicht eine Leuchte an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter; dann leuchtet sie allen im Haus.“ (Mt 5,15) Hier bildet die Kerze selbst den Leuchtkörper für das Licht. Selbstverständlich gegenwärtig wie Jesus steht und brennt sie in der Mitte der Gemeinde: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) So wie Jesus für alle Menschen da war und ihnen Orientierung, Zuversicht und Lebenskraft gab, so sollen auch wir für unsere Mitmenschen Licht und Halt sein.

Im Symbol der schlichten Kerze – nicht in der festlichen Osterkerze – ist er allen Gläubigen leuchtendes Vorbild der selbstverzehrenden Hingabe, der Caritas. Und er berief uns in seine Nachfolge mit den Worten: „Ihr seid das Licht der Welt.“ (Mt 5,14) So wie sein Leben leuchtete und eine Ausstrahlung hatte, soll unser Licht vor den Menschen leuchten, damit sie unsere guten Taten sehen und unseren Vater im Himmel preisen (vgl. Mt 5,16). Wo wir als Christen handeln, wo wir wie Christus handeln, werden wir die Menschen an Gott erinnern, an sein lebenspendendes Licht, seine unendliche Liebe, seine unfassbare Güte und Barmherzigkeit.

 

Ein himmlisches Angebot

Eine blaue Fläche verdeckt den barocken Hochaltar und erfordert einen Wechsel der Sehgewohnheiten. Durch das zeitweise Verhüllen des Gewohnten sollen die Gläubigen die Chance zu einer Neuentdeckung und einer neuen Sicht auf Gott erhalten und damit eine Umkehr zu Ihm. Das hängende Fastentuch eröffnet mit seiner blauen Farbe einen universellen Blick in die unergründlichen Weiten des Himmels oder Tiefen des Meeres. Seine halbtransparente Struktur lässt spielerische Lichteffekte zu und vermag damit an die Bedeutung von lebendigem Wassers für das Leben hinzuweisen.

Von oben senkt sich mittig ein intensiveres blaues Band in die Tiefe und breitet sich zwischen den beiden seitlichen Heiligenfiguren horizontal aus. In diesem auf dem Kopf stehenden T (Tau oder Kreuz) zieht ein helles Tondo den Blick auf das in einem Rosenstrauch sitzende nackte Jesuskind.  Auf der rechten Seite ist es von drei Rosenblüten umgeben: einer großen, voll aufgeblühten, darüber einer großen Knospe und Jesus selbst hält einen von der voll aufgeblühten Rose ausgehenden Stiel mit einer verschlossenen Knospe wie ein Zepter vor seinem Körper. Die drei Rosenblüten symbolisieren die Dreifaltigkeit. Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ (GL 334/EG 30) ist ein Zugang zu diesem ungewöhnlichen Fastentuch. „aus Gottes ew‘gem Rat hat sie ein Kind geboren …“ heißt es in der zweiten Strophe und so sieht man das Jesuskind als Menschensohn zwischen der symbolischen Darstellung von Gott Vater in der aufgeblühten Rose und der haltgebenden Hand Mariens. Ebenso passt die dritte Strophe: „ Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet uns von Sünd und Tod.“

In mir begann die zweite Strophe des Liedes „zu Bethlehem geboren“ von Friedrich Spee (GL 239/EG 32) bei der Betrachtung des Fastentuches zu singen. Denn die große blaue Fläche und das leuchtende Tondo fokussieren den Blick auf Jesus und auf seine Position in meinem Leben: So klang in mir: „In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab; mein Herz will ich ihm schenken und alles was ich hab. Eia, eja, und alles was ich hab.“ Erschrocken über die weihnachtlichen Klänge kam ich aber zur Erkenntnis, dass es in der Fastenzeit gerade darum geht: Den vielleicht aus den Augen und aus dem Alltag verlorenen Gott wiederzufinden und ihm den Platz in meinem Leben wiederzugeben, der ihm als „höchsten Gut“ gebührt. Dem war sich Friedrich Spee bewusst, wenn er in der fünften  Strophe formuliert: „Dazu dein Gnad mir gebe, bitt ich aus Herzensgrund, dass dir allein ich lebe jetzt und zu aller Stund. Eia, eia, jetzt und zu aller Stund“.

Diese gnadenvolle Veränderung soll mein/unser ganzes Leben durchwirken und es zur Ehre Gottes verändern, damit es wie die goldenen Strahlen von seiner Präsenz in meinem/unserem Leben kündet. Um anzudeuten, dass so eine Veränderung meist unsichtbar, aber doch durch ein vielfältiges, heilsames Wirken in konkreten menschlichen Beziehungen, Handlungen und Gesten geschieht, hat die Künstlerin auf der Rückseite des Fastentuches in der Höhe des Tondos mit goldenen Umrisslinien neun bewegte Hände in zwei Gruppen dargestellt: gebende, helfende, empfangende, darreichende, betende, bewahrende, beschützende und segnende Hände. – Eine Einladung, dem Mitmenschen wie Jesus zu begegnen, sie wie sie sind anzunehmen, ihnen Freiheit und Lebensfülle schenkend, sie an der Hand nehmend oder ihnen segnend die Hände aufzulegen zur Stärkung in allen Lebenslagen – aus der Verbundenheit mit Gott und Ihm in jedem Mitmenschen.

 

Das Fastentuch ist bis zum 14. April 2022 in der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Villach (A) im Original zu sehen. Auf der Website der Pfarrei können Sie eine andere, sehr lesenswerte Betrachtung von Herrn Pfarrer Dr. Richard Pirker lesen.

Schlüssel zum Leben

Sehr schlicht präsentiert sich dieses Kunstwerk ganz besonderer Art. Auf einer Grundplatte steht hochkant ein Stück Holz mit einem abgenutzten Türbeschlag, der oben keinen Griff oder Knauf, aber unten ein intaktes Schlüsselloch hat. Nichts weist auf eine außergewöhnliche Situation hin. Allein ein Klingelknopf lädt zum Drücken und Hoffen ein, dass dieser eine Reaktion auslöst, durch die sich die eigenartige Aufmachung erklärt.

Doch auf Knopfdruck ereignet sich nicht allzu viel. Allein das Schlüsselloch wird beleuchtet, was allerdings die Aufmerksamkeit auf sich zieht und genauer hinschauen lässt. Denn im Schlüsselloch wird ein Kleinkind mit nacktem Oberkörper und lockigem, goldenem Haar sichtbar: Jesus! Die karge Tür ist gleichsam der Stall, in dem er geboren, die Krippe, in die er gelegt wurde. Er erstrahlt als Licht in der Dunkelheit des Schlüssellochs. Er nimmt den Platz des Schlüssels ein und verweist damit auf die vorweihnachtliche O-Antiphon des 20. Dezembers, in der die Schlüsselgewalt des Gottessohnes verkündet und ersehnt wird:

O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel  –
du öffnest, und niemand kann schließen,
du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen:
o komm und öffne den Kerker der Finsternis.“
(vgl. Jes 22,22; Offb 3,7; Mt 16,19)

Jesus ist der Schlüssel zum Reich Gottes. Sein Leben, seine Worte der Liebe öffnen neue Lebensräume und führen aus der Gebundenheit und Gefangenschaft dunkler Abhängigkeiten in die Freiheit des wahren Lebens. Die Geburt Jesu ist der geschichtliche Wendepunkt. Seine Geburt lässt sich leicht übersehen, seine universelle Bedeutung in seiner Zeit weder erahnen noch verstehen.

Heute feiern wir mit Millionen von Lichtern Jesu Geburt. Aber haben wir verstanden, was es bedeutet, die Liebe selbst zu sein? Bei Jesus und in unserem Leben für den Nächsten?  Die Liebe allein vermag die Türen der Herzen zu öffnen und diese mit Licht und Leben, mit Glückseligkeit und Freude zu erfüllen. Keine andere Kraft hat eine solche Macht.

Komm Herr Jesus, kehr bei uns ein. Sei unser Gast und erfülle uns mit deinem Licht und deiner Liebe, auf dass wir heil werden und selbst zu befreienden Schlüsseln der Liebe werden.

Diese Krippe ist bis zum 13. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Hineingenommen

Die kreisrunde Installation bildet während der Advents- und Weihnachtszeit einen neuen Brennpunkt im Kirchenraum. Die großen, spielerisch angeordneten Kugeln aus massivem Holz ziehen die Besucher in ihren Bann und verwandeln sie durch ihre einzigartige Maserung und Schönheit zu Betrachtenden und Verweilenden.

Auf einer kargen Grundfläche umgeben zehn Kugeln scheinbar zufällig eine schalenförmig gewölbte Baumscheibe,  die auf dem Schnittpunkt zweier Fugen in der dunklen Grundplatte ruht. Doch schnell lassen sich drei Gruppen ausmachen: die beiden Kugeln links und rechts der Baumscheibe, fünf helle Kugeln auf der rechten und drei dunklere Kugeln auf der linken Seite. Durch das Material Holz sind sie irdisch individuell von der Baumart und den örtlichen und zeitlichen Wachstumsbedingungen geprägt, während ihre Form ohne Anfang und Ende auf Gott verweist und eine wie auch immer gelebte Gottverbundenheit nahelegt. So verdichten sich die Beobachtungen zur Entdeckung einer Krippendarstellung, bei der die Personen um die Krippe durch Kugeln repräsentiert werden: Beidseits der Baumscheibe „schauen“ Maria und Josef fürsorglich durch die Astaugen zur Mitte; die einfacheren hellen Hölzer in unterschiedlichen Größen mögen die Hirten und evtl. Schafe darstellen, während die drei prachtvoll maserierten Kugeln eine Repräsentation der Weisen oder Könige aus dem Morgenland nahelegen.

Doch wo ist der Neugeborene? Wo ist das Jesuskind? In der Dramaturgie dieser Krippe senkt sich für ihn vom 1. Advent an eine leuchtende Kugel Tag für Tag mehr vom Himmel zur Erde herab, um an Heiligabend als Licht der Welt in der Krippenschale seinen bescheidenen Thron unter den Menschen einzunehmen. „Jetzt umgeben die versammelten Gruppen den Einen zu zweit, zu dritt und zu fünft und bilden mit diesem Arrangement nicht zufällig den Beginn der Fibonacci Reihe für natürliches Wachstum. Die kleine Menschentraube an der Krippe wird zur Keimzelle des Wachstums.“

Damit niemand außen vor bleibt, sondern jedermann aktiver Teil des Geschehens werden und an der Krippe verweilen kann, sind die 30 bis 50 cm hohen Kugeln als Sitzgelegenheiten für die Besucher konzeptioniert. Sie laden gerade in unserer hektischen Zeit zum Verweilen ein, zum Schauen auf Jesus und Erleben seines Heils. Denn mit der Ankunft Jesu hat sich der harte Boden des „Erdenrunds“ geöffnet und ein leuchtendes Kreuz freigegeben, das dem ganzen Erdkreis verkündet, dass Jesus der Retter und Erlöser aller Menschen ist. „Das Kreuz markiert den Punkt der Menschwerdung Gottes, es kann aber auch als Vorbote der Passion gesehen werden, zu deren Ende sich ebenfalls die Felsen spalten (vgl. Mt 27,51).“ (Konzeption Institut für Inszenierung)

Die Installation lässt die Niederkunft von Gottes Sohn sinnlich erwarten und erfahren. Wie Franziskus von Assisi die Menschen seiner Zeit durch das Krippenspiel in das Geschehen eingebunden hat, so ist die Installation offen für eine interaktive Teilnahme und Teilhabe an der Geburt Jesu. Alle sollen ohne Barrieren an der Krippe verweilen können, sie betreten, begehen und sich in ihr niedersetzen können. In ihrer formalen Einfachheit strahlt die Krippe eine heilsame Ruhe und einen tiefen Frieden aus, die man aus den Perspektiven der einzelnen Krippenfiguren erfahren kann, wenn man deren Platz einnimmt.  In ihrer Sinnlichkeit trägt die Krippe dazu bei, die Geburt Jesu als gegenwärtiges Geschehen zu erleben, das uns alle betrifft und unser aller Leben zu verändern vermag. Im Verweilen an der Krippe entziehen wir uns der Eile (die sich im Wort „Verweilen“ versteckt) und schaffen die Möglichkeit, aus Gottes Fülle beschenkt zu werden mit “Gnade über Gnade” (Joh 1,17).

 

Die Installation ist in der kath. Kirche St. Agnes in Hamm zu sehen und zu erleben.

Ein Modell der Krippe von Marc von Reth / Institut für Inszenierung ist bis zum 13. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

ER!

Eine halbgeöffnete Hand und wenige Worte bilden im Zentrum des Glasfensters von Angelika Weingardt – über dem Taufstein in der evangelischen Ulrichskirche von Weissach – den geheimnisvollen Hinweis auf einen unsichtbaren Dritten. Von oben nach unten führt die Bewegung des zweigeteilten Textes „es kommt einer nach mir“ – „der vor mir war“ (Joh 1,30) zwischen den beiden Hauptdarstellern hindurch. Die fotografische Wiedergabe von Menschen in einfacher Kleidung unserer Zeit weist auf eine Vergegenwärtigung des Geschehens zur Zeit Jesu hin. Trotz ihrer realistischen Präsenz entziehen sich die beiden Personen einer eindeutigen Identifikation durch die vom Bildrand verdeckte Hälfte. Dennoch kann über die geöffnete, „sprechende“ Hand und die räumliche Nähe der Worte zur größeren, bärtigen und älteren Person diese als Johannes der Täufer gesehen werden. Durch seine hinweisende Hand ist er als der Handelnde ausgewiesen. Seine rötliche Aura könnte auf den roten Sand der Wüste oder vielmehr auf seine Be-Geist-erung für die Sache Jesu deuten. Sein Gegenüber hingegen wird durch die schwarzgraue Kleidung und die in sich gekehrte Haltung als Empfangender und durch die blaue Aura vorrangig auch als ein durch die Taufe neu in die Glaubensgemeinschaft Eintretender dargestellt.

Die Worte des Täufers rufen also die Taufsituation in Erinnerung und man ist versucht, Jesus personifiziert in der Gestalt des jungen Mannes zu sehen. Doch die Worte des Täufers stellen Jesus als den Größeren und Wichtigeren unsichtbar und unmittelbar an die Seite des Täuflings. Dieser wird auf den Namen des Gottessohnes getauft werden, „der ist, der war und der kommt“ (Offb 1,8). Somit verweist der zweite Teil der Johanneischen Worte, dass der Nachfolgende schon vorher existent war, auf das nicht mit dem Verstand zu entschlüsselnde Geheimnis der überzeitlichen Omnipräsenz Jesu, an dem der Getaufte teilhaben wird.

Die diffus und mit niedrigem Horizont angedeutete Landschaft zwischen den beiden Männern lässt einen Baum erkennen und dahinter einen See. Das lässt die beiden Männer schwerelos erscheinen und erhebt sie in eine überirdische Sphäre. Ihre Köpfe ragen denn auch in das klare Weiß des Himmels, als wolle damit ihre geistige Verwurzelung in Gott als Quelle ihres neuen Lebens betont werden. In der pfeilförmigen weißen Erscheinung im Rundbogen des Fensters ist man versucht eine unauffällige Taube als Symbol für den Heiligen Geist zu sehen. Stärker jedoch verbindet ein gelber Bogen ihre Köpfe. Er wirkt als Licht- und Kraftbogen einer geistigen Verbundenheit, der im Dreiklang mit den geheimnisvollen farblichen Auren gleichzeitig die göttliche Dreifaltigkeit anklingen lässt: Rot: Vater/Liebe. Blau: Sohn/Glaube und Treue. Gelb: Heiliger Geist/Hoffnung und Erleuchtung. Denn Getauft-Werden bedeutet: Aufnahme in die ganze dreifaltige Wirklichkeit.

Die beiden ausgestreckten Finger des Täufers bleiben bei all diesen Gedanken präsent. Der Daumen weist auf den Täufling und alle Getauften, der Zeigefinger auf die Worte „der vor mir war“ am unteren Rand des Fensters, um allen in Erinnerung zu rufen, dass die Taufe ein Geschenk, der Glaube an Gott eine Gnade ist und wir wie Johannes nicht würdig sind, die Riemen seiner Sandalen zu lösen (vgl. Joh 1,27). Die zeigende Hand ist der Hinweis, wachsam zu sein auf sein Kommen. Denn: „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt“ (Joh 1,26b). Doch Johannes der Täufer hat den Gottessohn erkannt und ihn uns gezeigt, damit ER durch seinen Heiligen Geist in unserem Leben für alle Menschen sichtbar offenbar wird.

Atem der Seele

Auf einem mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch konzentrieren sich in der Mitte goldene Schmetterlinge. Sie bilden eine Art Nest, einen Schwarm, eine übervolle Schale, von der ausschwärmend sich die Schmetterlinge im ganzen Raum auf den Gegenständen und an den Wänden niedergelassen haben.

Der schlichte Tisch mit den goldenen Schmetterlingen erinnert an den mit Kelch und Patene bedeckten eucharistischen Tisch in den Kirchen. Der Tisch steht für jede gute menschliche Versammlung zum gemeinsamen Mahl. In den Kirchen erinnert der „Tisch des Herrn“ an das Letzte Abendmahl, in dem sich Jesus nach Lobpreis und Dank selbst seinen Jüngern schenkte mit den Worten: „Nehmt, das ist mein Leib“ – „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ (Mk 14,22f) Etwas davon schwingt in den Schmetterlingen mit in den Raum und zu den Menschen.

Wunderbar werden hier Tod und Auferstehung symbolisch dargestellt. Denn das weiße Tischtuch erinnert auch an ein Leichentuch, mit dem man Verstorbene zudeckt. Doch dieses hier ist in der Mitte kaum sichtbar aufgerissen und durch seine Öffnung steigen unaufhaltsam Schmetterlinge. So steht dem einsamen Ableben die gemeinsame Auferstehung gegenüber, dem irdischen Tod das göttliche Leben, der Zeitlichkeit die Ewigkeit.

Der Schmetterling war durch das Verpuppen und Schlüpfen aus dem anscheinend leblosen Kokon nach monatelanger äußerer Ruhe in der Antike das Sinnbild der Wiedergeburt und Unsterblichkeit und ist in der christlichen Kunst noch heute ein Symbol für die Auferstehung. In der altgriechischen Sprache wurde der Schmetterling „Psyché“ genannt, weil die Hellenen diese Verwandlungskünstler als Verkörperung der menschlichen Seele sahen. Im Schmetterling fanden sie die Lebendigkeit und den Atem der Seele wieder, die nach der überraschenden Verwandlung die Erdgebundenheit hinter sich lässt und in ungeahnter Leichtigkeit im Sonnenlicht dem Himmel entgegentanzt.

Der goldene Schmetterlingsschwarm deutet funkelnd auf ein außerordentliches Ereignis, eine unerwartete Fülle an Leben und Bewegung, eine sich unaufhörlich ausbreitende Segensfülle, auf ein Sich-Verteilen und -Verschenken. Er erinnert an das staunend hervorgebrachte Wort aus dem Johannesevangelium 1,16 über Jesus: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ Dieser dichte Schmetterlingsschwarm vermag Wesentliches von Jesus zu versinnbildlichen: Die Offenbarung seiner göttlichen Herkunft, die Kraft und den Auftrag, die ihn beseelten Gutes zu tun und den Menschen alles an die Hand und ins Herz zu geben, damit aus der Verbundenheit mit Gott Verwandlung zu einem neuen Leben möglich wird. Ein Leben, das durch den Atem der Seele Freiheit und Leichtigkeit gewinnt. Ein Leben, das durch die Begeisterung der Seele alle Lebensdimensionen so verwandelt, mitgestaltet und prägt, dass sie teil hat an der Ewigkeit.

Video vom “Offenen Himmel” im Klinikum Singen im Mai 2021:  mit Flügeln und mit einem langen Atem (43 Min)

Trio natale – Verborgene Gegenwart

Verwirrt und irritiert wandert der Blick zwischen den verschiedenen Elementen dieser Krippeninstallation hin und her. Irgendwie will so gar nichts in die gängigen Bildvorlagen und -erfahrungen von Weihnachtskrippen passen: weder der sperrige Wäscheständer noch die festgeklammerten Bildtafeln mit den Umrissen von Krippenfiguren, noch das vergoldete Wandbild darüber, dessen Mitte leer ist.

Immerhin sind auf den Bildtafeln mit etwas Glück in Leserichtung die heiligen drei Könige, der Esel, die Hirten, der Ochs, Josef, Maria mit dem Jesuskind, ein Stall und der Engel zu erkennen. Wie Wäschestücke sind sie mit Holzklammern am Draht befestigt, nicht hängend, sondern stehend, auch wenn die Schatten einen anderen Eindruck vermitteln.

Die Befestigung der Bildtafeln wirkt improvisiert, vorübergehend, so wie dieser Ständer nicht als Bleibe für die Wäsche vorgesehen ist. Der mobile Wäscheständer mit X-Beinen bietet der heimatlosen Truppe einen vorübergehenden Ort zum Verweilen. Er gibt denen, die in sozial labilen Strukturen leben, trotz seiner wackeligen Konstruktion einen festen Halt, damit sie auf ihm stehen, sich zeigen und sichtbar werden können.

Von unten nach oben betrachtet bildet die Installation ein „Trio natale“, ein „Weihnachtstrio“: Wäscheständer, Krippenfiguren, vergoldetes Wandbild. Der Wäscheständer steht für unsere Zeit, für die Gegenwart. Wäschewaschen gehört zu unserem Lebensalltag wie Essen und Schlafen. Die bescheidene Konstruktion und die kreuzförmigen Beine rücken die knappen Mittel vieler Haushalte und die Mühe und Last der Hausarbeit an die Krippe heran.

Doch genau an diesem Ort, unerwartet inmitten unseres Alltags offenbart sich Gottes Gegenwart in der Geburt seines Sohnes durch Maria. Völlig überraschend, wie bei einem Wunder, stehen die Bildtafeln und weisen unauffällig auf das Wandbild darüber. Die in Umrissen gezeichneten Figuren stehen stellvertretend für Arme und Reiche, für die Menschen vom Land wie aus der Stadt. Die Silhouetten sind Werken berühmter Künstler entnommen und gleichzeitig so offen, dass der Betrachter in den einzelnen Figuren eigene Bilder sehen kann, ja in ihre Rolle schlüpfend einen Platz unmittelbar an der Krippe, beim Jesuskind, finden kann.

Jesus will in dieser Installation gesucht werden, auch wenn er wie Maria zweimal dargestellt ist: Geborgen bzw. verborgen in der Gestalt seiner Mutter ist auf der hell beleuchteten Bildtafel vorne rechts und im goldenen Wandbild jeweils links vom Kopf Mariens eine Auswölbung zu sehen, die im Original vom Kopf Jesu stammt. Die Frage bleibt: Wieso ist Jesus gerade da, wo sich alles um ihn dreht, kaum bis gar nicht zu sehen? Ist er nur noch abwesend gegenwärtig? Ist er in unserem durch eine allgegenwärtige Informationsflut und materielle Fülle gekennzeichneten Leben nur noch in den Zwischenräumen als Negativbild da? Unsichtbar in den aus einer fernen Epoche, mit der wir nicht mehr viel gemein haben, entlehnten „Krippenfiguren“?

Das quadratische Wandbild mit der ausgesparten Abbildung der Sixtinischen Madonna von Raphael bildet den Höhepunkt im vertikalen Aufwärtsstreben. Im Gegensatz zum ärmlichen Wäscheständer, der geerdet auf dem Boden der Tatsachen steht, bringt das goldglänzende Wandbild eine überirdische Komponente in die Installation. Außergewöhnlich in seiner Leuchtkraft, erhoben über der bescheidenen Krippe auf dem Wäscheständer, bewirkt das Bild eine Verherrlichung der Gottesmutter und ihres Kindes. Die schwebende Darstellung verknüpft die abwesende Figur der freien Bildmitte mit der apokalyptischen Frau, deren Kind nach der Geburt zu Gott und zu seinem Thron entrückt wurde, um es vor dem Drachen zu schützen (Offb 12,1-6).

Ähnlich dem Goldgrund einer Ikone weist der vergoldete Rahmen auf die Heiligkeit seiner Mitte hin. Einer Mitte, die offen ist für das sichtbare oder unsichtbare Bild, das durch uns hineingelegt wird: Unsere Vision des Jesuskindes, unser verinnerlichtes Bild des menschgewordenen Gottessohnes, der mitten unter uns gewohnt hat und der durch uns weiterhin in unserer Welt wohnen und wirken will. Wo sich die Zwischenräume füllen, wo die Krippenfiguren lebendig werden, da ist auch für uns das Kind geboren.

„Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen.” (Offb 12,12)

Die Arbeit von Jörg Länger ist im Original bis zum 23. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” target=”_blank” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. Sehr empfehlenswert! 

Kein Platz für Gottes Sohn

Zwei geflügelte Männer in weißen Latzhosen stehen etwas verloren bzw. verwundert auf einem Fernsehgehäuse, das ein Stern mit Schweif gerade durchschlagen hat.

Auf der Innenseite des Gehäuses weist er nicht auf eine idyllische Krippenszene, sondern auf eine Dreierfamilie, die mit vielen Geschenken vor einem kleinen, mit Kugeln geschmückten Tannenbaum sitzt. Vater und Mutter hocken gelangweilt oder erschöpft in ihren Sesseln, ihr Sohn fotografiert das Ereignis des hereinbrechenden Sterns.  Erstaunlicherweise stehen auf ihrer Seite im Hintergrund ein verschmitzt schauender Ochse und ein lachender Esel. Die Wände ihrer Behausung sind mit Schlagworten wie BILDUNG IST KINDERSACHE, SKY, MY PERSON FIRST und in einem Stern SALE über den roten Buchstaben von XMAS bedeckt. Hier wird ein soziales Milieu auf dem Niveau einer Bild am Sonntag in Szene gesetzt, das den tieferen Sinn und Zugang zu Weihnachten verloren hat.

Wahrscheinlich aus diesem Grund stehen Maria in Gestalt einer einfach gekleideten Frau mit einem Neugeborenen auf dem Arm, und Josef auf der anderen Seite der Trennwand in der dunklen und kalten Nacht. Das Lämmchen verweist auf Jesus als dem Lamm Gottes, es scheint aber genauso zu frieren wie die kleine Familie.

Sozialkritisch formuliert der Künstler in dieser Krippe Missstände in unserer Gesellschaft. Weihnachten hat sich immer mehr zu einem Konsumfest entwickelt, bei dem es zentral um Erfüllung persönlicher Wünsche und um mehr oder weniger kostspielige Geschenke geht. Fast wie im Fernsehen (oder gar nach dessen Vorbild?) ist das Fest in vielen Familien zu einer großen Show verkommen, bei denen Christbaum und Geschenke zu netten Attributen eines profanisierten Weihnachtsfestes gehören. Alles dreht sich um die Familie, das Essen, die Dekoration und natürlich die Geschenke. Aber nicht mehr um die Geburt des Gottessohnes in unser Welt. Gnädigerweise erhält er vielleicht einen Platz in einer Krippe, vielleicht geht man auch zur Kirche – weil es sich so gehört. Aber die Heilige Familie und das Jesuskind haben viele vor die Türe gestellt. Sie finden keine Herberge, keinen Eingang und keinen Platz in den Herzen dieser Konsumfamilien.

Es ist Zeit umzukehren. Es ist Zeit, Gott wieder einen Platz in unserer Mitte zu geben, in unserem Leben. Die sonderbare Krippe zeigt, wie wir unser Leben von Konsumgütern bestimmen lassen. Es ist Zeit umzukehren. Es ist Zeit, Gott wieder einen Platz in unserer Mitte zu geben, einen festen Ort in unserem Leben. Die Konsumkrippe als kritisches Selbstbildnis möchte uns aufrütteln, uns wieder auf wesentliche Werte zu besinnen, damit wir unser Leben Tag für Tag mit Gottes Geist gestalten und es auf IHN ausrichten. Denn wenn wir anfangen, uns selbst zu verschenken, dann wird Weihnachten nicht nur an einem Tag, sondern das ganze Jahr gefeiert werden können.

Die Arbeit von Rudi Bannwarth war in der 79. Telgter Krippenausstellung “Auf der Suche nach dem Licht der Welt” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Gottes Liebe ist ausgegossen

Visionär ist die Schau, in der sich das Licht aus der Höhe in die menschliche Dunkelheit ergießt und sternförmig über einer winzigen Menschengruppe aufstrahlt. Denn dass ein Gott, der per se überirdisch, ewig und damit transzendent ist, sich entäußert und Menschengestalt annimmt, ist schlichtweg unvorstellbar.

Doch weil bei Gott nichts unmöglich ist, kam er in Jesus Christus zu uns auf die Erde und wurde durch Maria Mensch. Diesem Wunder nähert sich die Künstlerin ebenso wie die Heilige Schrift in Symbolen.

Gott ist Licht. Seine Ewigkeit wird durch die Kreisform, die keinen Anfang und kein Ende hat, beschrieben. Im Innern dieses Kreises erzählen wunderbar bewegte rote und gelbe Linien, dass Gott die Quelle des Lebens ist. Im weißen Herz kommt zum Ausdruck, dass Er reine schöpferische Liebe ist, die über sich hinauswachsen will. Davon erzählt die Schöpfungsgeschichte, die mit der Erschaffung des Lichts begann und mit der der Menschen endet (Gen 1,1-31).

Jesus ist das Licht der Welt, weil er aus dem Licht kommt. Durch die Parallelen zur Schöpfungsgeschichte verankert der Evangelist Johannes im Prolog seines Evangeliums Jesus in Gott, wenn er schreibt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1-4)

Mit Jesus schenkt Gott seiner Schöpfung einen Neuanfang. Doch dieses Mal geht es nicht um die Erschaffung einer materiellen Welt, sondern um die Erneuerung des Menschen. Deshalb schreibt Johannes: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. […] Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut […], sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh 1,9.12.13d)

Jesus ist der Erstgeborene dieser neuen Schöpfung. Im Bild ergießt sich das Licht in die Dunkelheit hinein. Es bahnt sich einen bleibenden Weg durch die Dunkelheit und explodiert förmlich in einem großen leuchtenden Stern über der kleinen Menschengruppe. Diese ist aus Wachs geformt und vor dem unteren Bildrand auf einer Zündholzschachtel erhöht angeordnet. Maria im blau-roten Kleid kniet anbetend vor der Krippe ihres Neugeborenen, Josef steht als Hirte gekleidet daneben.

Die Künstlerin hat mit dem gekneteten Wachs symbolisch den neuen Adam geschaffen. Indem sie ihn figürlich geschaffen hat, ließ sie das (gemalte) Licht Materie annehmen. Sie bildet damit ab, wie „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14a).

Die Streichholzschachtel ist ein Hinweis, dass wir uns aufmachen, uns begeistern und anzünden lassen, und so Licht werden sollen. Sein Licht will wie der Stern im Bild in uns leuchten. Denn die schwarze Fläche im Bild ist mehr als ein effektvoller Hintergrund. Sie ist die symbolische Darstellung alles Dunklen in unserem Leben. Sie ist Ausdruck unserer Verlorenheit ohne Retter. Sie zeigt unsere Sehnsucht nach Licht, nach Erleuchtung und Orientierung, letztlich nach Gott.

Carola Wedell führt uns mit ihrer visionären Schau erneut die großen Zusammenhänge der Geburt Jesu vor Augen. Und alle, die von seinem Licht erleuchtet sind, die sein Wort in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben, können staunend in das Bekenntnis des Johannes einstimmen: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14b).

Die Arbeit von Carola Wedell war in der 79. Telgter Krippenausstellung “Auf der Suche nach dem Licht der Welt” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. 

Ankündigung und Programm

Im Basler Münster befinden sich in der Nikolauskapelle drei Glasfenster, die mit dem Ornament der Schriftzeichen gestaltet worden sind. Sie stehen konsequent in der Tradition der Schweizer Reformation, die Gläubigen durch das Wort zu stärken und nicht durch Bilder vom Wesentlichen abzulenken. Die „Wortfenster“ des Basler Künstlers Samuel Buri sind alle mit den gleichen Worten aus dem Buch Jesaja 9,6 (Lutherbibel; 9,5 Einheitsübersetzung) gestaltet. Im Chorfenster in Deutsch, in den beiden seitlichen Fenstern in Englisch und Französisch.

WUNDERBAR, RAT, KRAFT, HELD, EWIG VATER, FRIEDE FÜRST

Wonderful Counselor, Mighty God, Ever Lasting Father, Prince of Peace

Admirable Conseiller, Dieu puissant, Père éternel, Prince de la Paix

Die farbliche Gestaltung beschränkt sich auf die drei Grundfarben rot, gelb und blau, die im Giebelmaßwerk der Fenster in Dreieckformen die Positionen wechseln. In jedem der Fenster „fließt“ eine der drei Farben nach unten in den Text hinein und bildet zwischen den weißen Buchstaben und insbesondere im seitlichen und unteren Randbereich feine farbliche Akzente.

Die drei sich in der Mitte berührenden Farbsegmente lassen an ein Symbol für die Dreifaltigkeit denken, die sich in einem Menschenkind entäußert und ihre dreifaltige Größe in eben diesen fünf Namen offenbart. Jedes einzelne Wort ist Programm und geistige Nahrung für jeden, der die Worte liest. Wie die drei Grundfarben die Basis für alle weiteren Farben sind, so sind die Namen des verheißenen Kindes – das dem „Volk, das in der Finsternis ging“ verkündet wurde (vgl. Jes 9,1) – über seine Geburt hinaus eine lichtvolle Basis für die Gestaltung eines Lebens aus dem Glauben. Die kraftvollen Worte können nicht oft genug gelesen und meditiert werden. Sie führen zur Anbetung des Gottessohnes, sie führen zur lebendigen Gemeinschaft mit Jesus und aus dieser Gemeinschaft heraus „zu einer intensiveren Lebensfülle“. Denn für den Künstler „führt ein Fenster zur Fülle des Lebens“. (Beat Rink)

Alle Menschen sollen Zugang zu dieser intensiveren Lebensfülle erhalten. Deshalb war es nur konsequent, Gottes Botschaft zum einen in Deutsch und Französisch abzubilden, den beiden Sprachen, die im Länderdreieck „Schweiz – Deutschland – Frankreich“ gesprochen werden, zum anderen aber in Englisch, der Welt- und Touristensprache des 20. Jahrhunderts.

So können auch wir heute die Namen Gottes mit auf den Weg zur Krippe nehmen und sie Ihm – Ehre erweisend und Ihn anbetend – darbringen: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens! Wir können mit Seinen Namen an der Krippe verweilen und aus der gestärkten Gemeinschaft mit Ihm seine Namen als Halt und Wegweiser in den Alltag mitnehmen – einem nun mit Gott erfüllten Leben.

Fußabdruck

Am Boden einer scheinbar mit Wasser gefüllten Emaille-Schüssel sind zwei Fußabdrücke zu sehen. Es ist, als hätte jemand beim Waschen der Füße einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Als wolle er für alle Zeiten sagen: Tretet in meine Fußstapfen, macht es genauso. Doch haltet euch nicht nur selbst rein, sondern wascht einander die Füße! So hat Jesus seinen Jüngern nach dem letzten Abendmahl die Füße gewaschen und Ihnen gesagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,15)

Außer der Fußwaschung erinnert der Fußabdruck in der Schüssel an Jesu Gang über das Wasser. Er hat damals keine materiellen Fußspuren hinterlassen,  aber Spuren allemal. Manch einer mag vielleicht auch an Darstellungen der Fußabdrücke bei Christi Himmelfahrt denken, die zum Ausdruck brachten, dass er als Mensch auf der Erde lebte, doch nach seiner Auferstehung von den Toten zu seinem himmlischen Vater zurückkehrte.

Doch so wenig wie beim Gang über das Wasser oder bei der Himmelfahrt entsteht beim Waschen von Füßen ein Fußabdruck. Wäre dem so, würde es an ein Wunder grenzen. Ein normaler „Fußabdruck“ im Wasser wäre z. B. von Schmutzpartikeln getrübtes Wasser. Eindrücke wie in der vorliegenden Arbeit entstehen in der Regel nur in weichem, formbarem Material. Hier hat die Künstlerin zwei Füße in kaltgeformte Glaspaste (Pâte de Verre) gedrückt und diese anschließend im Ofen unter starker Hitze zum Schmelzen gebracht, so dass sie transparent wurde.

Letztlich hat das Schmelzen der Glaspaste diese erst transparent und damit die Fußabdrücke wieder sichtbar werden lassen. Wie oft denken wir, dass wir durch unser Tun und Leben kaum Spuren hinterlassen. Am Aschermittwoch werden wir mit einem Aschekreuz daran erinnert, dass wir eines Tages zu Staub zurückkehren werden. Der Fußabdruck in der Waschschüssel erinnert uns auch, dass wir mit allem, was wir tun, einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Was wir essen, wie wir wohnen und leben, wohin wir mit welchem Transportmittel fahren, wie viel Infrastruktur wir brauchen. All das bindet Ressourcen und hinterlässt umweltbelastende Spuren und Materialien.

Jesus ruft die Menschen in seinen Predigten immer wieder zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium auf. Er ruft uns auf ganz unterschiedliche Art und Weise in seine Nachfolge, damit  wir „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Umkehr bedeutet nach der Fußwaschung sich gering achten, den anderen zu sehen und ihm Gutes zu tun. Dazu gehört auch die Bewahrung der Schöpfung, damit dem Nächsten und seinen Nachkommen genügend reine und unverfälschte Ressourcen zum Leben zur Verfügung stehen.

Wenn das Wasser so verschmutzt ist, dass es nicht mehr zum Trinken verwendet werden kann, geschweige denn beim Waschen sauber oder rein macht, dann wird es zu spät für eine Umkehr sein. In abgewandelter Form könnten die Worte aus der Aschermittwochliturgie lauten: Bedenke Mensch, wo du hintrittst und welche Zerstörung du hinterlässt!

Die Arbeit von Ilka Raupach war für den Kunstpreis der Erzdiözese Freiburg 2019 nominiert und im Rahmen der Ausstellung WAS IST WAHR an verschiedenen Orten Deutschlands zu sehen (siehe Ausstellungshinweise). Der Katalog zum Kunstpreis ist beim Mondo Verlag erhältlich.

“Suche Frieden und jage ihm nach”

Sehnsucht nach Frieden
Jeder von uns trägt in sich die tiefe Sehnsucht und Hoffnung, sein Leben in Frieden leben zu können. Das bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Streit und Krieg. Dazu gehören auch wirtschaftliche Stabilität, tragende mitmenschliche Beziehungen, sinnerfüllende Tätigkeiten, Anerkennung. Diese und weitere Faktoren tragen zu einem inneren Frieden bei, den man auch als innere Ruhe oder satte Zufriedenheit bezeichnen könnte.

Doch jeder von uns weiß, wie zerbrechlich und flüchtig Frieden in unserem Leben ist. Schon eine Kleinigkeit wie ein Wort vermag uns aus der Ruhe zu bringen. Oder ein unerfüllter Wunsch lässt Unzufriedenheit in uns aufkeimen. Streit vermag Beziehungen zu zerstören, Neid und Missgunst schwächen die Arbeitskraft, Machtgelüste bringt Unfrieden übers Land. Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.

Gerade weil Frieden keine Selbstverständlichkeit ist und schnell seine Tragfähigkeit verliert, ist der unaufhörliche Aufruf zu seiner Bewahrung im wahrsten Sinne des Wortes notwendig. David fordert deshalb im Psalm 34,15 auf: „Meide das Böse und tu das Gute, suche Frieden und jage ihm nach.“ Er betet diese Worte auf der Flucht vor König Saul, der ihm voller Neid über seine Erfolge nach dem Leben trachtet.

Frieden suchen
Aus der Lebenssituation Davids geht hervor, dass die Suche nach Frieden aus der Verbundenheit mit Gott, im Gespräch mit ihm, dem Gebet, beginnt, dann daraus heraus mit einer aktiven Entscheidung für das Gute zu tun haben und wie bei einer Jagd mit einer außerordentlichen Anstrengung verbunden sind. Frieden ist nicht einfach da, er muss mit allen Kräften und Fähigkeiten gesucht werden, er will entdeckt und festgehalten werden. Denn Frieden ist kein materielles Gut, sondern entsteht aus dem respekt- und rücksichtsvollen Umgang mit sich selbst, dem Nächsten und der Schöpfung.

Im Bild ist diese Suche oder diese Jagd als etwas Dynamisches dargestellt. Als eine lichte Öffnung in der vordergründigen Gegenwart, die in die Tiefe führt. Dies lässt erahnen, dass Frieden immer etwas Göttliches in sich hat. Am tiefsten Punkt des diagonalen Lichteinbruchs und steht ein Kreuz wie ein Anker in der stürmischen See. Es bildet den Fixpunkt und Ruhepol in einer unruhig bewegten Umgebung aus dunklen Bereichen, mattem Gelb und unklaren Strukturen. Es verweist auf Jesus, den Gott in die Tiefen unseres Lebens hineingegeben hat, damit er auch dort, wo wir nicht hinkommen, Vergebung und Versöhnung schenken kann. Durch sein friedenstiftendes Wirken wird es heller und friedvoller in der Welt unserer Herzen. Das erkannte auch der Schweizer Mystiker Nikolaus von der Flüe, der Gott als Urgrund des Friedens sah und über ihn sagte: „Fried ist allweg in Gott, denn Gott ist der Fried.“ Leuchtend gelb strahlt das Kreuz Licht und Hoffnung aus und in den gelben Farbelementen wird eine von ihm ausgehende Gnadenfülle spürbar. Im oberen Bereich des Lichtstrahls gliedern waagrechte Farbstriche wie Treppenstufen die helle Fläche. Ihre Farben erinnern an den Regenbogen als Zeichen des Friedensbundes zwischen Gott und den Menschen (Gen 9,8-17).

Frieden stiften
Gleichzeitig führen die Treppenstufen über das Bildformat hinaus in den Himmel. Damit verweisen sie auf den Traum Jakobs, der den Himmel offen und Engel auf einer Treppe auf- und niedersteigen sah (Gen 28,12). Diese farbenfrohen Stufen laden auch uns ein, aktiv zu werden und Zeichen zu setzen, damit Frieden in dieser Welt werden kann. Sie laden ein und machen deutlich, dass Frieden bewahren oder bewirken mit Anstrengungen und Bemühungen verbunden ist, die an unsere Grenzen, aber auch in den Himmel hinaufführen. „Selig die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“, ruft Jesus seinen Zuhörern in den Seligpreisungen am Anfang der Bergpredigt zu. Hier gibt er auch ganz konkrete Beispiele, wie aus der innigen Verbundenheit mit Gott heraus Frieden gestiftet und damit jedes Mal etwas mehr vom Himmelreich mitten unter uns sichtbar werden kann: Bei mir angefangen heißt das, mich nicht so wichtig zu nehmen, meine Ansprüche maßvoll zu gestalten, bescheiden und ressourcenorientiert zu leben, damit alle genug haben. In Bezug auf die Mitmenschen bedeutet dies, empathisch den Nächsten zu sehen und mich selbstlos einzusetzen und einzumischen, wo er in Not ist oder ungerecht behandelt wird. Im Weiteren gilt es die Schöpfung in ihrer Artenvielfalt und ihrem Reichtum zu respektieren und zu bewahren. Denn auch sie braucht ihren Frieden, um uns nachhaltig versorgen zu können.

„Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9)

Dieses Bild kann mit dem eingedrucktem Text der Jahreslosung 2019 als Karte, Poster, usw. HIER bezogen werden.

Verstärkung

Von einem einfachen roten Hocker sind zwei Beine abgesägt worden. Ohne sie ist der Hocker als Sitzgelegenheit unbrauchbar. Doch bei einem Stuhlbein wurde in Form einer Jesusfigur ein Ersatzstück eingefügt, sodass der Stuhl auf drei Beinen doch ganz ordentlich stehen kann.

Die aufgetürmten Betonsteine belegen zudem, dass der Stuhl auch unter großer Belastung zu bestehen vermag.  Es sieht ganz danach aus, als könnte der Stuhl durch den Beistand von Jesus übermenschliche Lasten tragen. Belastungen, die wir gerne als „Kreuz“ bezeichnen, wie es die aufgetürmten Steinplatten andeuten.

Jesus gleicht darin einem Atlant, einer männlichen Figur, die in der Architektur manchmal verwendet wurde, um mit gebeugtem Rücken und erhobenen Armen bauliche Lasten zu stemmen. Da die Jesusfigur die Last jedoch mit aufrechter Körperhaltung und direkt mit dem Kopf abfängt, steht sie dem weiblichen Pendant zum Atlant, der Karyatide, näher.

Jesus hält alles im Gleichgewicht. Er ist der Ausgleichende, Aushaltende, die Stützenhilfe. Vor dem Hintergrund seines Lebens wird klar, dass der rote Hocker ein Symbol für uns Menschen ist. Hat sich Jesus nicht überall dort dazwischen gestellt, wo Menschen und Gesetze unmenschlich geworden sind? Er ist derjenige, der uns aufrichtet, er ist unsere Stütze, damit wir nicht umfallen, der Entlastende und Lastenträger, wo etwas zu schwer wird. Er ist unser Verstärker, damit wir die Belastungen aus- und durchhalten können, der Lückenfüller, wo wir einen Verlust erfahren haben und uns etwas oder jemand fehlt.

Die Jesusfigur hat wie vor Freude die Arme weit ausgebreitet. Doch die ausgebreiteten Arme der Figur stammen vom Kreuz, vom Leid, das ihm widerfahren ist. Da er die unmenschliche Last mit seinen Beinen, dem Oberkörper und dem Kopf trägt, sind seine Arme frei, um die Einladung auszusprechen:  „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28) Jesus bleibt der Diener der Menschen, der Unterstützer beim Tragen all unserer Lasten. Er ist in dieser Arbeit der tatkräftige Beistand, der sich dort einbringt, wo Not ist.

„Dazwischen“ nennt der Künstler sein Werk. Damit lädt er ein, aus einer ungewohnten Perspektive die Vermittlerrolle Jesu neu zu betrachten und zu bedenken. Und nicht zuletzt befindet sich auch der Hocker zwischen Boden und Steinblöcken … und braucht Verstärkung, um trotz aller Belastungen, denen er ausgesetzt ist, standzuhalten.

Zwischen den Zeilen

In einer aufgeschlagenen Bibel mit schwarz-weißen Reproduktionen von Zeichnungen des französischen Künstlers Gustave Doré (deutsche Ausgabe von 1865) entfaltet sich ein überraschendes Geschehen. In einem geschaffenen Freiraum werden reliefartig aus den Buchseiten geschnittene Figuren sichtbar, die links drei Kronen tragende Köpfe zeigen, die auf eine bescheidene Hütte zugehen, rechts zwei stehende Personen – Maria und Josef – mit dem göttlichen Kind in ihrer Mitte. Wie es die Seitenzahlen und –überschriften andeuten, sind die Seiten in die Mitte der Bibel verlegt und die entsprechenden Textzitate (Mt 2; Lk 2) aufgeklebt worden.

Vor dem dunklen Hintergrund mit den detailgetreuen Darstellungen (links „Der Engel zeigt Johannes Jerusalem“, Offb 21,10; rechts „Geburt Jesu/ Anbetung der Hirten“, Lk 2,16) wirken die aus dem Papier herausgeschnittenen und nur mit den passenden Bibelzitaten „texturierten“ Figuren sehr schlicht. Einen farblich-flächigen Kontrast bildet jedoch die dezente Vergoldung der Kronen, des Fensters und der Tür der Hütte sowie des Kinderkopfes. Gehalten werden diese zeitgenössischen Darstellungen durch den Seitenrand, der zugleich Bildrahmen und Raumbegrenzung ist.

Diese Darstellung macht auf das einschneidende Ereignis der Geburt Jesu in der Geschichte zwischen Gott und den Menschen aufmerksam. Sein Kommen in unsere Welt markiert nach dem christlichen Verständnis eine Zeitenwende, weshalb seine Geburt den Anfang der westlichen Zeitrechnung bildet.

Der Werktitel deutet zudem an, dass die Geburt „zwischen den Zeilen“ des Zeitgeschehens stattfand, so dass nur die wachsamen Weisen und Hirten zu Jesus fanden. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Nur jene, die mit wachsamem und aufrichtigem Herzen Jesus suchen, werden in ihm auch das Licht der Welt erblicken.

In Bezug auf das Werk selbst kann der Titel auch als Geburtsdarstellung „zwischen den Seiten“ verstanden werden, weil sie sich zwischen den Seiten und in den Seiten der Bibel befindet.

Wie auch immer tritt das weihnachtliche Geschehen aus der Tiefe und dem Dunkel des Buchinnern nach vorne ins Licht der Gegenwart und damit in das Leben des Lesers und Betrachters. Auch wenn der Text durch die künstlerische Intervention beschnitten wurde, verbindet diese das Wort Gottes in ganz besonderer Weise mit den biblischen Gestalten. Ihre weiße Gestalt bildet letztlich eine Projektionsfläche für alle Menschen, die Gottes Wort in sich aufnehmen, ihm Wohnung geben und sich von ihm leiten lassen. In ihnen wird Gottes Gegenwart groß und für alle wachsamen Zeitgenossen ein sichtbares Licht werden.

Diese Arbeit entstand im Rahmen des vom Diözesanmuseum Freising ausgeschriebenen Krippenwettbewerbs und wurde bis 14. Januar 2018 mit 88 weiteren Arbeiten in der Karmeliterkirche in München gezeigt und ist im Ausstellungskatalog “Schöne Bescherung: Krippen 89/89 Kreative” abgebildet.

Reinheit

Eine junge Frau sitzt in einem Waschsalon mit gekreuzten Beinen auf der Abdeckung von drei Waschmaschinen. Gelassen schaut sie den Betrachter an. Über ihrem Schoß liegt ein weißes Bettlaken, das einen Blutfleck aufweist, der sich genau am Ende ihres langen Kleides und über der Einfüllklappe der Waschmaschine befindet. Neben der jungen Frau steht etwas abseits eine weiße Lilie auf der Arbeitsfläche. Zusammen mit dem Laken verbindet sie optisch die weiße Front der Waschmaschinen mit der weißen Rückwand.

Im Bild ist bis auf den roten Fleck alles sauber oder am Sauber-Werden. Dadurch werden in diesem kühlen und fast sterilen Ambiente mit den wenigen Accessoires so gegensätzliche Begriffe wie Beschmutzen und Waschen, Verunreinigen und Reinwaschen, Unschuld und Sünde, Rein und Unrein thematisiert und mit der auf den Waschmaschinen „erhöhten“ Frau mal mehr dem Himmel oder der Erde zugeordnet. Unwillkürlich muss man an Maria denken, die vor der Geburt Jesu „keinen Mann erkannte“ (Lk 1,34) und so weder ihre „Unschuld verloren“ hatte, „entjungfert“ oder „unrein“ wurde. Damit wird sie aus allen Frauen herausgehoben und erhält sogar unter allen Menschen eine einzigartige Stellung.

Im Bild befindet sich die Frau selbst in einer Grauzone, die mit ihrem melierten Dazwischen bereits auf eine Fülle von Fragen anspielt. Ihr Kopf ragt in den nahezu entmaterialisierten weißen Wandbereich, der überirdische Transzendenz andeutet. Doch während ihr Oberkörper mit den langen Haaren, dem freien Dekolleté und den bloßen Armen eher freizügig offen ist, sind die Beine mit dem langen Kleid schamhaft verhüllt. Auch steht die weiße Lilie symbolisch für ihre Reinheit, doch stellt der rote Fleck auf dem Laken ihre Unversehrtheit in Frage.

Das kühle Bild zeigt auf den ersten Blick grauen Alltag. Volle Waschmaschinen waschen verschmutzte und mit unerwünschten Gerüchen belastete Kleidungsstücke wieder sauber. Die Frau scheint zu warten, bis eine Maschine frei wird, um auch das letzte Laken waschen zu können. Die geöffnete Klappe links vorne lässt diese These jedoch ins Leere laufen und eher vermuten, dass die Frau auf etwas anderes wartet oder besser in Erwartung von jemand anderem ist. Die Art, wie das Laken auf ihrem Schoß liegt, deutet auf Jesus hin, der am Kreuz sein Blut für uns Sünder hingegeben hat und nach seinem Tod auf ihren Schoß gelegt worden ist (Darstellung der Pieta). Die Erwartung wird damit weit über die Geburt hinaus auf den alle Schuld tilgenden Tod Jesu ausgedehnt.

Das mittig im Bild platzierte weiße Laken hat deshalb eine zentrale Funktion im Bild. Es steht für Beschmutzung oder Verunreinigung jeglicher Art, die wir selbst nicht einfach wegwaschen können. Weil wir auf die Vergebung von Gott und den Mitmenschen angewiesen sind, sitzt die junge Frau wahrscheinlich so wartend da. In Bezug auf Gott kann das Laken auch wegen der Reinheit und dem Blut ein Symbol für Jesus sein, weil er beide eingesetzt hat, um uns von unseren inneren Verunreinigungen rein zu machen (vgl. Offb 1,5). Er sagte: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein. (Mk 7,20). Denn das Herz ist der wahre Ort der Reinheit oder Unreinheit. Deshalb bittet der Psalmist Gott um ein „reines Herz“ (24,4; 51,12), damit er bei Gott Gefallen findet. Er möchte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Denn Gott schaut in das Herz des Menschen, wenn er sich ihm zuwendet (u. a. Ps 139).

Milena Alemanno ist es gelungen, mit dieser und fünf weiteren „zeitaktuellen Inszenierungen, hinter denen alte ikonografische Vorbilder auftauchen“, … ein Nachdenken über Begrifflichkeiten, Ideale und vielleicht auch Dogmen, etwa die Unbefleckte Empfängnis, in Gang zu setzen. … Aus der Spannung zwischen profanem Realismus der Darstellungsweise und sakralem Inhalt beziehen die Foto-Arbeiten ihren irritierenden Reiz.“ (Dr. Barbara Weyandt, Maria ImPuls der Zeit 2018, S. 15f).

Weitere Arbeiten dieser Serie:

  • Bloody Mary
  • Maria Magdalena
  • Thron der Weisheit
  • Marienkäfer
  • Mary Jane

Die sechs Arbeiten waren 2018 in der Ausstellung Maria ImPuls der Zeit zum Fest Maria Himmelfahrt in Warendorf ausgestellt.

Trost in jedem Leiden

Gastbeitrag von Wilma Wagenaar

Beim Wort „Ikone“ kam mir bei meinen protestantischen Wurzeln erst vor etwa zehn Jahren ein uraltes Bild in den Sinn, auf dem ein Ereignis oder eine Person aus einer fernen Vergangenheit dargestellt wird. Es rief Assoziationen an dunkle, kerzenbeleuchtete Gewölbe, Kirchen, die nach altem Holz riechen, und antike Innenräume hervor. Alles sehr beachtlich, aber aus einer anderen Zeit und Tradition von mir.

In der Zwischenzeit habe ich die Funktion einer Ikone, wie sie von vielen erfahren wird, besser verstanden. Eine Ikone kann Menschen helfen, sich der Gegenwart des Heiligen und des einen Heiligen bewusst zu werden, nicht nur in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, sondern auch in dieser Zeit und an diesem Ort, im Hier und Jetzt. Als ein Spiegelbild des Namens Gottes: Ich bin, der ich bin, und ich bin bei dir.

In dieser Meditation möchte ich mit Ihnen teilen, wie ich diese zeitgenössische Ikone erlebt habe. Diese Ikone ist den heiligen Märtyrern Libyens gewidmet, die von der koptisch-orthodoxen Kirche zu Heiligen erklärt wurden. 21 koptischen Christen, die im Februar 2015 am Strand von Libyen von ISIS enthauptet wurden (siehe times), waren vor ihrem Tod vierzig Tage lang gefangen gehalten worden. Sie haben ihren Glauben bewahrt, ohne Christus zu leugnen. Was wir auf der Ikone sehen, ist der Höhepunkt dieser vierzig Tage, das Ende ihres Leidens. Wenige würden jemals das Bild der Männerreihen vergessen, die in orangefarbenen Overalls am Wasser knieten, hinter jedem von ihnen ein schwarz maskierter IS-Scharfrichter.

Die Komposition der Ikone erinnert an einen Tisch mit Jesus an der Spitze und den Märtyrern um ihn herum. Die IS-Henker stehen mit ihren Messern im Anschlag wie Lakaien oder Kellner hinter den Märtyrern. Worte aus Psalm 23 kommen mir in den Sinn: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde“ (V. 5).

Jesus hält den Kopf des Mannes auf seiner rechten Seite in einer Geste der Behaglichkeit. Seine linke Hand segnet den Kopf eines Mannes auf der anderen Seite. Ich höre das Echo seiner Worte aus dem Evangelium: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid“ (Mt 25,34).

Die meisten Märtyrer blicken auf Jesus. Genauso wie Stephanus Momente vor seinem Tod, sehen IHN diese Männer an der Schwelle ihres Todes bereits in seiner Herrlichkeit gegenwärtig. „Stephanus aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen.“ (Apg 7,55)

Die Henker haben kein Gesicht; sie sind entmenschlicht. Ihre Hingabe an den IS hat sie ihrer Persönlichkeit beraubt, der einzigartigen Schönheit, die jeder von ihnen zum Zeitpunkt seiner Geburt vom himmlischen Vater empfing. Mitleid für diese geistig verstümmelten Kreaturen rieselt in mein Bewusstsein. Ganz gegen meine menschlichen Abscheulichkeiten höre ich das Mitgefühl Jesu: „Bete für die, die dich verfolgen“ ; „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34)

Blut strömt von den Knien der Märtyrer zu den Wellen, die die Darstellung umgeben. Der IS rühmte sich, dass das Blut dieser Märtyrer in Rom an Land gespült würde, in Europa. Blut auf den Wellen. Vielleicht ist es das Blut Christi, das sie hier umgibt?

Diese Ikone ermutigt und tröstet mich. Sie bestätigt die Gegenwart Christi im Leiden und Tod seiner Brüder und Schwestern. So wie er bald nach seiner Himmelfahrt mit offenen Armen auf Stephanus wartete, so wie er bei den lebenden Fackeln im Garten des Kaisers Nero und im 17. Jahrhundert bei den Pfählen der spanischen Inquisition und den Märtyrern Kyotos da war, so wartete er im Februar 2015 auf diese Männer am Strand in Libyen. In gleicher Weise ist er heute bei den Gräueltaten in den Gefangenenlagern in Nordkorea anwesend. Wir glauben, dass er in jedem möglichen gegenwärtigen und zukünftigen Leiden seiner Geliebten anwesend sein wird.

Erstveröffentlicht am 8.7.2018 auf artway.eu