9000 Schulranzen in blauer, roter, gelber und grüner Farbe sind während der Ausstellung „So Sorry!“ des chinesischen Künstlers Ai Weiwei vom 12. Oktober 2009 bis zum 17. Januar 2010 an der Fassade des Hauses der Kunst in München angebracht. Mit dieser monumentalen Arbeit erinnert er an die am 12. Mai 2008 bei einem Erdbeben in der Region Sichuan verschütteten Schulkinder. Mit den malerischen, aber für uns unverständlichen chinesischen Schriftzeichen verkündet er weithin sichtbar: „Sieben Jahre lebte sie glücklich in dieser Welt“ (Detailbild).
Diese Worte stammen von einer Mutter, die damit ihrer verstorbenen Tochter gedachte. Ai Weiwei hat sie mit Rucksäcken geschrieben, weil nach dem Erdbeben in der Umgebung der Schulen viele Ranzen der verschütteten Kinder gefunden worden waren. Mit seinem Kunstwerk rückt er die Verlorenen und Verschütteten jener Tage in die Weltöffentlichkeit. In buntem, frohem Farbenwechsel legt er die verschüttete Hoffnung offen. Da ist für unser Gefühl keine Trauer zu spüren, vielmehr die kindliche Freude, wie sie Schulanfängern oft eigen ist, wenn sie endlich Schreiben und Lesen lernen und anwenden können (Detailbild).
Aufgrund ihrer gewaltigen Dimension ist die Arbeit von Ai Weiwei kaum von einem Standpunkt aus zu erfassen (auch Laubbäume verunmöglichen eine direkte Gesamtansicht). Sie verlangt vom Betrachter entweder Distanz oder die Zeit, sie der Länge nach mit dem nach oben gewandten Kopf abzuschreiten. Beide Haltungen fordern Ehrfurcht, ein stilles, fassungsloses Gedenken an das Unmaß jener Katastrophe, an die unzähligen Kinder, deren Stolz, endlich zur Schule gehen zu dürfen, und an ihr Glück zu leben, das zerstört wurde (Detailbild). Die Rucksäcke weisen auf ihren kurzen Weg auf dieser Erde hin, auf die Wanderschaft, bei der jeder Erdenbürger mit seinem Bündel die verschiedenen Dimensionen des Lebens entdeckt und durchschreitet. Nun sind die Ranzen leer. Es gab nichts in die andere Welt mitzunehmen. Ihnen bleibt, Erinnerung von kindlichem Glück zu sein (Detailbild). In ihrer Gesamtheit bleiben sie ein temporäres Mahnmal, dass auch unser Leben jederzeit gefährdet ist und zu Ende gehen kann.
Diese Installation hat nichts mit unseren Grabsteinen und Denkmälern zu tun, mit denen wir unserer Verstorbenen gedenken. Sie ist eine großartige Form, in unserer globalisierten Welt auf Mitmenschen aufmerksam zu machen, die unsere Zeitgenossen waren, aber durch einen Schicksalsschlag von unserer Seite gerissen worden sind. Zwar hatte die Presse seinerzeit über das Unglück berichtet, aber wer erinnert sich noch daran? Der Künstler weckt die tiefgehende Erinnerung an seine verstorbenen Landsleute. Indem er seine Arbeit bei uns aufgebaut hat und hier ausstellt, lässt er die Kinder zu unseren Nächsten werden – über alle ethnischen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder anderen möglichen Grenzen hinweg. Großartig.