Der Schrei

Auf einer kleinen Anhöhe streckt sich in weißes Licht getaucht der gekreuzigte Schmerzensmann nach oben zum Schrei. Man meint die Worte aus dem Psalm 130 (1-2,5) zu hören: „Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. … Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.“

Der expressive Bildaufbau führt zu diesem Schrei in der oberen Bildmitte und konzentriert sich in ihm. Von rechts unten führen – die Oberkanten der blauen und grünen Elemente verlängernd und verbindend – Linien im Zickzack treppenartig nach oben. Ähnlich laufen die Verlängerungen der Seitenkanten der blauen und grünen Elemente von unten kommend im Kopfbereich zusammen und kreuzen sich dort.  Auf diese Weise erreicht die ganze Schöpfung mit allem Leben, Leid und allen Schmerzen in diesem gewaltigen Schrei einen einzigartigen Höhepunkt. Die flammend rote Farbe intensiviert den Schrei zum gequälten Aufschrei eines Gefolterten, eines ungerechterweise Höllenqualen Erleidenden, der die Schuld der ganzen Welt auf sich nimmt.

Als Antwort auf diese himmelschreiende Ungeheuerlichkeit finden sich im Bild drei Reaktionen: Rechts oben zeigt sich der Kopf einer Person, die schweigend im Beobachterstatus verharrt. Das rundliche Gesicht könnte auch der verdunkelten Sonne oder Gott Vater gehören, der in sich gekehrt seinem Sohn beisteht, aber nicht in das Leiden eingreift. Im gleichen Weiß wie bei der gezackten zentralen Form schreit links ein Pfau mit dem Gekreuzigten und verstärkt den Schrei von Seiten der Tierwelt. Unter dem Kreuz, es gleichsam mit ihrem Leib umfassend – denn Knie und Ellbogen berühren sich fast – findet sich kniend eine junge Frau, die in ihren Händen ein Tuch mit dem Abdruck eines traurig blickenden Gesichtes hält. Dem Tuch nach wäre die Frau Veronika, in der Tradition wird aber Maria Magdalena weinend unter dem Kreuz dargestellt. Wie auch immer verkörpert die Frau die zutiefst Betroffene, Trauernde, Mitleidende.

Mehrere Bildelemente weisen symbolhaft über den Schrei der Verlassenheit und die letzte Verlautbarung (vgl. Mk 15,34.37) des Gekreuzigten hinaus: Das maskenhaft wiedergegebene Gesicht auf dem Tuch verweist auf die Doppelnatur der Person Jesu („Person” stammt vom lateinischen „personare“, dem „Hindurchtönen“ der Schauspielerstimme durch die Maske, die seine Rolle charakterisiert). In der menschlichen Gestalt Jesu leidet der Sohn Gottes und in diesem Leiden und Sterben leiden und sterben auch die anderen beiden Personen der Dreifaltigkeit, die untrennbar mit ihm verbunden sind. So kann am linken oberen Bildrand in der verkrampften Hand auch ein zur Mitte gewandtes gefiedertes Wesen – eine Taube –  als Symbol für den Heiligen Geist und auf der anderen Seite das Sonnengesicht als Symbol für Gott-Vater gesehen werden. Jesus leidet in dieser Sichtweise inmitten der Dreifaltigkeit und sein Schrei ertönt im Anblick und Angesicht seines Vaters. Die Palmen und Pflanzenelemente erinnern nicht nur an den Einzug in Jerusalem, sondern deuten auch den bevorstehenden Einzug in das himmlische Paradies, ins himmlische  Jerusalem an (vgl. Lk 23,43). Erich Schickling hat die Kreuzigung zudem in eine Mandelform gemalt (zu sehen sind die „Klammern“ der Mandorla), um die Bedeutung des Kreuzestodes als Übergang und „Geburt“ in diese neue, göttliche Welt zu offenbaren, in der Gott „alle Tränen von ihren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offb 21,4)

So trägt der stumme Schrei Jesu stellvertretend das Leid der Welt weiter durch das Bild und über das Bild hinaus in die Ohren Gottes: im Rot die hilflose Wut, all das vergossene Blut, das verlorene Leben, die geopferte Liebe. Im Grün die fragmentierte, zerbrochene Hoffnung, die gegen alle Hoffnung hofft. Im Dunkelblau am Fuße des Kreuzes die Treue der Liebenden, der Glaube, dass nichts verloren geht und die Liebe über den Tod hinaus Früchte trägt (vgl. 1Kor 13,13). Und im Weiß des Gekreuzigten und des Pfaus als Sinnbild des Himmels darf bereits das Licht der Auferstehung aufleuchten. Denn kein Schrei verhallt unerhört in Gottes Ohren, denn „beim HERRN ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle“. (Ps 130,7)

 

Im Pfarrhof Gempfing sind in Verbindung mit der Stadtpfarrkirche St. Johannes Rain am Lech anlässlich des 10. Todestages des Künstlers Hinterglasbilder, Temperabilder, Kreuzwege, Entwürfe zu Glasfenstern ausgestellt. Vernissage ist am Sonntag, 13. März 2022 um 16 Uhr. Anmeldung bitte unter 09090-1346. Danach jeden Sonntag bis Ostermontag (außer Ostersonntag) von 14-17 Uhr geöffnet.

auferstehen

Drei Stelen mit bunten Aufsätzen bilden eine Figurengruppe. Ihre Anordnung erinnert an die Kreuzigung, doch ist nicht eindeutig, ob die seitlichen Stelen an die beiden Verbrecher erinnern sollen oder an Maria und Johannes, die unter dem Kreuz standen. Es sind ja keine Kreuzarme zu sehen, die Stelen sind rein vertikal ausgerichtet. Das Kreuz findet sich nur in einem tiefen Einschnitt im Sockel der rechten Stele. Ein weiteres Kreuz wird durch die längere mittlere Stele in Verbindung mit dem eingesetzten Rechteck im Pfosten und den beiden Schalen auf gleicher Höhe angedeutet. Das Kreuz ist da, aber entmachtet – gewandelt vom Todbringenden zum Lebenspendenden.

Der Künstler bringt das zur Sprache, indem er Fundstücke von alten Balken für den unteren Teil der Stelen verwendet und im oberen und obersten Bereich kleinteilige Dreiecke zu neuen Formen schichtet. So entstehen bei den seitlichen Stelen beredte Oberkörper, die einander zugewandt im Dialog zu sein scheinen. Die mittlere Stele ist diesbezüglich ruhiger aufgebaut. Sie wird von einer bunten Krone aus unterschiedlich bemalten Dreiecken gekrönt.

Jedes Teilelement scheint eine andere Geschichte zu erzählen. Sie hatten einst eine andere Verwendung und wurden dann entsorgt oder weggeworfen. Der Künstler hat sie als Fundstücke aufgegriffen und ihnen in der Skulptur eine neue Aufgabe gegeben. Im neuen Miteinander sind sie durch den Künstler zu einem neuen Leben erweckt worden. Das Verachtete, Zerschlagene und Fragmentierte wurde durch den künstlerischen Prozess zu etwas Bedeutungsvollem erhoben. So stehen sie gezeichnet von der Vorgeschichte in neuer Gestalt da.

Die mittlere erhöhte Stele strahlt etwas Königliches aus. Die weißen kleinteiligen Holzstücke unter der Krone lassen mit einem gewissen Abstand ein Augenpaar unter einem weißen Haarstreifen erkennen, im helleren vertikalen Holzstück darunter eine Nase, im Rechteck noch weiter unter einen Mund. Im Philipperbrief (2,8-9) heißt es von Jesus: „er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen.“ In der Mitte thront der Auferstandene als König, als Sieger über den Tod. Die verwendeten Holzstücke erzählen von Erniedrigung und Auferstehung, von Tod und neuem Leben.

Den bunten Dreiklang vervollständigen die zwei farbigen Schalen zuoberst auf den seitlichen Stelen. Die linke Schale ist dünn und leicht geformt. Innen ist sie bunt mit Dreiecksformen bemalt, die eine Verbindung zur Krone herstellen. Die rechte Schale ist aus massivem Holz geschnitzt. Innen ist sie unbehandelt, dafür ist sie außen strukturiert mit Farben bemalt. So unterschiedlich die beiden Schalen aufgebaut und verziert sind, so haben sie doch einen ähnlichen Durchmesser und befinden sie sich auf gleicher Höhe.

Was wäre, wenn die beiden Stelen nicht einzelne Figuren darstellten, sondern die Arme und Hände eines Königs, der die Schalen wie die Krone als Attribute seiner neuen Würde tröge? Sie könnten für seine Offenheit stehen, für seine Bereitschaft, alles auf sich zu nehmen, damit wir es leichter haben (vgl. Mt 11,28), alles für uns zu geben, damit wir in Fülle am Leben teilhaben können (vgl. Joh 10,10). Seine Einladung lautet: Auferstehen. Mit ihm und durch ihn in allen möglichen Situationen immer wieder neu ins Leben auferweckt und aufgestellt zu werden.

getroffen – betroffen

Zwölf Dart-Pfeile sind auf eine Figur des Gekreuzigten geworfen worden, neun haben seinen Körper getroffen und „nageln“ ihn auf dem weißen Untergrund fest. Die Pfeile erscheinen im Vergleich größer als die Figur des Gekreuzigten. Übermächtig an Größe und an Zahl dominieren sie das Geschehen – und wären doch nur ein Geschicklichkeitsspiel, wenn sie nicht Jesus als Ziel gehabt hätten.

So wird eine Hinrichtungsart aus der Zeit der Römer ins Zentrum eines harmlosen Wurfspiels unserer Zeit gestellt und eine Grausamkeit geschaffen, bei der man gar nicht richtig hinschauen kann. – Es tut weh, den Leib Jesu von diesen Pfeilen durchbohrt zu sehen, es schmerzt richtig, ihn an Händen, Füssen und anderen Körperstellen getroffen und festgenagelt zu sehen. – Vielleicht braucht es diese Verfremdung und dieses in-einen-neuen-Kontext-Stellen der Kreuzigung Jesu, um durch Gefühle wie Empörung, Entrüstung, Abscheu, etc. Betroffenheit und eine Re-Aktion auszulösen.

Denn „man wirft nicht mit Dartpfeilen auf einen religiösen Gegenstand wie die Figur des gekreuzigten Jesu. So etwas macht man nicht. Das ist pietätlos.“ – Aber trifft es nicht den Kern einer jeden Kreuzigung, einer jeden mutwilligen Tötung von Menschen, dass damit das Recht auf Leben genommen wird, dass damit das 5. Gebot mit Füßen getreten wird, nicht zu töten?

Zwölf rote Pfeile hat der Künstler für seine Arbeit verwendet. Symbolische zwölf, weil diese Menge eine erhabene Zahl darstellt, eine Fülle, die von alters her alles und alle impliziert. Jeder von uns ist durch seine Unvollkommenheit und Fehler ein potentieller Pfeil, der Jesus und mit ihm Gott trifft und verletzt. Die rote Farbe der Flights, wie die kreuzförmigen Flugstabilisatoren der Pfeile heißen, mag als Hinweis auf das leidenschaftliche Engagement gedeutet werden, wenn es um die Verteidigung eigener Meinungen, Rechte oder auch des eigenen Lebens geht. Man sieht dann oft nur noch „rot“ und handelt aus dem Affekt.

Die künstlerische Arbeit lässt darüber nachdenken, mit was für „Pfeilen“ wir um uns schießen. Mit welchen Worten und Haltungen verletzen wir Menschen in unseren Lebensbereichen, nageln wir sie fest und machen wir sie damit vielleicht handlungsunfähig? Denn alles, was wir wie auch immer den Geringsten unter uns zukommen lassen, machen wir für Jesus oder gegen ihn (vgl. Mt 25,40.45) – und treffen ihn damit – wie mit Pfeilen.

Ad Manus

Zwei Bildflächen stehen zueinander im Verhältnis von ein Drittel zu zwei Drittel. Dadurch befinden sie sich miteinander im Dialog. Doch was eint, was verbindet sie in ihrer doch sehr gegensätzlichen Sprache?

Der aus dem Dunkel aufragende Arm und die am Querbalken festgeschlagene Hand verbinden das rechte Bild unwillkürlich mit der Kreuzigung Jesu Christi. Auch wenn vom restlichen Körper nichts sichtbar ist. Wie bei einem Ertrinkenden ragt die weiße Hand aus der Nacht des Grauens. Die Finger sind weit gespreizt, als suchten sie Halt, als wollten sie erfasst werden. Es ist die rechte Hand. Die Hand des Grußes. Aus dem Nichts taucht sie auf, das Leben andeutend, im Wunder der Hand sich konkretisierend, entfaltend und gleich wieder im Tod verlierend. Denn steil fällt der Arm nach rechts ab. Wer hier hängt, der hängt tief, in undurchdringlicher Nacht versunken.

Diesem farblosen Bild hat der Künstler ein schmales, hohes Bild gegenübergestellt. Es ist vertikal im goldenen Schnitt unterteilt, unten schwarz, oben goldfarben. Abstrakt antwortet es auf die einsame Hand, unten die Dunkelheit aufgreifend, oben eine neue Dimension andeutend. Mit feinen weißen Linien versetzt, strahlt die schwarze Fläche Ruhe aus. Soll damit die Ruhe und Erschöpfung nach dem Kampf angedeutet werden?

Wolkenartig bewegt erhebt sich darüber die einzige farbliche Betonung. Eine aufsteigende Dynamik ist spürbar, Licht, das noch nicht direkt sichtbar ist, doch durch eine Wolkenschicht durchscheint. Auferstehung wird angedeutet, Aufnahme in den Himmel, Verklärung des Leidens. Ist parallel zur Hand, im Verlangen der Finger, nicht ein lichter Abglanz von ihr wahrnehmbar, gleichsam im Herzen der goldenen Erscheinung? – Die Hoffnung, der Trost, dass alles menschliche Leiden Gott nicht unberührt lässt, sondern im Innersten zutiefst bewegt und dadurch in seine Herrlichkeit überführt.

Grundlage für dieses Diptychon ist eine siebenteilige musikalische Komposition über das Leiden Jesu durch Dietrich Buxtehude (1637-1707). In seinem Passionszyklus „Membra Jesu nostri patientis sanctissima“ (1980) folgt er den von Schmerzen geprägten Körperteilen des Gekreuzigten, beginnend bei den Extremitäten, den Füßen (Detailbild), aufsteigend zu den Knien und Händen, dann den Oberkörper betrachtend, zuerst die Seite, dann die Brust, vertiefend das Herz. Zuletzt schaut er ins Antlitz Jesu, in das gekrönte Haupt voll Blut und Wunden.

Für die sieben mehrstrophigen Hymnen bediente er sich einer der beliebtesten Passionsdichtungen jener Zeit, der „Rhythmica oratio“ von Arnulf von Löwen. In der Betrachtung der Hände heißt es:

Was sind das für Wunden
mitten auf deinen Händen?
Sei gegrüßt, guter Hirte,
erschöpft im Todeskampf,
der du durch das Holz gemartert bist
und an das Holz geschlagen bist
mit angespannten heiligen Händen.
Ihr heiligen Hände, ich umfasse euch,
Dank sage ich den so großen Schlägen,
den harten Nägeln,
den heiligen Blutstropfen,
mit Tränen küsse ich euch.
Von deinem Blut benetzt
übergebe ich mich dir ganz,
diese deine heiligen Hände
sollen mich beschützen, Jesus Christus,
in den letzten Gefahren.
Was sind das für Wunden … (Wiederholung)

So wie Dietrich Buxtehude den betrachtenden Worten von Arnulf von Löwen die unsichtbare musikalische Dimension beigefügt hat, so hat Johann P. Reuter den konkreten Körperteilen eine abstrakte Größe gegenübergestellt. Damit setzt er auf seine Weise das zeitlich Vergängliche in Beziehung zum Unvergänglichen: Das Greifbare versus das Unbegreifliche, die Temperauntermalung versus den Goldgrund, die Endlichkeit versus die Unendlichkeit, den Tod versus das ewige Leben.

Auferstehung

Die Figur des gekreuzigten Jesus dominiert diesen fotografisch festgehaltenen Moment einer Performance. Mit den ausgebreiteten Armen, dem nach rechts geneigten und mit Dornen gekrönten Kopf sowie den geschlossenen Augen ist er noch in der Körperhaltung des Gekreuzigten und am Kreuz Verstorbenen.

Das Kreuz ist allerdings nicht mehr zu sehen, auch ist die Dunkelheit jener Stunde einem hell erleuchteten Umfeld gewichen. Die unveränderte Körperhaltung von Jesus erzählt, dass er, auch vom Kreuz abgenommen, der vom Kreuz Gezeichnete bleibt.

Aufmerken lässt der Eisblock, der seinen Unterleib umgibt und festhält. Diese Darstellung ist ungewöhnlich und lässt innehalten. Eis ist Wasser, das bei Temperaturen unter null Grad gefror. Wir verbinden es mit großer Kälte, Erstarrung und Unbeweglichkeit. Im Zusammenhang mit der Figur des vom Kreuz Abgenommenen könnte es für den Tod stehen, der seinem Leib das Leben genommen hat, ihn erstarren ließ und wie Eis umklammerte. Andererseits könnte der Eisblock auch das Grab symbolisieren, in das der Leichnam hineingelegt worden war (Bild 1/5).

Doch Eis wird auch zum Konservieren verwendet. Diesbezüglich könnte es auch ein Hinweis sein, dass der Tod das Leben nur scheinbar nehmen bzw. festhalten kann. In Wirklichkeit wird es für die Auferweckung zum ewigen Leben aufbewahrt. Denn ein Anderer steht durch seine Liebe näher bei den Menschen und ist mit seiner Herzlichkeit und Wärme stärker als der Tod (Detail von Bild 2/5).

Der obere Teil des ursprünglich die Figur vollständig umgebenden Eises ist bereits geschmolzen. Hier scheint sich der Gekreuzigte nun wie nach dem Schlaf die Arme zu strecken und sich seiner wiedergewonnenen Freiheit zu freuen. Zudem wird deutlich, dass sein Erlöser von oben her wirkt. Durch seine Wärme schmilzt das Eis nach und nach und zuletzt werden die Fesseln seiner Füße freigegeben (ganze Bildreihe). Eine sonnenförmige Erscheinung auf der Schauseite des Objektes legt nahe, dass die abschmelzende Kraft wie eine Sonne wirkt, und suggeriert durch ihre Strahlen gleichzeitig, dass das Eis auch von Innen aufgebrochen werden kann.

Im Zusammenhang mit dem gekreuzigten und ins Grab gelegten Jesus kann sein Erlöser nur Jesu Vater sein. Durch das von oben her schmelzende Eis wird verstärkt, dass die Befreiung durch die Liebe Gottes bewirkt wurde, durch seine Herzlichkeit, sein Erbarmen, seine tiefen Gefühle für uns Menschen.

All diese Gaben stehen auch uns zur Verfügung, um Menschen Nähe zu schenken, die in todesähnlichen Zuständen leben, in erkalteten blockierten Beziehungen stecken oder unter menschlicher Kälte und Ignoranz leiden. Durch unsere Empathie, durch unsere Herzlichkeit und Barmherzigkeit haben wir das Potential, Mitmenschen zumindest in unseren irdischen Umständen zu neuem Leben zu verhelfen und dazu beizutragen, dass sie wieder Mut fassen, aufstehen und neu zu leben beginnen.

Befragungswürdige Zeichen

Über dem Kircheneingang der evangelischen Auferstehungskirche in Rottach-Egern am Tegernsee sind von der Künstlerin Meide Büdel fremd anmutende Zeichen angebracht worden. Eine moderne Kreuzigungsgruppe war gewünscht worden, stattdessen sieht man in der weißen Kirchenwand minimalistische Zeichen eingelassen. Befragungswürdige Zeichen! Zeichen, unter denen man nicht einfach durchgehen kann ohne zu überlegen, was sie zu bedeuten haben, worauf sie sich beziehen. Zeichen also, die aufmerken lassen, irritieren, vielleicht sogar verstören, aber auf jeden Fall nachdenklich stimmen und bewegen.

Drei auf einer Horizontalen liegende Rechtecke bilden die Basis. In ihren Proportionen erinnern sie an Ziegelsteine. Zwischen ihnen ist ein je dreifacher Abstand ihrer Länge. Auf dem mittleren Rechteck erhebt sich wie eine Stele eine senkrechte Linie, um die sich die anderen sechs Elemente gruppieren. Fünf von ihnen sind auch als waagrechte Rechtecke ausgeformt, allerdings leicht kleiner und schmaler als die Basis-Rechtecke. Zwei von ihnen liegen direkt auf Letzteren auf, zwei von ihnen mit dem gleichen seitlichen Abstand von der Senkrechten auf zweidrittel Höhe derselben, das letzte Element in der Verlängerung der Senkrechten weit oben über einem schwarzen Objekt, das ebenfalls waagrechten Charakter hat (Gesamtansicht).

Von weitem sieht das Objekt wie ein archaisches Tier aus, das über die Kirchenwand krabbelt. Doch aus der Nähe vermag man zwei schwarze rechteckige Holzformen auszumachen, die mit zwei breiten Gummibändern an und in die Wand gedrückt und von vier großen Nägeln festgehalten werden.

Für jemanden, der mit mittelalterlichen Kreuzigungsgruppen nicht vertraut ist, müssen diese schwarze Form und die waagrechten und senkrechten Reduktionen Rätsel aufgeben. Dennoch … An dieser prominenten Stelle über dem Kircheneingang muss es etwas Bedeutendes sein, das dargestellt wird. Wie Mauerreste den Ort und die Raumaufteilung eines ehemaligen Gebäudes bewahren, so vermögen die Markierungen in ihrer Anordnung an eine einzigartige und deswegen denkwürdige geschichtliche Begebenheit erinnern. Wie Ruinen lassen sie gleichzeitig ehemalige Größe und Schönheit und derzeitige Abwesenheit und Leere spüren.

Bedrückend schwebt die an die Wand gedrückte schwarze Form über den filigranen Andeutungen. Die schwarze Farbe und die Gummibänder lassen die dunklen Kräfte in dieser Welt erahnen und zusammen mit den farblich kontrastierenden Nägeln an Qualen, Folter und Tod denken. Das mit Feuer geschwärzte und in der Mitte geteilte Holzstück vermag symbolisch eine Person darzustellen, die brutal gefesselt und festgehalten wurde, die unter der unmenschlichen Behandlung gelitten und die es in dieser Anspannung innerlich zerrissen hat. Ohnmächtig, jeder äußeren Bewegungsfreiheit und Hoffnung beraubt, blieb nur der Tod.

Damit vermag dieser an die Kirchenfassade gefesselte Holzkörper eindeutig auf Jesus, den Gekreuzigten hinzuweisen, aber auch alle Menschen einzubinden, die sich in ähnlichen unfreien, bedrückenden, quälenden, folternden und letztlich das Leben zerstörenden Umständen befinden.

Wenn der Betrachter davor oder darunter steht, so nimmt er gleichsam den Platz von Maria oder Johannes ein, die damals ohnmächtig und trauernd unter dem Kreuz bei ihrem Herrn ausgeharrt, ihm dadurch aber auch Beistand gegeben haben. Mit den Markierungen seitlich der senkrechten Linie hat die Künstlerin den Platz der Mutter und des Lieblingsjüngers auf der einen Seite erinnernd angedeutet, auf der anderen Seite die Möglichkeit geschaffen, als Betrachter selbst diesen Platz bei den Gefangenen, Gefolterten, Gekreuzigten und Sterbenden einzunehmen.

Die zentrale Vertikale zieht den Blick und die Gedanken nach oben zu dieser unheilvollen dunklen Präsenz. Die Gegenwart des Kreuzes ist in den umgebenden Markierungen zu spüren. Das dunkle Objekt selbst scheint im Raum dazwischen haltlos zu schweben. Und doch wird es unsichtbar für das menschliche Auge von einem senkrechten Stahlband gehalten und durchbohrt. Es bildet in seiner Länge ein Stück, ist allerdings im Bereich des Objektes in die Mauer eingelassen. So blicken wir auf zu dem, der am Kreuz erhöht (vgl. Joh 3,14; 12,34) sein Leben für alles Leid in der Welt hingegeben hat. Und wir blicken gleichzeitig auf zu allen Menschen, die in irgendeiner Form Gewalt erleiden.

Die Befragung der auf den ersten Blick vielleicht rätselhaften Zeichen hat somit zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Leiden und qualvollen Sterben des am Kreuz Hängenden geführt, an dessen Anblick wir uns durch die fast unendliche Multiplikation des Kreuzes und seine Präsenz in vielen Räumen vielleicht gewöhnt haben. Dadurch, dass es ein offenes Objekt ist, lässt es sich nicht auf den ersten Blick erfassen und abhaken, sondern es wird fragwürdig: würdig, auf seine tiefere Bedeutung befragt zu werden. In einer Zeit der medial stetigen und sofortigen Erreichbarkeit wirkt es auch gegen den Zeitgeist, weil durch die Abwesenheit von etwas Vertrautem die Leere ausgehalten werden muss. So vermag die ungewohnt andere Darstellung zu schockieren, ja muss sie, um uns in unserer Eile auszubremsen und zum Innehalten aufzufordern. Und sie gibt dem Kreuz eine Aktualität, die aufzurütteln vermag und zum Umdenken und zu neuem Handeln anregt. Das ist gut so.

weitere Information unter www.tegernsee-evangelisch.de 

Bezwingbar?

Ein ungewöhnliches Zusammentreffen: die feingliedrige Gestalt des Gekreuzigten inmitten dieser Schraubzwingen. Beide Akteure sind uns aus anderem Umfeld gut bekannt. Der geschnitzte Jesuskorpus hängt normalerweise an einem Kreuz in den Wohnungen. Die Schraubzwingen werden in Werkstätten zum Zusammenhalten oder –pressen von Holz, Metall etc. verwendet.

Für diese Arbeit wurden sie in eine neutrale Umgebung versetzt und geringfügig zweckentfremdet. Der Jesuskorpus schwebt losgelöst vom Kreuz in der Waagrechten, fast möchte man an eine Grablegung denken. Die sieben Schraubzwingen umgeben den Korpus wie ein Zwinger. Sie umschließen ihn wie ein Gitterkäfig, halten ihn wie Fesseln, foltern ihn mit Druck und Gewicht. Dabei sind fünf Schraubzwingen an seinem Körper angesetzt, zwei von ihnen dienen der Stabilisierung.

Was für ein Gegensatz: Zerbrechliches Naturmaterial zwischen den Metallzwingen, bei denen sich der Druck stufenlos erhöhen und halten lässt. Sinnbild für den zerbrechlichen Menschen, der durch Machtinstrumente anderer Menschen in grausame Bedrängnis gekommen ist. Die Schraubzwingen stehen für alles, was sich an uns festgemacht hat, an uns angesetzt worden ist und wie auch immer Druck auf uns ausübt. Wer schon mal Schraubzwingen in der Hand gehabt hat, weiß, wie fest sie angezogen werden müssen, damit sie halten und nicht herunterfallen, wie schwer sie gerade an feinen Gegenständen zu befestigen sind.

Die Aufgabe der Schraubzwingen ist es Druck auszuüben, etwas so in eine Position zu zwingen, dass es kein Auskommen mehr gibt. Bei zu viel Druck gibt es nicht nur Druckstellen, der eingeklemmte Gegenstand zersplittert und zerbricht. Bei dieser Installation scheinen die Druckverhältnisse ausgeglichen. Die Jesusfigur wird von den Schraubzwingen so gehalten, dass nichts an ihr zerbricht. Damit vermag die Installation daran zu erinnern, dass Jesus bei der Kreuzigung die Beine nicht gebrochen wurden, weil er schon tot war (Joh 19,33).

Gleichzeitig ist in der Übermacht dieser martialischen Folterinstrumente seine Ohnmacht zu spüren, sein ausharrendes Leiden in dieser ausweglosen Situation. Während er den Kopf leicht gebeugt hält, umgeben die Zwingen den geradezu kleinen Holzkorpus hart und stetig. In der schwarzen Farbe schwingt das Dunkle des Bösen mit, das glänzende Metall erinnert an Rüstungen, die roten Griffe an das Teuflische in den Handlungen derer, die so etwas machen, an das Leid, das sie bereiten, das Blut, das sie vergießen.

Aus ihnen spricht die Macht, den Jesuskorpus wie ein Streichholz zu knicken. Doch der mit ausgestreckten Armen Daliegende stemmt sich ihnen mit der in ihm ruhenden Kraft entgegen. Diese unsichtbar in ihm gegenwärtige Kraft gibt ihm den inneren Halt, allen Bedrohungen und Zwängen standzuhalten und sie auszuhalten. Die Installation lässt spüren: die Gegner sind vielleicht mächtig, sie bedrängen Jesus sehr, aber bezwingen werden sie ihn nie.

Heute keine Kreuzigung

Minimal ist der künstlerische Eingriff im Chor der barocken Ruhe-Christi-Kirche in Rottweil. Und doch lässt die gelbe Tafel keinen Kirchenbesucher unberührt. „Heute keine Kreuzigung, Pilatus“ leuchtet befremdlich aus dem dunklen Hintergrund heraus (Gesamtansicht). Wie eine Bekanntmachung ist das Schild aufgestellt, so wie man Schilder zur Orientierung in Häusern mit ständig wechselnden Anlässen aufstellt oder an Orten, an denen sich immer wieder etwas verändert.

Dieses Schild richtet sich eindeutig an ein neugieriges, schaulustiges Publikum. Doch ob die Kirchen- oder Kunstbesucher mit der Absicht in die Wallfahrtskirche eingetreten sind, life eine Kreuzigung mitzuerleben? Das Hochaltarbild mit der Kreuzigung Jesu deutet wohl an, dass früher mal eine Kreuzigung stattgefunden hat, aber nicht, dass diese Praxis an diesem Ort praktiziert wurde oder wird.

„Heute“ jedenfalls findet „keine Kreuzigung“ statt. Verantwortlich für diese Bekanntmachung zeichnet ein gewisser „Pilatus“. Der Präfekt der römischen Provinz Judäa wollte dem biblischen Texten nach Jesus zunächst nicht kreuzigen lassen. Diesbezüglich könnte man seine ursprüngliche Entscheidung durchaus in dieser Kurzform dem „Volk“ bekannt machen. Allerdings liegt ein Zeitensprung von etwa 2000 Jahren zwischen damals und heute. Das Volk ist in der Zwischenzeit ein ganz anderes, auch wenn Schaulust und Sensationsgier geblieben sind.

Damals forderte das Volk gegen den Entscheid des Pilatus ein Todesopfer. Dieser beugte sich dem Volkswillen, „wusch seine Hände in Unschuld“ (Mt 27,24) und gab Jesus zur Geißelung und Kreuzigung frei. Daran erinnert an der Chorschranke eine Grafik (Pilatus, 2002, Bleistift/Schellack/Papier, 100 x 70 cm, Ansicht), auf der aus einem Krug eine gelbe Flüssigkeit in eine schwarze Schale gegossen wird. Obwohl weder Hände noch Person zu sehen sind, der diese Handwaschung gelten soll, verbinden wir sie mit Pilatus.

Doch die Kundgebung des Pilatus erinnert nicht nur an das Geschehen damals, als Pilatus sich gegenüber dem Volk zu schwach zeigte, um für Jesus ein rettender Fels in der Brandung sein zu können. Das Schild ist auch Aufforderung an uns. WIR sollen niemand kreuzigen. Denn WIR stehen im Heute und haben die Macht, uns für oder gegen Menschen einzusetzen. An uns ist es, Gerechtigkeit zu unterstützen, an uns, Barmherzigkeit walten zu lassen oder bedrohtes Leben zu schützen. „Heute keine Kreuzigung“ ist keine Eintagsfliege. Gerade durch das „Heute“ erhält die Kundgebung jeden Tag aufs neue Brisanz.

Und „Heute keine Kreuzigung“ ist prägnant genug, um sich die Worte wie einen Leitsatz einzuprägen. Auch wenn bei uns niemand mehr wie zur Zeit Jesu gekreuzigt wird, so be-gut-achten wir doch die meisten Menschen um uns herum, beurteilen sie nach unseren Kriterien, fällen oft Urteile über sie und verurteilen sie auf die eine oder andere Weise. Diesbezüglich ist „Heute keine Kreuzigung“ eine klare Aufforderung: Es geht auch anders! Jeder Tag und jeder Mensch bietet dazu Gelegenheit.

Diese Installation von Nikolaus Mohr wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung malhalten – Gegenwartskunst in einundzwanzig Kirchen in der Wallfahrtskirche Ruhe-Christi in Rottweil gezeigt.

Baustelle des Lebens

Viele fragmentarische Teile bilden dieses Triptychon. Das Auge weiß nicht so recht, wo es mit dem Schauen anfangen soll, um die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzuführen. Der gemeinsame Hintergrund ist mit den Holzstrukturen lebendig, aber unruhig, die gerüstartigen Konstruktionen auf den Seitenteilen wunderschön in warmem Licht liegend, aber diffus, mit viel Angefangenem, Ungeordnetem … Lediglich in der Zusammenschau der beiden Außenteile ist eine klare Zuordnung zur Mitte zu beobachten.

Dort scheint auf den ersten Blick die größte Klarheit zu herrschen. Im Zentrum steht eine weiße Leiter, die an ein Kreuz gelehnt ist. Ein Kreuz, das sich farblich kaum vom Hintergrund abhebt. Ein Kreuz, das mehr durch die Vertikale der Leiter und eine lange weiße, die Kreuzarme untergreifende Horizontale in Erscheinung tritt. Dieser die drei Bildteile verbindende Balken macht einen sammelnden, wohltuend umfassenden Eindruck. Das Kreuz steht auf keinem festen Boden, in keinem wirklichen Raum, sondern schwebt – nur von der durchgebogenen weißen Waagrechten gehalten – in einem undefinierbaren Raum. Soll es Haltlosigkeit vermitteln oder mehr auferstehungsgleiche Leichtigkeit?

Die hellen Grüntöne und die warmen roten Farben im Kreuz lassen zu Letzterem tendieren. Auch die Leiter lässt vermuten, dass die Kreuzabnahme des Leichnams Jesu schon stattgefunden hat. So können die Frühlingsfarben, das Herz und die fünf krönenden x-Zeichen als „Erinnerungen“ oder „Abdrücke“ dessen gesehen werden, der ein Herz für die Menschen hatte und mit einer Dornenkrone verspottet am Kreuz starb. Sie künden von der Auferstehung dessen, der hier vor kurzem den Boden unter den Füßen verloren hat.

Das Bild lässt viele Lesemöglichkeiten zu. Traditionelle Kompositionen von Kreuzigungsdarstellungen aufnehmend, gehen die drei Bildteile doch ganz neue Wege. So sehr die Holzteile in den Seitenflügeln an die Kreuze der beiden Schächer erinnern, zu finden sind sie nicht wirklich, obwohl sich in den schwer bestimmbaren Teilen der Bilder auch Gestalten oder Teile davon entdecken ließen.

Die Holzkonstruktionen bilden vielmehr das Gerüst für den schmalen waagrechten weißen Balken, auf dem das Kreuz nun zu ruhen scheint, nachdem unter ihm der Boden weggebrochen ist. Will damit angedeutet werden, dass der bisherige Boden nicht mehr tragbar war und deshalb eine neue Basis für eine unfassbar neue Botschaft nötig war?

Das Leben hat durch Jesu Tod und Auferstehung neue Dimensionen erhalten: es endet nicht mehr mit dem Tod. Gott ist in das Reich der Toten hinabgestiegen und hat sie erlöst (Der unter dem Kreuz liegende Kopf erinnert an Adam – Detailbild). In einem fast versteckten Detail verwebt der Künstler im Mittelbild das einmalige Kreuzereignis mit jedem Leben: der Querbalken des Kreuzes schiebt sich elastisch lebend zwischen die Sprossen der Leiter vor den rechten Holmen. Die Leiter lässt sich als Symbol für menschliches Leben sehen, in das sich das Kreuz wie es der Einzelne erkennt, einschiebt. Mit seiner dunklen, schweren Seite sicherlich, aber auch in seiner befreienden.

Österliche Verwandlung

Leicht und scheinbar ungebunden schwebt diese Installation in der Ecke eines Sakralraumes. In einem spannungsvollen Bogen bildet ein feiner Ast die tragende Horizontale für ein an ihm hängendes Objekt voller Symbolkraft, dessen Material aus der Ferne schwer zu bestimmen ist.

Oben legt es sich in ganzer Breite über den Ast, während es in der Mitte unsichtbar zusammengehalten wird. Dadurch verläuft der „Stoff“ v-förmig nach unten und bildet seitliche Falten, die letztlich nebeneinander zu hängen kommen. Dieser zu einem Korpus gefaltete „Stoff“ ist über und über mit Erde und Asche bedeckt, hier und dort farbige Spuren einer früheren Bemalung freigebend. > Detailbild

Das Trägermaterial dieses Objektes, es ist farbiges Zeitungspapier, wurde vielfach bearbeitet, um ihm die jetzige Gestalt und Geschichte zu geben, aus der Schönheit und Veränderung sprechen, Festigkeit und Vergänglichkeit. Nun hängt es als erstarrte Hülle einer Verwandlung erdenschwer im Raum, als Relikt einstigen Lebens, das es umgeben und gekennzeichnet hat. > Detailbild

Material, Form, Bearbeitung und Installation dieses fragilen Papierobjektes lassen deshalb ganz unterschiedliche Ansichten zu: Es kann in ihm einfach eine interessante ungegenständliche Plastik gesehen werden, es kann aber auch als Zeichen für den Menschen ganz allgemein gedeutet werden. Durch die ärmliche Erscheinung drängt sich in der unmittelbaren Nähe zum Altar aber der Bezug zur Kreuzigung Jesu auf. Gleich einem vom Leben gezeichneten Gewand verweist es auf den, der einst unter uns vieles erfahren und erlitten hat, nun aber zu seinem Vater im Himmel auferstanden ist.

So sehr das mit Erde gestaltete Papier, verstärkt und geerdet durch ein nach unten hängendes Seil, irdisch verhaftet ist, der durch die Faltung entstandene Leerraum vermittelt Transzendenz und lässt eine höhere Macht spüren, die bei solchen Wundern der Verwandlung am Werk sein muss. Das tröstet und erleichtert, das schenkt Hoffnung und Zuversicht – österliches Erleben!

 

Sie wirken vergänglich
Verwaschen
Labil

Doch
Zweig
Leim
Asche
Halten stabil

Sie wirken
Entleert
Verlassen
Befreit

Doch
Josef
Legt mehr
Als Winkel
Und Hobel
Hinein

Sie wirken
Leicht
Himmlisch
Entrückt

Doch
Josef
Hat sie
Erden
Bestückt

Papier
Asche
Staub
Sind des
Vergehens
Erstehens
Gewand

 

(Dr. Engelbert Paulus)

Die Arbeit von Josef Bücheler war bis zum 9. April 2007 im innovativen “Kreuzweg” des ökumenischen Ausstellungsprojektes VESTIGIA CRUCIS / Kreuzspuren – Gegenwartskunst in 14 kath. und evang. Kirchen im Landkreis Tuttlingen zu sehen. (Flyer zur Ausstellung als pdf) Der mit seinen Bildern, Texten und Gedichten einmalige Katalog (48 Seiten, ISBN 3-932764-16-1, 8 Euro) kann hier bestellt werden: projektgruppe@kreuzkirchenkunst.de.