Stabat, aus dem Lateinischen übersetzt, heißt: „er, sie oder es steht“. Und da stehen sie nun tatsächlich, zwei Bildtafeln auf massiven Holzblöcken, einfach an die Wand gelehnt und sich so dem Kirchenraum und damit auch dem Betrachter noch einmal auf andere Weise öffnend als an der Wand fixierte Bilder. Ist es diese Anspielung oder die durch den Titel hervorgerufene Erinnerung an den Beginn des mittelalterlichen Gedichtes Stabat mater dolorosa (Es stand die Mutter schmerzerfüllt), die unsere Gedanken führt?
Zweimal 78 kleine, querformatige Bildelemente füllen als Collage zusammengefügt den Fond der beiden Bildtafeln als Idee einer frühlingsjungen, lindgrün bis steinkieselfarbenen Landschaftsanmutung, die keinen Horizont, keine Begrenzung kennt.
In diesen Landschaftsräumen, der eine in seinem Charakter heller und freundlicher als der andere, stehen bildfüllend zwei gegen jegliche Unbill des Wetters vermummte Gestalten. In Rückansicht gegeben verschmelzen sie im scheinbaren Gegenlicht zu kompakten Formen, die eine in ein dunkles Grau, die andere in ein dunkles Rot getaucht. Wie von einer geheimnisvollen Regieanweisung zu einem spiegelsymmetrischen Verhalten angeleitet, stellen sie ihre Kameras auf. Die Beine der Stative überkreuzen sich in diesem Pas-de-deux, so dass inmitten des Bildes auf diese Weise fast eine Form entsteht, die an den Davidsstern erinnert.
Die Personen blicken in die Ferne, nehmen etwas gemeinsam ins Visier, das indes unbestimmt bleibt. Sie stellen die Objektive scharf, schärfen zugleich ihre Aufmerksamkeit. Drei Kreisformen über ihren Köpfen erinnern an Zielscheiben. Ein roter Punkt glimmt in einem der Bilder auf, als sei die Videoaufnahmefunktion der Kamera eingeschaltet. Das Gegenüber, die andere Bildtafel, antwortet darauf mit einem erloschenen grauen Punkt. Gleich einem Diptychon beziehen sich die Bilder aufeinander.
Diese Bildanlage, insbesondere auch die angedeutete Kreuzstruktur des Fonds, wie auch die bildsymmetrische Anordnung der Figuren auf jeder der beiden Tafeln, die vage an die Positionierung der Assistenzfiguren Maria und Johannes unter dem Kreuz Jesu Christi erinnert, lässt die Schilderung der Expeditionssituation zu einer Zeit und Raumgrenzen überschreitenden Positionierung zur Transzendenz werden.
Dieser Text wurde von Dr. Simone Husemann erstveröffentlicht in „Positionierung zur Transzendenz“. Worte aus der Zumutung Gottes. Das Buch zur Ausstellung „Hier stehe ich! … Standpunkte, die bewegen“. Katholische Erwachsenenbildung Wiesbaden-Untertaunus und Rheingau, 2017, S. 72.
Das Buch ist für 10 € (+ 3 € Porto) über diese Mailadresse info@standpunkte2017.de zu erwerben.