Trinitarische Liebe

Drei leuchtende Kugeln bilden zusammen einen Dreipass, wie die verbundene Form von drei Kreisen im gotischen Maßwerk genannt wird. Die Form gleicht einem dreiblättrigen Kleeblatt. Die Konturen sind unscharf wie bei etwas, das ständig in Bewegung ist und deshalb nicht genau erfasst oder begriffen werden kann. Durch das innere Licht leuchtet der Dreipass in der nachtblauen Umgebung wie ein besonderer Stern.  Die feine Äderung erinnert an Bilder von im Mutterleib geborgenen Embryonen.

Die drei Einheiten formieren in der Weite des Universums eine unbegreifliche Erscheinung, eine geheimnisvolle trinitarische Vereinigung. In ihrer Einzigartigkeit sind sie schwer zu erfassen. Als Gestirn erscheinen sie uns in unerreichbar weiter Ferne. So können sie nur annähernd beschrieben oder sogar umschrieben werden. Die dunklere gelbe Außenseite lässt spüren, dass sie einander zugewandt sind, die Äderungen lassen vermuten, dass Leben in ihnen pulsiert, das fähig ist – wie bei der Zellteilung – unbegrenzt weitergegeben zu werden. Sie wirken wie eine atmende Gemeinschaft voller Energie und Bewegung, die in unaufhörlicher Beziehung Energie und damit auch Leben austauscht.

Die dreipassförmig vereinten Sonnen erinnern an Gott, der sich den Menschen trinitarisch als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat. Ein von menschlichen Erfahrungen geprägtes Bild für die Keimzelle einer von Leben erfüllten Gemeinschaft. Dagegen bietet das Bild eine mystisch-kosmische Vorstellung der Trinität. Die Vision vermittelt auf abstrakt-lebendige Weise das Wesen der Trinität. Der Perspektivenwechsel rückt Gott als den unvorstellbar Anderen zunächst in weite Ferne und man fragt sich, wie da eine Beziehung entstehen kann und wo der Platz des Menschen oder der Schöpfung ist.

Bei genauer Betrachtung fällt in der Mitte ein viertes Element auf. Es befindet sich im Kern der Gemeinschaft, an dem Ort der vollsten und ungeteilten Zuwendung und Aufmerksamkeit. Wie wäre es, wenn wir uns an dieser Stelle vorstellen, mitten im Herzen der trinitarischen Gemeinschaft? Hat Jesus uns nicht genau das vermittelt, dass Gott Vater uns so liebt, wie Er den Sohn liebt? (Joh 17,23) Gott liebt uns und die ganze Schöpfung so privilegiert innig wie ein Vater oder eine Mutter ihr Kind lieben. Wie im Bild umgibt uns Gott von allen Seiten, er ist bildlich wie eine Gebärmutter, die uns in grenzenloser Geborgenheit rundum beschützt und Leben schenkt. Was auch immer geschehen mag, uns kann nichts passieren. Wir können unmöglich aus Gottes Liebe und Fürsorge herausfallen (vgl. Röm 8,38-39).

Weil Gott uns derart liebt und seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen hat, dürfen wir etwas von dieser Liebe erwidern und sie allen Menschen und der ganzen Schöpfung zurückgeben. Wir sind berufen, nach dem Vorbild Gottes uns zu neuen lebensspendenden und -bewahrenden Einheiten zusammenzuschließen und wie Er alle Menschen und die ganze Schöpfung in unser Herz zu schließen (vgl. Röm 5,5; 1. Joh 4,19), sie zu unserem Herzensanliegen zu machen, ihnen – und nicht uns – unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, Liebe und dadurch Leben zu schenken.

Zweiwerdung

Eine junge Frau mit kurzen Haaren und ein Mädchen mit zu Zöpfen gebundenen Haaren umarmen sich gegenseitig. Die Begegnung lebt von den gebogenen Körpern, der doppelten Verbindung der Arme und dem intensiven Blickaustausch.

Die schlanken, nur mit drei Beinen den Boden berührenden Gestalten verstärken diese Bewegungen. Die dünnen Beine und Arme verleihen den beiden Frauen etwas Feines und Tänzerisches, etwas Kostbares und doch auch Zerbrechliches. Die dynamische Begegnung strahlt etwas Temporäres und Vergängliches aus. Durch den engen Körperkontakt im Bauch- und Hüftbereich wird die eine Zeit lang währende enge Verbundenheit von Mutter und Kind zum Ausdruck gebracht. Doch durch den nach hinten gebogenen Oberkörper und Kopf wird auch ein Auseinanderwachsen angedeutet.

„Zweiwerdung“ nennt die Künstlerin deshalb diese Skulptur. Von Seiten der Tochter ist es nach wie vor ein Aufschauen zu ihrer Mutter. Sie hängt noch an ihr, doch signalisiert der die linke Schulter umfassende linke Arm gleichzeitig eine kollegiale Geste. So wie die beiden Zöpfe in der Luft schweben, könnte das Überbringen einer freudigen Nachricht vorangegangen sein. Der kurzen innigen Verbindung folgt fast unmittelbar das Auseinandergehen. Es folgt ein Auf-Distanz-Gehen zur Mutter, in dem sie von dieser zum einen mit der rechten Hand noch gehalten oder sogar fest an sich gepresst festgehalten wird, zum anderen mit der linken Hand bereits losgelassen wird.

Der Blickkontakt zwischen den beiden Frauen ist ungewöhnlich stark. Es ist ein gegenseitiges Anschauen, das Bände spricht. Unsichtbar, intensiv, gegenwärtig. Sie schauen sich von unten nach oben und von oben nach unten an – und doch auf Augenhöhe. Ernst, liebevoll, ruhig auf der einen Seite, spielerisch, dankbar, ungestüm auf der anderen Seite. Es könnte ein Wiedersehen sein, doch vielmehr klingt ein Abschied an, die Absicht, sich von der Mutter zu lösen und eigene Wege gehen zu wollen. Die Beziehung wird sich wandeln, doch das Wissen um den Ursprung und die gemeinsame Geschichte werden den weiteren Lebensweg beider Frauen prägen.

Ob es verwegen ist, sich die Beziehung zu Gott auch so herzlich vorzustellen? Ihn umarmend, an seinem Hals hängend? Seine mütterliche, lebensspendende Nähe so intensiv zu spüren, in stetigem Blickkontakt und Austausch mit ihm zu stehen, sein Auge wohlwollend und zutrauend auf mir ruhend zu wissen, mich haltend und doch ermutigend freigebend, um eigene Wege gehen zu können? Und wie Mütter ein Leben lang für ihre Kinder da sind, sagt auch Gott seinen Kindern Rettung und Schutz zu, gerade weil sie an ihm hängen. „Weil er an mir hängt, will ich ihn retten. Ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen. Ruft er zu mir, gebe ich ihm Antwort. In der Bedrängnis bin ich bei ihm, ich reiße ihn heraus.“ (Ps 91,14f)