Dialoge

In dem konstruktivistisch anmutenden Bild befinden sich sechs flächige Formen paarweise miteinander im Dialog. Zwei olivgrüne, senkrecht stehende Rechtecke bilden die größten Dialogpartner. Sie stehen sich in gleicher Größe und gleicher Höhe mit respektvollem Abstand gegenüber.

Über den olivgrünen Rechtecken sind oben zwei Quadrate miteinander im Gespräch, unten zwei breite grüngelbe Bogenformen. Beide Formen verbinden auf eigene Weise die beiden Rechtecke.

Die beiden Quadrate gleicher Größe sind versetzt übereinander und auch versetzt zur Mitte angeordnet. Ihre Gestaltung ist gegensätzlich: Während das obere Quadrat durch das Blattgold hell leuchtet und sich solitär über den beiden gelben Bogenformen erhebt, ist  das dunkelgrüne Quadrat durch seine farbliche Nähe zu den darunterliegenden Rechtecken nur schwach präsent bzw. hat es für diese eine Brückenfunktion.

Die beiden Bogenformen sind die einzigen dynamischen Elemente im Bild. Ihre Bewegung führt von der Seite her nach oben und nach unten gewölbt zueinander und übereinander, um auf der anderen Seite wieder auseinanderzugehen. Die eine ist wie eine Schale nach oben geöffnet, die andere wölbt sich entgegengesetzt wie ein Hügel in der Landschaft. In der teilweisen Überlagerung verdichtet sich ihre Farbe und erhalten die Formen Halt.

Ein Stück Stacheldraht und das Wort DU bilden das letzte Gesprächspaar. Während das helle, goldgelbe DU für das Gegenüber offen ist und es zur Begegnung einlädt, grenzt der schwarze Stacheldraht das Gegenüber als unerwünschte Person aus. In der Mitte des Bildes erinnert er auch, dass Begegnungen und Beziehungen mitunter nicht harmonisch verlaufen und zu Verletzungen und Ausgrenzungen führen können.

Mit diesen vier symbolischen Gesprächspaaren und ihrem Dialog miteinander und untereinander ist in dem Bild alles auf Begegnung und Beziehung ausgerichtet. Dabei wird das verbindende und gemeinschaftsstiftende Wesen von Begegnungen ebenso sichtbar, wie der respektvolle Dialog auf Augenhöhe oder die Verletzlichkeit, die entsteht, wo Menschen sich einander öffnen. Ermutigend, tröstend und vergebend leuchtet über allen menschlichen Begegnungen das für Gott stehende goldene Quadrat. Als Quelle des Lebens ist er der Ursprung jeder Begegnung. Als das Licht der Welt begleitet und führt er uns durch alle Höhen und Tiefen.

So spiegelt sich in den vielfältigen Bezügen der konstruktiven Bildformen Gottes trinitarisches Wesen und seine liebevolle Zuwendung zum Menschen: Die beiden senkrechten Hintergrundrechtecke können als Gesetzestafeln gesehen werden, als haltgebende Struktur für die menschliche Gemeinschaft, die deutlich Recht und Unrecht, Gut und Böse unterscheidet. Alle anderen Formen stehen – diese Spaltung verbindend – darüber: Das goldene Quadrat als Symbol für die Vollkommenheit, das Licht und die Liebe Gottes. Das grüne Quadrat als Symbol für die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, aber auch für das überwundene Leid. Und drittens die grüngelben, gebogenen Formen, in deren Begegnung sich der Heilige Geist im Dialog zwischen DU und ICH lebendig realisiert.

Stuhl der Weisheit

Aus einem Berg geschredderter Papiere ragt ein Stuhl heraus. Er ist über und über mit Rechnungen beklebt, so als bestünde er selbst aus lauter Rechnungen. Der Stuhl ist dem Betrachter zugeneigt, in Schieflage und leert wie die Kipper-Mulde eines Lastwagens – sich dabei aber auflösend – einen riesigen Haufen Schnipsel über seine Kante auf den Boden. Dieser Stuhl ist ein Schuldenvernichter. Wer sich ihm anvertraut, bleibt nicht auf seinen Schulden sitzen, sondern wird entschuldet und entschuldigt.

Der Anblick der vielen Rechnungen rückt unwillkürlich geschuldete Geldwerte in den Vordergrund. Doch diese können bei Zahlungsunfähigkeit nicht einfach vernichtet werden, weil dafür Leistungen erbracht worden sind. Ganz anders verhält es sich bei unantastbaren Menschenrechten wie der Würde des Menschen oder der Meinungs- und Bewegungsfreiheit (vgl. Art. 1 Grundgesetz). Wer durch Unachtsamkeit oder mit Absicht für die menschliche Gemeinschaft grundlegende Werte verletzt, lädt Schuld auf sich und kann diese Verfehlung nicht mit Geld wieder gutmachen. Denn diese moralischen Werte sind unbezahlbar.

Zu viele Schulden belasten unser Leben und bringen es, wie den Stuhl, in eine Schieflage. Schulden und Zahlungsunfähigkeit können so erdrückend sein, dass sie vielen Betroffenen schon lange vor dem Lebensende die Lebenskraft rauben. Damit wir wieder ins Leben zurückfinden und neu anfangen können, sind wir auf Schuldennachlass, auf Schuldenvergebung und -tilgung, auf Entschuldung angewiesen. Der in Schieflage geratene Stuhl vermittelt aber auch, dass ein Aussitzen der Probleme nicht möglich ist. Es wird Zeit aufzustehen, für begangene Fehler und angehäufte Schulden gerade zu stehen und das Leben so weit es geht verantwortlich in die Hand zu nehmen.

Der Titel der Skulptur spielt auf die Beichtpraxis in der katholischen Kirche an, bei der man durch das Schuldbekenntnis und die folgende Vergebung buchstäblich nicht länger auf seiner Schuld sitzen bleibt, weil alle „offenen Rechnungen“ wie im Schredder vernichtet werden.

Doch der Stuhl in der Skulptur ist kein kirchlicher Beichtstuhl, sondern ein einfacher Esszimmer- oder Küchenstuhl. Ein erster Schritt zur Veränderung kann ein bekennendes Gespräch über die belastenden Umstände mit einem Menschen des Vertrauens am Esszimmer- oder Küchentisch sein. Ein Gespräch mit jemandem, der mich annimmt wie ich bin, der mir zuhört und mich vielleicht mit einem guten Rat motiviert, den Weg zu ändern oder auch den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, der aber weder auf- noch abrechnet. Der schlichte Stuhl ruft in Erinnerung, dass die Vergebung in einer gesunden Fehlerkultur in allen Situationen des Alltags und durch uns geschenkt werden kann. Im Wissen um unsere Schwächen ermutigt Jesus beide Seiten: „Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will umkehren!, so sollst du ihm vergeben.“ (Lk 17,4)

Das „Beichtgespräch“ mit dem Betroffenen und die Vergebung der Schuld durch die Annahme der Bitte um Entschuldigung sind ein Ort des Neuanfangs, der Re-création. Was geschehen ist, wird nicht mehr aufgerechnet. Alles belastende Material ist unkenntlich vernichtet und alle Zähler sind auf null gestellt. Entlastet und erleichtert kann der Entschuldigte als erneuerter Mensch von vorne beginnen.

Ohne eine tagtägliche Vergebungspraxis wäre das nicht möglich. Verzeihen und Vergeben gehören nicht zu den Menschenrechten, sind aber für ein gutes dauerhaftes Miteinander unentbehrlich. Gott hat uns damit ein weises und Frieden förderndes Instrument auf den Weg gegeben – voller Güte, Barmherzigkeit und Weisheit. Wer wie Gott handelt, der macht den „Beichtstuhl” zu einem „Stuhl der Weisheit“,  zum „sedes sapientiae“, zu einer Quelle des Lebens.

Psalm 130

Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir:
Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade.
Würdest du, HERR, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn?
Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient.
Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf meinen Herrn
mehr als Wächter auf den Morgen, ja, mehr als Wächter auf den Morgen.
Israel, warte auf den HERRN, denn beim HERRN ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle.
Ja, er wird Israel erlösen aus all seinen Sünden.

Werke von Carola Faller-Barris und Thomas Lauer waren bis zum 18. Oktober 2020 in der „Kunst am Berg“-Ausstellung „Wann reißt der Himmel auf?“ in der Feldbergkirche im Schwarzwald zu sehen.

Angst

Der Altarraum ist verändert, und so verändert sich unser gewohnter Blick auf das Kreuz auch. Das Kreuz steht nicht mehr allein auf dem Altar wie sonst in Kirchen üblich . Es hat einen “Mantel” bekommen, einen neuen Rücken. Aber der Mantel ist kein Mantel, der umhüllen will, sondern es ist eine Explosion zu sehen, ein Klecks aus Tusche mit einem dunklen schwarzen Zentrum und viel wegspritzender schwarzer Farbe, die sich vom Zentrum her nach außen auflöst. Hier entsteht eine enorme Spannung zwischen dem gewohnten braunen Altarkreuz und dem schwarzen Tuscheklecks dahinter. Vor dem großen schwarzen Klecks verschwindet das Jesuskreuz fast ganz. Oder ist es andersherum? Ja, das Kreuz mit dem leidenden Jesus steht vor der Explosion.

Was soll das bedeuten? Der schwarze Klecks hinter dem Kreuz – das sind unsere Ängste, das ist unsere eigene tief sitzende Grundangst, unsere dunklen Stellen, unsere Löcher, unsere Fehlbarkeit. Es ist unsere Furcht, die wie ein schwarzer Fleck auf unserer Seele lastet. Die sich ausbreitenden schwarzen Spritzer und Linien zeigen an, wie sehr wir uns bemühen, sie zu verteilen, sie nicht so sichtbar werden zu lassen. Aber vor dieser großen Angst des Menschen steht oder hängt Jesus am Kreuz. ER ist es, der unsere Ängste und uns schützen, umhüllen will. ER ist es, der uns bedeckt, zudeckt.

Sind es nur unsere Ängste? Und was heißt “nur”? Vielleicht kann man sagen, diese Ängste sind der Teufel, unser eigener Teufel und die bösen Mächte, unsere finsteren Seiten, die in uns wohnen und wüten und uns belasten, aus denen wir aus eigener Kraft nicht herausfinden. Aber was sind die Teufel unserer Zeit? Jeder Mensch wird da andere für sich benennen können. Ängste begleiten unser Leben, unseren Alltag auf Schritt und Tritt: zu versagen, zu vergessen, nichts richtig und gut zu machen. Und genau darum geht es: Wie kann man seine Angst bekämpfen oder gar besiegen? Niemand vermag das wirklich erfolgreich. Und darum ist Jesus vor uns und schützt uns – auch vor uns selbst. …

Die Kunstinstallation von Michael Bracht kommt nicht von ungefähr und nicht zufällig jetzt. Es ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit uns Menschen, ja des Künstlers Michael Bracht mit sich selbst und – von außen herangetragen – mit dem „Lutherjahr”, dem 500. Jubiläum der Reformation. Von Luther wissen wir, dass er eine tiefsitzende Angst vor dem Teufel und seinen Mächten hatte, dass er Schuldgefühle bis zu seinem Tod hegte. Bekannt ist die Episode auf der Wartburg, wo er bei seiner Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche in der Nacht sein Tintenfass nach dem vermeintlichen Teufel an die Wand warf. Diese Überlieferung führte wohl zu der Gestaltungsidee des Themas “Angst”. Einer Angst, der sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens stellen muss, ob nun im Geheimen oder ganz offen.

Der Pfarrer der Kirchengemeinde Sankt Petri und Künstler Michael Bracht sagt dazu: “Meine Installation im Kirchraum von Sankt Petri beschäftigt sich mit der vielleicht entscheidenden Triebfeder, die schließlich zur Reformation führte: den Ängsten Martin Luthers und den Antworten, die er gefunden hat. Sie fragt zugleich nach den Ängsten der Betrachter und fordert sie auf, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und selbst Antworten zu finden.”

Michael Bracht trieb es um, dieses Thema zu gestalten. Er begann vor fünf Jahren, erste Ideen zu entwickeln und überlegte wie es wäre, viele Tintenkleckse öffentlich aufzuhängen. Daraus wurde dann nichts. Und so reduzierte er die Mehrzahl von Tintenflecken auf den einen. Er sprach somit nicht mehr vom Wir, sondern vom Ich. Nicht das Verstecken hinter der Schuld und der Angst vieler, sondern bezogen auf mich, mein Versagen, meine Unzulänglichkeit, meinen Anteil. Das ist wesentlich konzentrierter und auch ehrlicher im Bekenntnis. All diesen Überlegungen trägt die Bildgröße Rechnung; sie entspricht in etwa der Altarbreite, ist deckungsgleich mit 2 x 2 Metern, so dass die Intention von Bracht („Angst / Schuld der Menschen, die hinter dem Altarkreuz verschwindet, aber dennoch sichtbar bleibt“) sehr gut deutlich wird.

Eine tolle Idee und eine beeindruckende Umsetzung! (leicht gekürzte Vernissagerede)

Ansicht von rechts
Ansicht von links

Ein hoffnungsloser Fall?

Ein Mann ist auf die schiefe Bahn geraten. Mit seinem ganzen Körper und Gewicht stemmt er sich gegen eine große Kugel. Während seine Füße, das eine Knie und eine Faust auf dem Boden Halt suchen, drücken die linke Schulter und die rechte Hand gegen das rollende Gewicht. Drahtiger und doch zerklüfteter, muskulöser und doch zerbrechlicher Widerstand. Wie lange er die Kugel wohl zu halten vermag?

Aber es ist nicht seine Aufgabe, sie nur am Weiterrollen zu hindern, also zu halten, sondern sie zurückzurollen, den Berg hinauf zu befördern. Die Aufgabe braucht Kraft und Geschick, Geduld und Ausdauer. Umso mehr, wenn der „Felsblock“ kurz vor dem Ziel immer wieder auskommt und den Berg hinunterrollt, so dass von vorne begonnen werden muss. Dem verschlagenen Sisyphos, der die Götter Zeus und Thanatos verraten, überlistet und betrogen hatte, wurde diese endlose Arbeit von Thanatos, dem Gott des Todes in der griechischen Mythologie, als Strafe für seine Taten zugeteilt.

Eine andauernde, äußerst anstrengende und oft auch vergebliche Aufgabe, die nie wirklich abgeschlossen werden kann, nennt man deshalb eine „Sisyphosarbeit“. Im „skulpturalen Filmstill“ scheint Sisyphos zudem nie eine Pause nehmen zu können, weil alles von ihm abhängt. Wenn er losließe, würde die Kugel zurückrollen, wenn er aufgäbe, wer würde dann der Kugel Widerstand geben und sie auf ihren Platz rollen?

Die Skulptur schneidet viele Fragen an. Ist eine Aufgabe oder Arbeit wirklich so wichtig, dass ich derart Zeit und Energie in sie investiere? Wenn ja, wäre es dann nicht vorteilhaft, die Aufgabe – gerade wenn sie groß und schwer ist – nicht allein, sondern mit anderen zusammen anzugehen und damit wahrscheinlich sogar ein schnelleres und besseres Resultat zu erreichen?

Weiter bietet die Skulptur Gelegenheit über Schuld und Sühne, über Strafe und Vergebung nachzudenken. Sisyphos wurde für seine Vergehen mit dem immer wieder neuen Hinaufrollen des Felsblockes bestraft. Sein Leben und sein Schicksal wurden damit an diesen großen Stein gebunden, Symbol für die Schwere seiner Untaten und Verletzungen, die er anderen zugefügt hat. Ihre Folgen hat er nicht im Griff, sie lasten schwer und entkommen ihm immer wieder.

Die ihm auferlegte Strafe kennt keine Vergebung der Schuld. Die Götter kennen kein Erbarmen. Sisyphos schiebt den Stein vergeblich nach oben. Seine Lage ist hoffnungslos, weil ihm die Götter den Stein nie abnehmen, sondern immer wieder entgleiten und hinunterrollen lassen, so dass Sisyphos in der Strafe gefangen bleibt. Jede Veränderung zum Guten wird ihm dadurch verunmöglicht.

Die ausweglose Situation des Sisyphos lässt unwillkürlich nach seinem Gegenbild fragen… und jenem der Götter. Es ist ein durch und durch aufrechter Mensch, der sich durch seine Rechtschaffenheit keine Schuld auflastet und in keine falschen Abhängigkeiten gerät. Er achtet Gott und die Menschen und bleibt gerade in dieser Verbundenheit in seinem Denken, Reden und Handeln ein freier Mensch. Gegenüber den griechischen Göttern offenbart sich der christliche Gott als guter Gott. Er ist ein Gott der Liebe und des Erbarmens, der allen, die zu ihm kommen, großzügig Vergebung schenkt. Das macht Mut und gibt Hoffnung, dass Veränderung und damit Besserung möglich ist, dass eine Strafe bei Einsicht und Reue nicht ewig dauern muss. Denn bei Gott ist niemand und keine Situation ein hoffnungsloser Fall.

Segen und Schuld

Zwei Bilder, in denen nur der Raum und das Kabel auf dem Boden gleich sind, erzählen von Schuld und Vergebung.

Im linken Bild sind zwei Personen erkennbar, die eine stehend und dem Betrachter zugewandt, die andere vor ihr kniend. Beide Personen sind nackt und in nebliges Licht getaucht. Nur dort, wo sich ihre Körper überlagern, wird die Haut in natürlichen Farben wiedergegeben. Die stehende Person, eine Frau, hat ihren Kopf geneigt, die Arme angewinkelt und die Hände über dem Kopf der vor ihr Knienden ausgestreckt, die von ihrer Frisur her auch als Frau identifiziert werden kann.

Im rechten Bild liegt am Ende des Kabels nur ein schwarzes Tuch auf dem Boden. Es liegt wie zufällig fallengelassen da. Der leichte Glanz vermittelt ein kostbares Gewebe. Die Künstlerin hat ein seidenes Trauertuch des 18. Jahrhunderts aus Spanien dafür verwendet. Traditionell besticken Frauen das Tuch, unter dem sie trauern, wenn ihr Mann stirbt. Die Falten wie auch die nach außen gerichteten Fransen lassen an einen darunterliegenden Körper denken, die Falten suggerieren sein Volumen, die Fransen ausgebreitete Extremitäten. Auch wenn offensichtlich nichts darunter liegt, ist doch eine Präsenz zu spüren – verstärkt durch das Selbstauslöserkabel, das vom Tuch zum Betrachter verläuft –, eine von großer Last zugedeckte, bedrückte und bis fast zum Nichts erdrückte, leidende Existenz. – Ein Häufchen Elend.

Im Bild der beiden Frauen hat sich die Künstlerin zweimal selbst abgelichtet. Sie setzt in ihrer Kunst eigentlich immer ihren eigenen Körper ein. Hier will sie mit dem unbekleideten Körper sagen, dass es bei einem Schuldbekenntnis und bei Vergebung nichts zu verstecken gibt, dass es um die nackte Wahrheit geht. Die Künstlerin kniet also vor sich selber und legt sich gleichzeitig segnend die Hände auf. Sie selbst sagt zum Bild: „Ja, es geht darum, dass ich mich vor mir selbst niederknien kann. Dass ich mich selbst anschauen kann, mir selbst dann dadurch auch vergeben kann und mir die Hände auflege. Dass es eine Wirklichkeit in mir gibt, die Liebe, die ich Gott nennen kann, der ich alle möglichen Namen geben kann und die dieses schwere Gefühl der Schuld, von dem ich bis heute nicht sagen kann, warum und woher es kommt, aufnehmen kann.“ (kunst und kirche 02/2015, Innere Bilder – am eigenen Körper getragen, S. 19)

So stehen Transparenz, Leichtigkeit, Vergebung und Beziehung auf der einen Seite, und liegen Verborgenheit, Dunkelheit und Einsamkeit auf der anderen Seite am Boden.

Schuld bekennen, um Vergebung bitten und Segen erfahren kommen sehr schön in den beiden Haltungen der Künstlerin zum Ausdruck. Im Knien macht sie sich selbst klein, immobil, verletzlich. Sie wird zur Bittenden, aber auch zur Empfangenden. Sie gibt ihrem stehenden Gegenüber dadurch viel Macht, aber auch Verantwortung, gut mit ihr umzugehen. Ihr Kopf als Zentrum des Rationalen ist nicht zufällig gegenüber ihrem Geschlecht und ihrem Bauch als Zentrum des Emotionalen. Im Stehen offenbaren der geneigte Kopf und die ausgestreckten Hände eine segnende Geste, ein entlastendes Vergeben und ein ermutigendes Stärken für einen Neuanfang. In keinster Weise ist Erniedrigung oder gar Gewalt aus der stehenden Überlegenheit herauszuspüren. Nur Zuneigung, Güte, Erbarmen. So wird das Verhältnis der beiden zueinander sichtbar und die Verantwortung, die sie füreinander tragen.

Die Arbeit ist ein Plädoyer für einen sorgsamen Umgang mit sich selbst und mit den anderen. Sie regt zum Nachdenken über die Kraft der Vergebung an, ihre heilende, segnende Wirkung. Für sich selbst und für andere. – Verzeih mir. All das, was ich für dich bin. Alles, was du in mir siehst. Bitte verzeih mir alles, zu dem ich im Laufe der Zeit aufgrund meiner Erwartungen und Enttäuschungen, Anstrengungen und Krankheiten, Entscheidungen und Nachlässigkeiten geworden bin.

Die äußerst seltene Gegenüberstellung von Schuld und Segnung in der Kunst lässt auch spüren, wie Schuld aus Scham gern versteckt wird, wie schwer sie oft zu beschreiben ist und dadurch fassbar wird, und wie einsam sie machen kann. Wie befreiend und heilsam zeigt sich diesbezüglich ein Schuldbekenntnis, das Licht und Klarheit in die Sache bringt, und ein Segen, der nach der Vergebung dem Mit- und Zueinander einer Beziehung eine neue Offenheit und eine neue Kraft gibt.

Vergebung ist überflüssig

Die vielen roten Striche stechen ins Auge. Hier ist etwas aufgeschrieben und festgehalten worden. Hier wird ein Geschehen so genau gezählt, dass die Anzahl durch die Häufigkeit schon ins Unzählbare übergegangen ist. Was hier auch gezählt wird, es geht definitiv um eine große Menge.

Darüber ist in der gleichen Farbe „Vergebung ist überflüssig“ geschrieben. Wie eine Überschrift stehen die drei Worte über der steinzeitlichen Strichsammlung. Im Vergleich zur Schrift muten sie an wie ein uralter, immer gleicher Text. Es scheint immer nur um das Eine zu gehen: die Vergebung.

Der Titel irritiert in seiner Mehrdeutigkeit. Denn „überflüssig“ lässt sich zum einen mit „unnötig“, „nutzlos“ oder „wirkungslos“ übersetzen. Doch das kann es nicht sein. Vergebung ist gerade dort nötig, wo jemand nach schuldhaftem Handeln Reue zeigt und mit dem Geschädigten wieder ins Reine kommen will. Wem eine Schuld vergeben wird, der wird entlastet, dem wird verziehen, der wird entschuldigt. Vergebung kann in diesem Sinne nicht überflüssig sein.

Zum anderen kann „überflüssig“ von seiner Wortherkunft her als etwas Überfließendes gelesen werden. Aber die Vergebung ist keine Flüssigkeit, die ab einem bestimmten Maß wie bei einem vollen Fass Wasser überfließen würde. Und doch muss es etwas damit zu tun haben, denn einen weiteren Wortsinn für „überflüssig“ gibt es nicht.

Vergebung ist ein Zeichen, eine Zusage, die jemandem gegeben wird, der einen Fehler gemacht hat, der eine Person oder deren Eigentum verbal oder materiell verletzt und noch gravierender beeinträchtigt hat. Wer vergibt, rechnet dem anderen das Vergehen nicht an, sondern verzeiht ihm. Vergebung hat mit Nachsicht zu tun, mit der Absicht, dem Anderen das Vergehen nicht nachzutragen, sondern ihm die Chance für einen Neubeginn zu geben. Vergebung setzt ein großes Herz voraus, den Mut, anders zu handeln als „Aug um Aug“. Vergebung braucht ein großzügiges, überfließendes Herz, das aus der Fülle der Liebe auf den Anderen zuzugehen vermag und durch dieses Übermaß an Liebe die Schuld quasi auszugleichen vermag, so dass sich beide wieder in die Augen schauen können.

Vergebung gründet in einer überfließenden Großzügigkeit. Nicht nur in der einzelnen Handlung. Auf die Frage des Petrus, wie oft er seinem Bruder vergeben muss, der sich ihm gegenüber schuldig gemacht hat und ob siebenmal reichen würde, antwortete Jesus: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ (vgl. Mt 18,21-22) Jesus wünscht sich kein berechnendes Vergeben, sondern eine großzügige Haltung gegenüber demjenigen, der immer wieder fehlt und fällt. Im Lukasevangelium (6,36) mahnt er seine Jünger: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist.“

Schrift und Striche sind auf einem weißen Hintergrund aufgetragen, der als Ausschnitt von etwas Größerem gesehen an ein helles Kreuz in dunkler Nacht denken lässt. Durch Jesu Tod, aber auch durch sein letztes Gebet (Lk 23,34) steht gerade das Kreuz im Zeichen der Vergebung. Auch der farbliche Gegensatz von Schwarz und Weiß lassen Schuld und Vergebung anklingen. Dass in der schwarzen Fläche auch weiß und rot eingezeichnet ist, mag den Grund darin haben, dass in jeder Schuld das Potential der Vergebung steckt, dass durch Vergebung in jede Dunkelheit Licht gebracht werden kann.

Letztlich geht es darum, Vergebung zu praktizieren, sie wie eine Flüssigkeit auszugießen. Daran mag vielleicht das einfache Gefäß links oben erinnern. Von der Form her ist es einer Gusspfanne in der Stahlindustrie angelehnt, mit der das heiße und flüssige Eisen in die Formen gegossen wird. Obwohl es ganz mit der Farbe des Lebens und der Liebe gefüllt und auch leicht geneigt ist, ergießt sich nichts aus ihr. Es ist, als wolle der Künstler zum Betrachter sagen: In Dir steckt das Potential der Vergebung. An Dir liegt es, dass Vergebung von Dir auf den Bedürftigen überfließt.

Von diesem Bild ist eine Kunstkarte zum Preis von 1 Euro + Porto erhältlich, die beim Künstler bestellt werden kann: Mailadresse

Fußwaschung

Der Fuß in der Bildmitte, die gewellten Haare wie ein Vorhang auf der linken Bildseite, die beiden Hände, welche die Haare zum Fuß führen: deutlicher kann nicht auf die berühmte Begebenheit im Hause des Pharisäers hingewiesen werden.

Das Bild stammt aus einem Video, in dem Maria Magdalena vor allem durch ihre Haare thematisiert wird (Schwimmen mit offenen Haaren – „Fußwaschung“ – Kämmen der Haare). In der biblischen Erzählung wird der Name der Frau allerdings nicht erwähnt. Die Sprache ist von einer „Sünderin“. Erst die Tradition hat Maria Magdalena durch ihre Umkehr und Nachfolge mit der Sünderin in Verbindung gebracht. Lukas schreibt: „Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ (Lk 7,37-38)

Lukas geht es um die Reue, um die Umkehr dieser Frau. Sie wendet sich Jesus so radikal zu und erhofft von ihm durch diese starke Handlung so viel Vergebung, dass der Hausherr Anstoß daran nimmt (V. 39) und Jesus ihn mit einer Lehrerzählung über Schuldvergebung zurechtweisen muss (Vv. 41-43). Argumentativ und vergleichend mit dem nicht erfolgten Handeln des Hausherrn zählt Jesus die Handlungsschritte der Frau auf: Fußwaschung mit ihren Tränen, Trocknen mit den Haaren, Küssen der Füße und Salben mit wohlriechendem Öl. Aufgrund dieser umfassenden Liebesbezeugung spricht er die erlösenden Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ – „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Vv. 48.50)

Im Videostill von Marta Deskur ist nur das Abtrocknen der Füße herauszulesen. Das Benetzen, Küssen und Salben der Füße bleibt für den Betrachter dieses Filmausschnittes im Verborgenen. Doch mit der Unschärfe in den Haaren wird Bewegung und Handlung signalisiert. Die ungewöhnliche Begegnung wird betont. Auf der einen Seite die Haare, die des Menschen Kopf als räumlich höchstes Gut zieren und schmücken, auf der anderen Seite die Füße, die als unterster Körperteil den Menschen tragen und fortbewegen. Eigentlich kommen sie nie miteinander in Berührung. Um so außergewöhnlicher, wenn die Haare die Füße berühren, streifen, trocknen. Die innere Haltung der Sünderin wird so überzeugend stark zum Ausdruck gebracht.

Mit der jungen Frau, die durch ihr langes Haar und die feinen Finger eher kindliche Züge aufweist, bringt Marta Deskur allerdings weniger die Sünde, als vielmehr die Unschuld ins Bild. Wurde die Frau in der Bibel erst durch die Sündenvergebung wieder rein und gewissermaßen in den Urzustand zurückgeführt, spricht Marta Deskur mit ihr von Anfang an die Thematik der Unversehrtheit, Unschuld und Reinheit an (Fußwaschung und Reinheit werden auch in der einzigen vergleichbaren Handlung von Jesus in Joh 13,1-12 thematisiert).

Ist es nicht die Sehnsucht nach dieser kindlich-göttlichen Reinheit, welche die Sünderin den Weg zu Jesus finden und diese eindrückliche Handlung vollziehen ließ? In der eigenen Erniedrigung wurde sie gesehen und durch die göttliche Vergebung erhöht. Ist da nicht das ganze Magnifikat Mariens herauszuhören (Lk 1,46-55)? Und kommt dies visuell nicht auch in der durch die Hände und den Fuß gebildeten aufsteigenden Bilddiagonale zur Sprache? Der Sünderin wurde durch Jesus das reine Herz wiedergeschenkt, damit sie der Seligpreisung gemäß wieder Gott schauen konnte (Mt 5,8). Uns mag das Bild vielleicht anregen, über zeitgemäße und aussagestarke Gesten der Reue, der Demut und der Zuwendung zu Jesus nachzudenken.

Unschuldig?

Eine schwarze Seifenschale. Sie wäre nichts Spektakuläres, hätte sie nicht den weißen Aufdruck „UNSCHULD“ auf dem Deckel und wäre das gleiche Wort nicht in die Seife eingelassen. Damit erhalten die Seife und ihre Schale über den alltäglichen Gebrauchswert hinaus eine ethische Bedeutung. Die Schuldfrage wird aufgeworfen, die Rechtfertigung und die Reinigung angesprochen.

Auch wenn Pilatus mit seiner bedeutsamen Geste des Händewaschens für alle sichtbar seine Unschuld zum Ausdruck gebracht hat bei der Verurteilung von Jesus (Mt 27,24) und auch der Psalmist betet: „Gott sei mir gnädig nach Deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen. Wasch meine Schuld von mir ab, und mach mich rein von meiner Sünde.“ (Ps 51,3-4), so stellt sich doch angesichts dieser Seifenschale neu die Frage: Kann Schuld so einfach wie Schmutz abgewaschen werden?

Die weiße Schrift suggeriert, dass unter der schwarzen Schale – Symbol für die Schuld, die Sünde und alles, was verborgen gehalten werden will –, die Unschuld, die Wahrheit und Reinheit zu finden ist. Das Verlangen ist groß und des Psalmisten Gebet ist Ausdruck für die Sehnsucht vieler Menschen.

Wer die Seifenschale öffnet, streift bildlich gesehen bereits dieses belastende Dunkle der Schuld ab. Ihm zeigt sich (aber auch nur das erste Mal) die unberührte „jungfräuliche“ Seife. Wer mit Schuld beladen ist, kann sich wohl die Hände waschen, den Schmutz und den üblen Geruch abwaschen. Durch die Duftstoffe in der Seife werden auch seine Hände wieder gut riechen. Aber die Seife selbst wird ihre Unschuld verlieren durch des Benutzers Unreinheit.

Wer darf dann diese Seife benutzen? Nur diejenigen, die tatsächlich ohne Schuld sind, die Unschuldigen, die ein reines Herz haben ? Oder geht es dem Künstler bei diesem Kunstwerk gar nicht darum, dass jemand die Seife benutzt? – Kunstwerke sind doch unantastbare Ausstellungsobjekte und keine Gebrauchsgegenstände!

Aus eigener Kraft oder mit einem Stück Seife kann keine Schuld in Unschuld gewandelt werden. Der Psalmist wendet sich deswegen an Gott und sein grenzenloses Erbarmen (s. a. Ps 36,6). Er weiß, nur bei Gott ist Vergebung in Fülle. Und er weiß auch, dass Schuld nicht außen am Menschen anhaftet, sondern das Herz verschmutzt. Deshalb betet er: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“ (Ps 51,12)

In dem Sinne kann diese Seifenschale eine Ermutigung sein, in Zeiten der Versuchung ein reines Herz zu bewahren, um Gott nicht aus den Augen (Mt 5,8) – und durch ihn die wahren Werte mitmenschlichen Umgangs nicht zu verlieren.