Verkündigung … an Maria?

Eine junge Frau sitzt im Schlafanzug an ihrem Laptop und trinkt dabei eine Tasse Kaffee oder Tee. Das gemalte Geschehen könnte eine ganz normale Frühstückssituation darstellen, wenn nicht verschiedene Gegenstände im Raum auf etwas Außergewöhnliches hinweisen würden. Die braune Wand gibt einen seltsam dunklen Rahmen für den lichterfüllten Spiegel und seinen Kontrapunkt im Lilienstrauß. Auch das Apple-Logo korrespondiert seltsam gut mit der blauen Tasse, dem Bildschirm im Spiegel und dem Boden. Und dann ist da noch der Fotograf, der kniet, aber nicht die Sitzende, sondern genauso wie die Frau mich als Betrachter ins Visier nimmt. – Was will und kann uns der Künstler damit alles sagen?

Wer die Striche und damit die Zeichnung in der dunklen Rückwand zu entdecken vermag, wird direkt zum Thema des Bildes geführt. Mit wenigen Linien ist da die Verkündigung an Maria aus dem Verkündigungstriptychon von Simone Martini aus dem Jahre 1333 skizziert. Die Darstellung erinnert an Malereien in Grisaille-Technik, welche in Renaissance- und Barockbildern oft als Verweis auf „Vorbilder“ der im Bild dargestellten Protagonisten verwendet wurden. Die lässig mit angezogenem Bein am Tisch sitzende Frau wird durch die Mariendarstellung unmittelbar über ihr als moderne Maria definiert. Sie ist die neue Eva, wie es der angebissene Apfel auf dem Laptop weiter andeutet. Dieser steht wie ein aufgeschlagenes Buch offen vor ihr auf dem Tisch.

Sie scheint der Versuchung des neuen Mediums nicht zu erliegen, sondern seine Informationsmöglichkeiten (Wissen, vgl. Gen 3) für die gezielte Lektüre und den Austausch mit dem „Unsichtbaren“ zu nutzen. Auf dem Bildschirm im Spiegel ist erstaunlicher- und wunderbarerweise nicht spiegelverkehrt zu lesen:

und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit
gesehen

Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen
einen Sohn wird sie gebären,
und man wird ihm den Namen Emmanuel geben
was heißt Gott mit uns

Diese Worte aus dem Johannesevangelium 1,14 und dem Buch Jesaja 7,14 kündigen ihr die Inkarnation Gottes unter den Menschen an. Gott offenbart sich ihr in diesen Worten, auch wenn es nicht die gleichen Worte wie jene des Engels sind, lassen sie sehend werden für das Geheimnis der Menschwerdung. Nicht zufällig steht von der Frau aus gesehen hinter dem Computer ein Strauß Lilien. Der Künstler hat nicht nur eine Lilie dargestellt, sondern viele Lilien, die über die Symbolik der Reinheit und Jungfräulichkeit hinaus auf eine unfassbare Fülle hinweisen. Vor dem dunklen Hintergrund bildet er im Raum eine helle „Gestaltwerdung“ des unfassbaren Lichtes, das im Spiegel zu sehen ist. Hier werden die Lilien zum Symbol für Jesus, der aus dem unerschaffenen Licht in unsere Welt kam (vgl. Credo) und uns aus seiner Fülle Gnade über Gnade zukommen ließ (vgl. Joh 1,17).

Als Pendant zum Engel von Simone Martini, der dem Lilienstrauß zu entsteigen scheint, begegnet uns auf der anderen Seite des Bildes gegenüber der jungen Frau ein Fotograf. Er ist nur im Spiegel dargestellt und gehört damit zur „anderen“ Welt, die nicht begreifbar, aber dennoch gegenwärtig ist. Seine kniende Haltung gleicht einer Kniebeugung, sein erhobener linker Arm einem Flügel. Doch im Gegensatz zum Engel arbeitet der Fotograf nonverbal. Er öffnet seine Kamera für einen kleinen Augenblick, um das Trägermaterial zu belichten. Dadurch geschieht hier auf eine weitere Art „Gestaltwerdung“. Allerdings fotografiert er nicht die junge Frau, sondern mich als Betrachter, denn bei mir und jetzt soll die Botschaft „Fleisch“ werden. Das mag auch der Grund sein, wieso mich die junge Frau unentwegt anschaut, ja geradezu fixiert.

Es geht um mich. Gott will durch mich unter den Menschen wohnen. Nicht nur für einen flüchtigen Moment wie bei einem ehrenden „Schnappschuss“ oder einem vergänglichen Foto, sondern verdichtet und überzeitlich wirkend wie in diesem gemalten Bild. Die blaue Tasse, die sich als Blickfang fast mittig im Bild vor dem Oberkörper der Frau befindet, mag andeuten, dass wir Seine Worte so oft und wie ein Getränk zu uns nehmen und verinnerlichen sollen, damit sie uns Leben werden. Dann wird Immanuel, „Gott mit uns“ sein und der Himmel – wie es der blaue Boden verheißt – unsere Lebensgrundlage und unser Halt werden.

Unterm Kreuz

Mächtig durchqueren die beiden Kreuzbalken das quadratische Bildformat. Sie durchkreuzen es geradezu, so als sollten sie kundtun: No way – kein Durchkommen hier. Dabei sind sie ganz leicht gemalt, fast Ton in Ton mit dem Hintergrund. Auch die Kanten des Kreuzes sind oftmals mehr angedeutet als sichtbar. So erscheint es nicht wirklich schwer und doch ist das ungeheure Gewicht in den intensiver werdenden Farben und der Verdichtung der Striche in der unteren Bildhälfte zu spüren.

Der andere Strichduktus lässt vage Gestalten und Gesichter wahrnehmen. Auf der linken Seite sind die Umrisse eines größeren Kopfes und seiner Haare auszumachen. Man mag an einen geneigten Jesuskopf denken. Allerdings bleibt die Gesichtspartie leer bzw. erscheint sie wie von heftigen diagonalen Strichen zerstört. Dafür tauchen darunter geradezu verstörend fratzenhafte Gesichter mit starrem Blick aus der Dunkelheit auf. Hinzu kommt, dass von rechts her ein diabolisches Ziegenkopfgesicht mit weit geöffneten Augen auf dieses traumhafte Geschehen im gerade erwähnten Kopf blickt. Zwischen den beiden Köpfen vermag man zeitweise auch den Kopf und den Oberkörper eines Jugendlichen zu sehen, wenn sich sein Kopf bei längerem Hinschauen nicht wie bei einem Vexierbild in das rechte Auge eines noch größeren Gesichtes verwandelt, das oben durch zwei angedeutete Hände, die aber genauso gut Haarsträhnen sein können, begrenzt wird.

„Was ist hier los? Was geht hier vor?“, mag der eine oder andere sich erschreckt fragen. Auf diese Weise mitten in das Geschehen unter dem Kreuz hineingezogen, meint man in den intensiven Farben den fieberhaften Zustand und die Anstrengung des unter dem Kreuz Leidenden zu spüren. In den vielen Gesichtern werden seine Ängste, seine Auseinandersetzungen und Versuchungen sichtbar. Hier werden dem Betrachter auf subtile Art und Weise die psychischen Leiden des zum Tode Verurteilten bewusst gemacht. Die bedrängende Nähe all dieser Geister ist schrecklich. Offensichtlich gibt es kein Entrinnen, keinen Ausweg. Zwar taucht immer wieder der auf den Leidenden zulaufende Jugendliche auf, aber er kommt gegen die Übermacht des Bösen nicht an. Nach kurzer Zeit entschwindet er wieder den Blicken des Betrachters und man fühlt sich wieder in die Not des unter dem Kreuz Gefangenen zurückgeworfen. Ein nicht enden wollender Albtraum.

Sehnsucht nach Hoffnung mag sich breit machen. Überm Kreuz ist das Bild lichter und wie ein Halluzinierender meint man weitere Gesichter zu erkennen, freundlichere, und einen Lichtstreifen am Horizont. Aber gehören die Gesichter tatsächlich zu Hilfe eilenden Engeln? Ist das Licht ein wahrer Hoffnungsschimmer? Oder gaukelt die irrelaufende Fantasie des Gefolterten ihm all das vor, um wenigstens einen Funken Hoffnung zu haben, dass er in dieser ausweglosen Bedrängnis nicht ganz allein ist?

Dann, irgendwann, vielleicht auch schon früher, die Wahrnehmung eines noch ganz anderen Gesichtes im Kopf des Leidenden. Es zeigt sich von der Seite. Mehr oder weniger auf der unteren Kante des nach rechts aufsteigenden Kreuzbalkens (ein Symbol des aufstrebenden Lebens) lässt sich das Profil eines Gesichtes erkennen: die Stirn geht in einem Bogen in die Nase über, weiter unten die geschlossenen Lippen, ein Kinn. Die Augen sind nur ein Strich. Eine Ruhe geht von ihm aus … wie bei einem Schlafenden. Ganz in sich gekehrt, eins mit dem Kreuz, strahlt dieses Gesicht eine innere Kraft aus, die von außen gar nichts berühren, geschweige denn zerstören kann. Stark istdiese totale körperliche Auslieferung, noch stärker die das Leiden und den nahen Tod überwindende geistige Kraft, die der selige Ausdruck dieses Gesichtes ausstrahlt.

Werbung

Frau und Mann begegnen uns in dieser Arbeit. SIE steht frontal vor uns, mit herausforderndem Blick, die Arme selbstbewusst in die Seiten gestemmt und mit den Händen die Taille betonend. Die blonden Haare fallen in kunstvollen Locken auf das dunkelblaue Kleid mit seinem tiefen Ausschnitt. ER ist seitlich dargestellt, nur mit einer roten Bade- oder Unterhose bekleidet. Lässig steht er mit verschränkten Armen da, mit dem nach links gedrehten Kopf am Betrachter vorbeischauend.

Firmenlogos und knappe Angaben zu den Produkten stellen klar, dass es sich bei den beiden Personen um Models handelt, die Werbung für die Produkte dieser beiden Häuser machen. Sie sollen den Betrachter anmachen, in ihm die Lust wecken, diese oder ähnliche Kleider zu kaufen. Anregend steht beim Mann schon „Ich freu mich drauf!“. Ein vergoldeter Rahmen suggeriert außerdem etwas Wertvolles, Einzigartiges, das mit einem schönen Erlebnis verbunden wird und sich wie eine unvergessliche Erinnerung einzurahmen und aufzustellen lohnt.

Was in der Abbildung nebeneinander dargestellt wird, sind in Wirklichkeit die Vorder- und die Rückseite ein und desselben Objektes. Daher rührt auch die unterschiedliche Farbwiedergabe, welche einen wirklichkeitsgetreuen Eindruck weiter verfälscht. Dennoch. Das zur Schau-Stellen dieser beiden Werbenden hat exemplarischen Charakter. Lassen sie nicht an Adam und Eva denken, die dem Werben der Schlange erlegen sind? Hier sind die Rollen umgekehrt. Hier wollen Mann und Frau zum Besitz eines Gutes verführen, das dem Käufer neue Eigenschaften verleiht: gutes, ja blendendes jugendliches Aussehen, Kraft und Selbstwertgefühl, ein Erlebnis. Fast wie ein Spiegel wird allen vor Augen geführt, wie er aussehen kann und was die Kleider aus ihm machen, wenn er sie kauft.

In Holz geschnitzt und von einem Goldrahmen umgeben, erhalten die beiden Models die Aura von profanen Heiligendarstellungen. Sie werden in der Öffentlichkeit gezeigt, damit Suchende nach Identität und Sinn sich an ihnen orientieren und durch Kleidung und Verhalten ihnen nacheifern.

Nicht zufällig hat der Künstler für das weibliche Model die Künstlerin Madonna gewählt, die allein schon durch ihre Lieder und Inszenierungen viele Anhänger und Verehrer hat. Weiblich betont gibt sie sich selbstbewusst und gleichzeitig kämpferisch. Sie behauptet ihren Platz und füllt den Raum über den gegebenen Rahmen hinaus aus. Sie ist ja ein Star.

Der Mann auf der Kehrseite setzt seinen Sexappeal ganz anders ein. Mit dem Freiraum zu beiden Seiten seines Körpers und der betonten Männlichkeit scheint er eine Einladung auszusprechen. Hier ist noch Platz für dich, um mit mir Abenteuer zu erleben. Wann kommst du? Ich warte auf dich! „Ich freue mich darauf!“ kann sich somit nicht nur auf die Badehose beziehen, sondern auch auf Erlebnisse und Vergnügen, welche sie ermöglicht.

Kleider machen auch heute noch attraktive Leute! Aber muss es darüber hinaus nicht um die Person selbst gehen: um die Wertschätzung ihrer individuellen Eigenschaften, Gefühle und Fähigkeiten, die sie einzigartig machen? Macht nicht das die wahre Ausstrahlung und Attraktivität von Persönlichkeiten aus?

Ein dickes i in einem Kreis zeichnet die Plakatvitrine als Informationspunkt aus. Doch welche Informationen werden uns da vermittelt? Sollen die Dargestellten Vorbilder sein, denen man mit seinem Leben folgen kann? Sehen so moderne Heilige aus? So werfen diese beiden Idole die religiöse Frage auf, was für Informationen von heutigen Heiligendarstellungen erwartet werden. Was haben sie zu bieten? Denn Heilige werben ja auch … wenn sie auf Gott verweisen, der sich ihnen offenbart und an ihnen – in gewisser Weise wie an Maria – Großes getan hat. Nicht Großes durch das Geschenk von schönen Körpern oder verführerischen Kleidern, sondern in der Stärkung der Persönlichkeit aus der personalen Zuwendung und Liebe heraus.