Wirbel um das Licht

Kreisförmige Bewegungen ziehen wie bei einem Strudel alles zur weißen Mitte hin. Die Spirale erinnert an Naturphänomene wie Wasserstrudel, Gletschermühlen, Wirbelstürme, Schneckenhäuser u.a.m. Im Wesentlichen besteht das Bild aus Blautönen, die an einen Wassersog nach unten erinnern. Doch dann müsste es zur Mitte hin immer dunkler werden. Im Bild wird es jedoch immer heller und die kreisrunde Mitte erscheint mit den gebogenen Strahlen eher wie ein leuchtender Stern in dunkler Nacht.

Dieser Zugang wird unterstützt durch die mit Hügeln und Bäumen angedeutete Landschaft, die links unten zu erkennen ist. Sie wird zur Mitte hin in den Wirbel hineingezogen und löst sich dabei auf.

Was ist das für ein Wirbel um ein Licht, das die ganze Schöpfung um sich kreisen lässt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht? Was ist das für ein Stern, der sich der Dunkelheit widersetzt, ja kontrastreich in sie hineinzustrahlen und sie nachhaltig aufzuhellen vermag? Was ist das für ein Licht, das auch in der größten Dunkelheit noch wahrnehmbar ist und seine rettende Anziehungskraft ausübt?

In Psalm139,12 werden diese Gedanken staunend mit Gottes Allgegenwart in Verbindung gebracht: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ Und der Prophet Jesaia kündigt die Geburt des messianischen Herrschers mit dem Aufstrahlen eines hellen Lichtes über dem Volk an, das in der Finsternis lebt. Dieses Licht entreißt das Volk den „Todesschatten“. Er schreibt: „Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit.“ (Jes 9,1-6)

Die Geburt dieses Kindes wandelt den Sog nach innen in einen nach außen sprühenden Wirbel. In wunderbaren Worten beschreibt Paulus im Brief an die Kolosser das Heilswirken Gottes durch Jesus Christus: „Dankt dem Vater mit Freude! […] Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. […] Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. […] Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. […] um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,12a.13.15,16c.20)

Der Wirbel um das Licht ist also weit über die Advents- und Weihnachtszeit hinaus berechtigt, sofern Jesus Christus der Dreh- und Angelpunkt ist. Und überall, wo dem so ist, geht von ihm eine alles durchdringende, zum Leben verwandelnde Segenskraft aus.

Geht hinaus zu den Menschen

Auf einem kleinen Tisch mit kurzen Beinen steht auf einer roten Samtdecke ein weißes Miniaturmodell des Petersdoms. Wie zwei Hände umfangen die Kolonnaden ein Vogelnest. In seinem Inneren befinden sich weiße Mullbinden, die so gewickelt sind, dass sie an weiße Rosen erinnern. Am Tisch befestigte Metallstangen mit Handgriffen an beiden Enden ermöglichen das Tragen des Tisches durch zwei Personen.

Neben dem transportablen Modell des Petersdoms bildet das proportional zum Architekturmodell übergroße Vogelnest den dominierenden Blickfang. Braun und etwas zerzaust erhebt es sich über die so mächtig anmutenden Kolonnaden. Es bildet in seiner runden Schalenform ein Pendant zur nach oben gewölbten Kuppel als Symbol kirchlicher Macht. Im Vergleich mit dem weißen Petersdom als Symbol für die reine und wahre Kirche, der wie eine außerirdische Erscheinung auf dem mit einer Goldbrokat umsäumten Samt ruht, mutet das Vogelnest arm und schmutzig an.

Doch es befindet sich in den Vorhallen der Kirche, gleichsam als Symbol für alle Armen, Obdachlosen, Hungrigen und Verletzten, die vor der Kirche stehend diese um Erbarmen und Hilfe bitten. Dabei geht es nicht nur um die amtlichen Kirchenvertreter, sondern um alle Gläubigen. Das Vogelnest mit den Mullbinden stellt die Einladung dar, unsere „Throne“ und „Paläste“ zu verlassen und mit den Werkzeugen der Barmherzigkeit zu den Armen in unseren „Welten“ zu gehen und ihre Wunden zu verbinden. Wir sollen die „Kirche“ mit unserem Zu-ihnen-Gehen mittragen und ihr durch unser Kommen und Handeln das Gesicht Jesu Christi wiedergeben. Papst Franziskus hat dies mit der Metapher der „Kirche als Feldlazarett“ auf den Punkt gebracht. Die Kirche muss dort hingehen, wo die Menschen “leben, wo sie leiden, wo sie hoffen”, sagt er. Die Aufgabe der Kirche sei nicht, zu verurteilen, sondern Barmherzigkeit zu üben.

Der Titel der Arbeit – Wandelaltar – spannt damit den Bogen zuerst zum gotischen Retabel, das seinen Platz auf dem Altar hat und durch Umklappen der verschiedenen Tafeln Bilder nach Vorgaben des Kirchenjahres zeigt. Der Wandelaltar war aber auch der Ort der Wandlung par excellence, weil sich auf der Altarmensa in der Heiligen Messe die Wandlung der Hostie in den Leib Christi vollzog. In der heiligen Kommunion an die Gläubigen gereicht wandelte Gott ihre Schwächen in Stärken, die befähigten, zu den Bedürftigen gehen zu können. Hier knüpft das Kunstwerk an. Wie die alttestamentarische Bundeslade mit dem Volk wandelte und umherzog, so tragen die Gläubigen Gott in sich und bringen ihn in die Welt. Darüber hinaus bringt die Arbeit die Sehnsucht vieler Menschen zum Ausdruck, dass sich das (Selbst-)bild der Kirche wandeln soll. Statt durch Machtsymbole soll die Kirche durch heilende Tätigkeit in der realen Welt in Erscheinung treten und sich somit dem von Papst Franziskus geprägten Begriff der „Kirche als Feldlazarett“ angleichen.

Wandlung

Ein Weiser erzählte seinen Schülern von einem alten Mann, der mit einem geflochtenen Weidenkorb zur Quelle ging, um Wasser zu holen, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. Die Leute lachten über ihn und sagten: „Du Tor! Merkst Du denn nicht, dass Du so niemals Wasser nach Hause bringen kannst?“ „Das weiß ich. Aber schaut, mein Korb wird rein und die Erde bekommt dadurch Wasser.“

Wir sehen hier einen Kelch, nein, die Form eines modernen Kelches, dicht geflochten aus dickem und dünnerem Dornenreisig, stabil ineinandergefügt – aber welchen Sinn hat ein Gefäß aus Dornen, das doch keine Flüssigkeit halten kann?

Bei weiterem Betrachten könnte man an einen Menschenkopf mit dem Halsansatz denken, einen aus Dornenzweigen geformten Kopf ohne Gesicht, ohne Ausdruck. Doch, je länger man bei dem Bild verweilt, desto ausdrucksstärker wird es. Eine Dornenhecke wehrt ab, grenzt aus und bei Berührung fließt Blut. All das trifft auf die Dornenskulptur nur sehr bedingt zu. Die klar abgegrenzte Form wirkt trotz der spitzen Dornen harmonisch schön, trotz der kleinen oder größeren Zwischenräume bereit, aufzunehmen und zu bergen. Von diesem Gefäß, in den weißen Hintergrund hineingezeichnet, ohne Schattenwurf, geht etwas Besonderes, etwas Sakrales aus.

„Christus“ nennt die Künstlerin ihr Werk. Christus als Kelch symbolisiert, aber als Kelch, der alle gewohnten Vorstellungen sprengt. Nicht nur, weil er wie der Korb des alten Mannes, keine Flüssigkeit halten kann, sondern weil er sich auch wegen des Materials, aus dem er gefertigt ist, dem Gebrauch, dem Anfassen und Festhalten entzieht.

Die Assoziation zum „Kelch der Leiden“ kann weiterführen: Christus, ein Gefäß, dazu bestimmt, alles Leid der Welt aufzunehmen, alle Verletzungen und Ängste, alle Not und Verzweiflung, alles Versagen und Scheitern, alle Schuld und Tränen, alles Blut. Seine durchlässige Form ist von allen Seiten aufnahmebereit, nicht für materiellen Inhalt, sondern für alles, was Menschen geistig bedrängt und bedrückt. In der Bildsprache des Dornenkopfes oder -kelches identifiziert sich Christus in anschaulichster Weise mit all diesem Leid.

Eine zweite Assoziation: In der Liturgie steht der Kelch für Wandlung, für Erlösung. In der Kraft des Heiligen Geistes wandelt Gott Leid und Schuld in überströmende, heilmachende Liebe, die überallhin ihren Weg findet, die durch die kleinsten und unscheinbarsten Ritzen zu allen Menschen dringt, die sich berühren lassen. Liebe kann verwandeln und nichts geht verloren, was aus Liebe geschah. Was wissen wir, ob aus unseren Fehlgriffen nicht letztendlich Gutes entstehen kann, wie durch das „sinnlos“ verschüttete Wasser des alten Mannes Reinigung geschah und aus der verhärteten Erde Leben sprießen konnte? Oder wie aus dem „Ärgernis“ und der „Torheit“ des Kreuzes Wandlung im eigentlichsten Sinn entstand: Der Einbruch der Liebe Gottes in unsere Welt, wo und wann immer wir sie annehmen?