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Annette Zappe, Homo incurvatus ,
© Annette Zappe

Gefangener seiner selbst

Unnatürlich ist dieser Mensch in sich selbst verkrümmt. Weder eine schwere äußere Last noch die Zeichnung des Körpers durch eine Krankheit sind zu erkennen. Die fehlenden Unterarme und Hände deuten seine Handlungsunfähigkeit an. Eine unsichtbare innere Kraft hat sich seiner bemächtigt und ihn gleichsam gefesselt in die Knie gezwungen. Leid und Schmerz sind dem Gebeugten anzusehen, der in dieser entwürdigenden Haltung entstellt wird.

Eigenartig ist die Ich-Bezogenheit dieses Menschen. Er ist so in sich verdreht und verkrümmt, dass er unentwegt seinen eigenen Bauch schaut. Die Nabelschau erklärt die Haltung dieser Person, steht sie doch für eine übertriebene Beschäftigung mit sich selbst. Der Begriff „ist gewöhnlich mit einer negativen Bewertung verbunden, denn er vermittelt die Vorstellung einer übertriebenen, unfruchtbaren Beschäftigung mit der eigenen Person oder Gruppe, die von wichtigeren Aufgaben ablenkt und eine nötige Hinwendung zur Umwelt verhindert.“ (Duden, 10 Bde., Mannheim 1999, S. 2673).

Der in sich selbst verkrümmte Mensch (lat. homo incurvatus in se) charakterisiert seit Augustinus in der christlichen Theologie die übertriebene Selbstbezogenheit des Menschen als das Wesen der Sünde. Der um sich selbst kreisende Mensch verliert den Blick und das Herz für Gott und den Nächsten. Das durch Jesus bestätigte Gebot der primären Gottesliebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lk 10,27) wird von ihm verkannt und ins Gegenteil verdreht. Martin Luther übernimmt das Bild des sündigen Menschen als in sich gekrümmtes Wesen und stellt ihm die göttliche Gnade gegenüber. Die Abwendung von Gott und Hinwendung zu sich selbst wird zur Sünde, weil sie dem Menschen den Zugang zur Gnade verschließt, die ihn nach Luther allein retten kann (sola gratia).

Ist für den Homo incurvatus nun alles verloren? Der Mensch vermag aus sich selbst keinen anderen zu machen als er ist. Er ist auf Unterstützung und einen Impuls von außen angewiesen. Das Knien der Figur kann als Zeichen der Demut und Bereitschaft zur Umkehr gedeutet werden. Der Mensch hat sich bereits klein gemacht, ist still geworden und hält sich orientierend inne. Im Ablegen von Selbstsicherheit und Vorurteilen, Besserwisserei und dem eigenen Recht-haben-Wollen, letztlich auch der heute so hypen Selbstverwirklichung, kann der andere und vor allem Gott in seinem Leben einen Platz erhalten.

Gottes Barmherzigkeit und sein Wirken werden ihn aufrichten und ihm einer Geburt gleich einen Neuanfang schenken, der nicht so weit weg ist vom Bisherigen und doch eine ganz andere Weltanschauung beinhaltet. Es ist ein Aufbruch aus der Gottverlorenheit in die Wahrheit Gottes, die in unserer Mitte darauf wartet, entdeckt und geboren zu werden, um uns von innen heraus aufzurichten und zu freien Menschen zu formen. Eine solche Umwandlung des Lebens erfüllt mit Freude und einer Liebe, die sich nicht mehr nach sich selbst umschaut, sondern großzügig geben und sich an andere verschenken kann.

Die Skulpturen von Annette Zappe sind vom 8. März bis 24. Mai 2025 im Münsterforum in Freiburg ausgestellt.

Patrik Scherrer, 08.03.2025

Annette Zappe

Homo incurvatus
Entstehungsjahr:
Bronze, 9 x 12 x 7 cm
© Annette Zappe

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