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Nikolaus Mohr, Abendmahl Fragmente, 2015
© Nikolaus Mohr

Abendmahl?

Die je sechs Figuren beidseits der weißen Figur lassen beim Anblick des Triptychons (Ansicht aller drei Bilder) fast unwillkürlich an das Letzte Abendmahl denken, das Jesus mit seinen Jüngern vor seinem Leiden und seinem Tod gefeiert hat. Umso mehr als sie Heiligenscheine tragen und es sich, wie es die Kerzen andeuten, um eine feierliche Tafel handelt.

Allerdings sprechen viele Details gegen die Darstellung des Abendmahls. Der Tisch ist nicht über die drei Bildteile durchgehend gemalt, sondern bricht links und rechts des Mittelteils ab. Die Personen in den seitlichen Bildern sitzen an und auf Ölfässern. Überhaupt sind die „Heiligen“ nur durch Büsten dargestellt, die wie Spielfiguren auf Brettspielen stehen, als würde hier etwas gespielt oder inszeniert. Und doch erinnert die Figur ganz rechts neben dem Fass mit einer erloschenen Kerze vor sich an Judas. Oder die rosa Person in der Bildmitte neigt sich wie der Lieblingsjünger Johannes Jesus zu. Auch stehen vor der Dreiergruppe noch Reste eines Mahles, so als sei soeben gegessen worden.

Andererseits stellt sich bei den vielen bandagierten und vermummten Figuren die Frage, ob es sich überhaupt um ein Mahl mit Lebenden handelt. Die einen verschwinden quasi im Reich der Schatten und der Dunkelheit, bei den anderen sind ihre fleischfarbenen Gesichter verbunden oder maskiert. Sie erinnern an Wachsfiguren oder Mumien. Die zentrale Figur in der Mitte nimmt auch durch die weiße Farbe eine singuläre Position ein. Sie wird von der Sehgewohnheit und von der Ikonografie her als Jesus gedeutet. Eine weiße Tunika und ein verklärtes Gesicht würden gut zu ihm passen. Aber was, wenn die Figur wie eine Mumie mit Grabtüchern eingebunden ist, also schon tot ist? Oder sitzt er bereits als Auferstandener, als Lichtgestalt am Tisch, so wie er den Jüngern von Emmaus erschienen ist. Die schwarze und die rosa Person neben ihm verweisen darauf und vermitteln gleichzeitig zu den jeweiligen „Seitenflügeln”.

Die ungleiche Tischgesellschaft irritiert unsere Sehgewohnheiten. Vieles ist mehrdeutig dargestellt, anderes verstörend entstellt. Die brennenden Kerzen befremden. Sie wirken wie angezündete Dynamitstangen und lassen die Ölfässer zu Pulverfässern werden. Durch sie wird das, was noch in Fragmenten da ist, explosiv. Soll das Mumienhafte in die Luft gesprengt und Platz für Neues geschaffen werden? Soll damit angedeutet werden, dass auch das Letzte Abendmahl aus Fragmenten des jüdischen Paschafestes entstanden ist? Oder dass das Leben einer Gegensätze überwindenden und versöhnenden Kraft bedarf, damit lähmende Gewohnheiten immer wieder durchbrochen und erneuert werden, damit das Leben lebendig bleibt und auch neues Leben hervorbringen kann? Oder möchte diese ganz andere und fragmentarische Darstellung des Abendmahls einfach Stachel sein, alles Traditionelle in der Kirche immer wieder auf den Prüfstand der Sinnhaftigkeit zu stellen und über dessen wahre Bedeutung nachzudenken? Damit Gott alles Auseinandergebrochene, Leidende oder Entfremdete wieder ganz machen und in die Gemeinschaft mit ihm führen kann?

Patrik Scherrer, 24.03.2018

Nikolaus Mohr

Abendmahl Fragmente
Entstehungsjahr: 2015
Abendmahl, Fragmente 1-3, Öl/Papier/Textil/Leinwand, je 150 x 170 cm
© Nikolaus Mohr

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