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Nikolaus Mohr, Heute keine Kreuzigung,Pilatus, 2011
© Nikolaus Mohr

Heute keine Kreuzigung

Minimal ist der künstlerische Eingriff im Chor der barocken Ruhe-Christi-Kirche in Rottweil. Und doch lässt die gelbe Tafel keinen Kirchenbesucher unberührt. „Heute keine Kreuzigung, Pilatus“ leuchtet befremdlich aus dem dunklen Hintergrund heraus (Gesamtansicht). Wie eine Bekanntmachung ist das Schild aufgestellt, so wie man Schilder zur Orientierung in Häusern mit ständig wechselnden Anlässen aufstellt oder an Orten, an denen sich immer wieder etwas verändert.

Dieses Schild richtet sich eindeutig an ein neugieriges, schaulustiges Publikum. Doch ob die Kirchen- oder Kunstbesucher mit der Absicht in die Wallfahrtskirche eingetreten sind, life eine Kreuzigung mitzuerleben? Das Hochaltarbild mit der Kreuzigung Jesu deutet wohl an, dass früher mal eine Kreuzigung stattgefunden hat, aber nicht, dass diese Praxis an diesem Ort praktiziert wurde oder wird.

„Heute“ jedenfalls findet „keine Kreuzigung“ statt. Verantwortlich für diese Bekanntmachung zeichnet ein gewisser „Pilatus“. Der Präfekt der römischen Provinz Judäa wollte dem biblischen Texten nach Jesus zunächst nicht kreuzigen lassen. Diesbezüglich könnte man seine ursprüngliche Entscheidung durchaus in dieser Kurzform dem „Volk“ bekannt machen. Allerdings liegt ein Zeitensprung von etwa 2000 Jahren zwischen damals und heute. Das Volk ist in der Zwischenzeit ein ganz anderes, auch wenn Schaulust und Sensationsgier geblieben sind.

Damals forderte das Volk gegen den Entscheid des Pilatus ein Todesopfer. Dieser beugte sich dem Volkswillen, „wusch seine Hände in Unschuld“ (Mt 27,24) und gab Jesus zur Geißelung und Kreuzigung frei. Daran erinnert an der Chorschranke eine Grafik (Pilatus, 2002, Bleistift/Schellack/Papier, 100 x 70 cm, Ansicht), auf der aus einem Krug eine gelbe Flüssigkeit in eine schwarze Schale gegossen wird. Obwohl weder Hände noch Person zu sehen sind, der diese Handwaschung gelten soll, verbinden wir sie mit Pilatus.

Doch die Kundgebung des Pilatus erinnert nicht nur an das Geschehen damals, als Pilatus sich gegenüber dem Volk zu schwach zeigte, um für Jesus ein rettender Fels in der Brandung sein zu können. Das Schild ist auch Aufforderung an uns. WIR sollen niemand kreuzigen. Denn WIR stehen im Heute und haben die Macht, uns für oder gegen Menschen einzusetzen. An uns ist es, Gerechtigkeit zu unterstützen, an uns, Barmherzigkeit walten zu lassen oder bedrohtes Leben zu schützen. „Heute keine Kreuzigung“ ist keine Eintagsfliege. Gerade durch das „Heute“ erhält die Kundgebung jeden Tag aufs neue Brisanz.

Und „Heute keine Kreuzigung“ ist prägnant genug, um sich die Worte wie einen Leitsatz einzuprägen. Auch wenn bei uns niemand mehr wie zur Zeit Jesu gekreuzigt wird, so be-gut-achten wir doch die meisten Menschen um uns herum, beurteilen sie nach unseren Kriterien, fällen oft Urteile über sie und verurteilen sie auf die eine oder andere Weise. Diesbezüglich ist „Heute keine Kreuzigung“ eine klare Aufforderung: Es geht auch anders! Jeder Tag und jeder Mensch bietet dazu Gelegenheit.

Diese Installation von Nikolaus Mohr wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung malhalten – Gegenwartskunst in einundzwanzig Kirchen in der Wallfahrtskirche Ruhe-Christi in Rottweil gezeigt.

Patrik Scherrer, 27.09.2011

Nikolaus Mohr

Heute keine Kreuzigung,Pilatus
Entstehungsjahr: 2011
Ruhe-Christi-Kirche Rottweil Schild Alublech 40 x 60 cm montiert
© Nikolaus Mohr

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