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Anneli Schwager, Aureole Rot, 2020
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Blick ins aller Heiligste

Feine Farbklänge verleihen dem Bild etwas Zärtliches, Geheimnisvolles und Kostbares. Schwebend atmen die einzelnen Elemente ineinander und bilden zusammen eine Lebensgemeinschaft, die alles Bekannte übersteigt.

Das weiße Oval mit seinem diffusen Rand schenkt diesem Organismus einen grenzenlosen und lichtvollen Lebensraum, der mit seiner Energie das erdig wirkende, ockerrote Umfeld strahlenförmig erleuchtet. Vom unteren Bildrand her durchquert ein rosafarbenes Kreuz das Oval in seiner Höhe und Breite. Wie ein Stempel prägt es die neue Gemeinschaft, wie ein Schlüssel öffnet es das Verständnis für das Wunder, dass es dieses Miteinander überhaupt gibt – sah doch bei der Kreuzigung alles nicht so rosig aus.

Das Kreuz lässt die Wandlung miterleben, die der an ihm Gekreuzigte durchlitten und durchlebt hat. Die quadratische rote Mitte erzählt mit ihrer farbig-formalen Symbolik von der irdischen Gewalt, dem vergossenen Blut, dem qualvollen Tod. Gewandelt bildet es die kraftvolle Mitte des neuen Lebensraumes, das schlagende Herz, das aller Heiligste. Das Viereck ist der irdische Schlussstein im Gewölbe der Ewigkeit, die verdichtete Gegenwart Gottes unendlicher Liebe in der menschlichen Geschichte. Es ist ein stiller Ruhepol, Halt für den Unsicheren, Orientierung dem Suchenden.

Intensiv, fröhlich und unbeschwert lebt das Kreuz aus seiner quadratisch-kraftvollen Mitte heraus. Die rosa Farbe mag einen verklärten Blick suggerieren, aber keinesfalls einen zu optimistischen oder unrealistischen Blick durch eine rosarote Brille. Sie ist vielmehr die Farbe der Liebe und der Zärtlichkeit, die Farbe des jungen, neuen Lebens, das – einem Fötus gleich – im Entstehen begriffen ist.

Im oberen Bereich der Aureole deuten zwei kleinere Ovale die Köpfe von zwei Menschen an. Ihre Körper lassen sich in den mit ihnen verbundenen Linien und Schattierungen erahnen. Links eine größere Gestalt, sitzend vielleicht, mit ausgebreiteten Armen, rechts eine kleinere Gestalt, der linken zugewandt. Sie lassen an einen Vater oder eine Mutter mit ihrem Kind denken. Beide sind einander zugeneigt und bilden im intensiven Austausch eine von Liebe getragene Einheit. Sie versinnbildlichen in abstrahiert menschlicher Form die Einheit der Zweiheit, die Versöhnung der Gegensätze, die Geborgenheit im Einen oder auch das Geheimnis der Trinität.

Im österlich erschlossenen Lebensraum kann so Gott-Vater gesehen werden, der seinen Sohn nach dem irdischen Leben und Sterben mit offenen Armen im ewigen Leben empfängt. In der kleineren Gestalt dürfen wir aber auch uns selbst als Kinder Gottes erkennen, die wir einst von Ihm ins Allerheiligste aufgenommen werden und sein göttliches Erbarmen, seine grenzenlose Liebe in unmittelbarer Nähe erfahren.

 

Dieses und weitere Kunstwerke von Anneli Schwager sind bis Ende 2022 in der Ausstellung “Für die Welt” in der Ev. Patmos-Gemeinde an der Gritznerstraße 18/20 in 12163 Berlin im Original zu sehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.

Patrik Scherrer, 30.04.2022

Anneli Schwager

Aureole Rot
Entstehungsjahr: 2020
Mischtechnik/Aquarell/Leinwand, 200 x 140 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

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