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Arnulf Rainer, Pfingsten, 1998
© Arnulf Rainer

Geist-Ausgießung

„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle [Apostel] am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg 2,1-4)

Das Geschenk des Heiligen Geistes drückte sich bei den Aposteln durch Reden in fremden Sprachen aus. In seinen 160 Blätter umfassenden „Bibelübermalungen“ bringt Arnulf Rainer das Pfingstereignis ganz anders zum Ausdruck: Er übermalte nicht wie bei den anderen Blättern Vorlagen aus der Kunstgeschichte, sondern brachte drei völlig eigenständige Bilder hervor. Es ist, als wollte er damit die besondere Kraft des Heiligen Geistes noch mehr hervorheben. Eines dieser Blätter sei hier vorgestellt.

Der Ausgangspunkt des Bildes ist am oberen Rand. Alle Linien und Farben brechen dort mit konzentrierter Urgewalt hervor, um sich dann orkanartig und wie vor Lebensfülle wellenförmig hin- und herwindend auf die Erde zu ergießen. Der überirdische Strom erinnert mich an die Verheißung des Propheten Joel, dass Gott am Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes „wunderbare Zeichen wirken [wird] am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen“ (3,3).

Für den Propheten sind diese Zeichen wunderbar, weil sie Befreiung bedeuten. Rot verweist einerseits auf das Blut Christi, durch das er uns von unseren Sünden erlöst (Offb 1,5) und für Gott erkauft hat (5,9). Andererseits weisen Rot und Gelb auf die feurige Kraft des Heiligen Geistes hin. Gottes Geist ist Wärme und Licht, der die Wahrheit an den Tag bringen wird (vgl. Jes 32,15-17; Joh 16,13), er ist die in unsere Herzen ausgegossene Liebe Gottes (Röm 5,5b), in der er uns belebend durchglüht und zu gutem Denken und Tun anfeuert und begeistert.

Links und rechts ist dieser stürmische Flammenregen von sanften Farbtönen begleitet, die diesem Bogen etwas friedvolles geben. Parallelen zum Regenbogen tauchen auf, den Gott als Zeichen des Bundes „in die Wolken“ gesetzt hat (vgl. Gen 9,8-17). Brach nicht mit Pfingsten ähnlich wie nach der Sintflut etwas ganz Neues an? Gott schenkte allen Menschen seinen Heiligen Geist! Nicht nur denen, die im Hauptstrom stehen, nein, auch denen im Abseits, wie mir das Bild tröstlich zu verstehen gibt.

Das Bild weckt in mir die Sehnsucht, mich unter diesen pfingstlichen Gnadenstrom zu stellen und mich wieder neu von Gottes Liebe, Licht, Gerechtigkeit und Frieden durchströmen und erfüllen zu lassen – um ganz Mensch zu werden, Mensch nach seinem Abbild (Gen 1,27)!

Patrik Scherrer, 13.05.2005

Arnulf Rainer

Pfingsten
Entstehungsjahr: 1998
Aus dem Zyklus„Bibelübermalungen“ 1995 - 1998
Graphit und Leimfarbe auf Karton 50 x 70 cm
Abb. 151 im Buch von Friedel Helmut (Hrsg.), Arnulf Rainer. Bibelübermalungen. Aus der Sammlung Frieder Burda, Ostfieldern-Ruit, 2000
© Arnulf Rainer

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