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Arnulf Rainer, Moses vor dem brennenden Dornbusch, 1998
© Arnulf Rainer

Verhüllen, um zu offenbaren

Der österreichische Künstler Arnulf Rainer ist bekannt für seine „Übermalungen“. Hier hat er zwei Drittel einer Kopie eines Bildes aus der Bibel des Königs Wenzel (Prag, um 1390) mit orangen und gelben Farben übermalt. Das ursprüngliche Bild zeigte Gott, der Moses in der Wüste zu sich gerufen hatte (Ex 3,1-11). Davon ist nur noch Moses zu sehen, wie er auf das Geheiß Gottes seine Schuhe auszieht (Detailbild), weil er heiligen Boden betritt. Warum übermalt Rainer Bilder? Warum hat er ein altes Motiv der biblischen Ikonografie mit breiten farbigen Pinselstrichen zugedeckt?

Er macht dies, um eine in seinem Werk wiederkehrende Idee auszudrücken, die man überall in seinen Arbeiten findet: Verbergen offenbart. Indem das Motiv ganz oder teilweise dem Blick entzogen wird, fügt der Künstler etwas Geheimnisvolles hinzu, und schafft er den Wunsch zu sehen. Rainers Handlung durch Verbergen zu verhüllen besitzt mindestens vier Dimensionen: eine künstlerische, anthropologische, biblische und theologische.

Die künstlerische Dimension: Rainer bedeckt seine Gegenstände nie ganz. Er lässt immer Stellen im Bild unbedeckt, was ihnen besondere Kraft gibt. Außerdem ist seine Übermalung meistens in kräftigen Farben, die einem alten Gemälde – das man es nicht mehr richtig anschaut, weil man es zu kennen glaubt – wieder Leben geben. Der Künstler zeigt damit, dass das Bild ein Kunstwerk ist, das zum Leben erwacht und kraftvoll genug ist, unsere alten Darstellungsweisen zu erschüttern.

Die anthropologische Dimension: Der Mensch will – wie es mit Thomas in der Bibel treffend zum Ausdruck gebracht wird – sehen. Er will alles sehen, sogar das, was unsichtbar ist, sogar Gott. Der Mensch hat Mühe das Geheimnis zu akzeptieren und zu lernen, dass das Unsichtbare in der Regel wichtiger ist als das Sichtbare. Indem Rainer überdeckt und versteckt, stellt er sich dieser menschlichen Tendenz entgegen. Seine Veränderung fordert uns heraus, damit wir lernen zu akzeptieren , nicht über das hinaus zu suchen, was uns gegeben ist zu sehen. Denn oft genug ist es so, dass wir, je mehr wir sehen, umso weniger glauben. Indem Rainer uns daran hindert, gibt er uns unsere wirkliche Menschlichkeit zurück.

Die biblische Dimension: Indem er den größeren Teil dieses alten Bildes übermalt, erweist sich Rainer als guter Exeget des biblischen Textes in Exodus 3,1-11. Die alte Buchillustration zeigt Gott mit einem menschlichen Gesicht, einem Heiligenschein und umgeben von Engeln. Aber der Gott, der Moses zu sich rief, ist in diesem biblischen Text ein Gott, der sich verhüllt. Er zeigt Moses sein Gesicht nicht und verweigert seinen Namen zu nennen. Er sagt nur: „Ich bin, der ich bin“. Wie im biblischen Text verbirgt Rainer Gott vor uns. Die farbige Malerei in Form von großen Feuerzungen verhüllt und offenbart gleichzeitig das Wesen von Gott und hat seine Präsenz im Bild, aber auch in unseren Herzen wieder aufflammen lässt.

Die theologische Dimension: Rainer illustriert hier nicht nur eine biblische Erzählung. Er stellt uns eine Art theologischen Kommentar zum Gott der Bibel zur Verfügung. Wenn er sich selbst offenbart, dann durch das Wort oder durch einfache Zeichen, die sein Geheimnis bewahren. In diesem Bild gehen die orangen Spuren, die man als Feuerzungen interpretiert, an einem gewissen Punkt auseinander und lassen einen flüchtigen Blick auf Gott zu (Detailbild), der über seine Präsenz unter uns spricht und uns gleichzeitig zurückweist, sich auf ein menschliches Wesen reduzieren zu lassen. Gott ist immer größer als wir. Gott ist immer anders als wir. Das will uns die Bibel in all ihren Erzählungen sagen. Das ist auch die Botschaft des österreichischen Malern Arnulf Rainer.

Dieser Beitrag wurde in englischer und niederländischer Sprache am 16. Februar 2014 auf der Website artway.eu erstveröffentlicht. Jérôme Cottin ist Professor für praktische Theologie an der protestantischen Fakultät in Straßburg und Verantwortlicher der Website www.protestantismeetimages.com.

Jérôme Cottin, Strasbourg, 24.08.2014

Arnulf Rainer

Moses vor dem brennenden Dornbusch
Entstehungsjahr: 1998
Aus dem Zyklus„Bibelübermalungen“ 1995 - 1998
Leimfarbe auf bedrucktem Papier, 46,4 x 32,4 cm,
Abb. 37 (S. 109) im Buch von Friedel Helmut (Hrsg.), Arnulf Rainer. Bibelübermalungen. Aus der Sammlung Frieder Burda, Ostfieldern-Ruit, 2000
© Arnulf Rainer

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