Heilsame Achtsamkeit
Das unsichtbar an der Wand befestigte Objekt mit den Holzstrukturen lässt zuerst an ein Fundstück aus dem Wald denken, an ein „object trouvé“, das weiß angemalt worden ist. Seine schwebende Position und die gerundeten Formen geben ihm etwas Engelhaftes, ja Transzendentes.
Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass das Objekt aus einer Art Papiermaché geformt ist und hinten als Stabilisierung mit Gipsmullbinden ausgekleidet ist, die nun eine Art Mantel bilden. Das Objekt stellt damit ein Abdruck einer Stelle am Baumstamm dar, an der durch höhere Gewalt ein Ast abgebrochen ist. Es ist das Negativ, das durch einen temporären Verband der verletzten Stelle entstanden ist. Es ist das Resultat der künstlerischen Aufmerksamkeit, die bei einem Spaziergang die schwarze Stelle an einem vom Blitz getroffenen Ahorn entdeckt hat und der Vision, dass an diesem Ort etwas Neues entstehen kann.
Umgeben von den engen Jahrringen erhält die Mitte der Skulptur eine Aura, welche die zentrale Hervorhebung verstärkt und sie dem Betrachter entgegenwölbt. So als solle auch er durch die vom Blitz getroffene Stelle berührt werden. Vergegenwärtigt man sich die Gegenüberstellung, erfährt man sich als Betrachter plötzlich in der Position des Baumes. Man wird selbst zum Betroffenen und kann seiner eigenen „Blitzeinschläge“ und Verletzungen gewahr werden.
Das Negativ der Brandwunde ist durch die weiße Farbe transzendiert, der Verlust des Astes hat durch die künstlerische „Verarztung“ der verletzten Stelle ein neues Gegenüber erhalten. Beide bringen eine heilsame Aufmerksamkeit zum Ausdruck, welche das Dasein des Ahorns übersteigt. Die skulpturale Abbildung erinnert an Berührungsreliquien in der Katholischen Kirche, an Gegenstände, die mit dem Heiligen in Berührung kamen oder gekommen sein sollen. Diese Arbeit ist insofern mit dem Heiligen in Berührung gekommen, als Blitze auf Grund ihrer Stärke und Schnelligkeit unberührbar sind und nur über die Einschlagstelle und Verletzung die unfassbare Kraft erfahren werden kann. Über das Negativbild ist das Numinose sozusagen zum Objekt geworden. So kann das Kunstwerk als „Berührungsreliquie“ bezeichnet werden, weil es einerseits die Naturgewalt spüren lässt, andererseits die heilsame Kraft der Aufmerksamkeit und Zuwendung. Beides lässt uns auf je eigene Weise die Größe Gottes und seine Gegenwart unter uns erleben.
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