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Sonja Schild, „… denn die Gedanken, die reißen die Schranken und Mauern entzwei, die Gedanken ...“, 2008
© Sonja Schild

Kraft der Gedanken

Ein vergittertes Bild … ungewöhnlich … auch die Erhebungen des Gitters über den hellen Bereichen … und wie es rechts oben aufgebrochen ist … faszinierend!

Grundlage dieser Arbeit bildet eine hohe rechteckige Leinwand. Sie scheint eine schwarze Oberfläche zu haben, aus der sich ein weißes Gebilde erhebt. Und doch muss die Leinwand im Ursprung weiß gewesen sein, denn sie wurde nur mit Kohle bearbeitet. Die weißen Flächen sind demzufolge frei und unbearbeitet geblieben.

Als übereinander geschichtete Waagrechte, deren Enden beidseits weich auslaufen, ergeben sie eine sanft nach rechts geschwungene und sich nach oben verdichtende Gestalt. Im Gegensatz zum schwarzen Hintergrund, der fest und gebunden wirkt, weckt das weiße Gebilde den Eindruck zu schweben. Unten scheint es dem Dunkel zu entsteigen, um dann sanft gleitend aufzusteigen und den Bildraum zu verlassen.

Darüber legt und erhebt sich – vom linken Bildrand ausgehend – das Drahtgitter mit seinen quadratischen Maschen, grau-silbern glänzend. Es spannt sich nicht flach über die Fläche, sondern ist über der weißen Gestalt aufbogen, in der rechten oberen Ecke gar aufgebrochen (Detailbild). Das Gitter scheint den Auftrag zu haben, stark und umfassend den Bildinhalt festzuhalten … und kommt doch nicht dagegen an. Die helle Kraft unter ihm ist stärker und hat sich einen Freiraum verschafft, der die festhaltende Struktur zwang, sich anzupassen. Schließlich war es dieser Kraft auch möglich, die begrenzende Struktur aufzubrechen und ihr zu entfliehen.

Was wohl die weiße Gestalt symbolisieren mag? Die unscharfe Kontur, die schwer fassbare Form lassen an eine immaterielle Erscheinung denken. Die Waagrechten wirken wie Schichtungen von etwas Wiederkehrendem, von etwas, das auf dem Vorhergehenden aufbaut und so Gestalt annimmt. Gestalt von jemandem, der Rückgrat gezeigt hat, denn die geschwungene Form erinnert auch an eine Wirbelsäule. Rückgrat in einer Situation, in der es von drei Seiten nur dunkle Bedrängnis (die schwarze Kohle steht symbolisch dafür) und nur ein Entweichen dorthin gab, wo keine irdisch-materielle Macht mehr Zugriff hatte, nämlich himmelwärts. Mutet die Abfolge nicht auch wie eine Wendeltreppe an, die nach oben führt?

So umschreibt die Künstlerin die Gedanken von Sophie Scholl, die sie konsequent im Widerstand gegen das Naziregime einsetzte. Sie zeigte Rückgrat angesichts der Bedrohungen und der Gefahr. Unerschrocken setzte sie das um, was sie als richtig erkannt hatte. Schritt für Schritt ging sie ihren Weg in der Gruppe der „weißen Rose“. In der Dunkelheit der Nazidiktatur waren ihre freien Gedanken ein Lichtschein und Hoffnung für viele Zeitgenossen. „Sophie war ein ganz normales Mädchen, keine Heilige, sie war fröhlich und nachdenklich, empfindsam, aber auch konsequent“, schreibt Werner Milstein ( „Mut zum Widerstand”, 2003, S.18). Sie mag vielleicht keine Heilige sein, aber ihr Mut und ihr Engagement für die Gerechtigkeit bleiben eine heiligengleiche Ermutigung für uns alle.

Die Arbeit von Sonja Schild gehört zum Kunstprojekt “Unsere Heiligen”. Viele Hintergrundinformationen finden Sie auf der hervorragenden Website zum Projekt.

Patrik Scherrer, 27.10.2012

Sonja Schild

„… denn die Gedanken, die reißen die Schranken und Mauern entzwei, die Gedanken ...“
Entstehungsjahr: 2008
Kohle und Drahtskulptur auf Leinwand, 35 x 75 cm
© Sonja Schild

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