Licht und Schatten
Hellblau, violett bis schwarz manifestieren sich Farbfelder vor dem grauen Hintergrund. Die Farbspuren sind alle leicht nach rechts geneigt. Ihre Ränder sind unscharf, bilden fließende Übergänge. Die dunkleren Farben sind vor allem im mittleren und oberen Bereich anzutreffen.
Die unscharfen Farbfelder lassen keine eindeutigen Zuordnungen an Bekanntes zu. Der Betrachter wird zum Suchenden in den farblichen und „formlichen“ Andeutungen. Es ist etwas da. Doch was ist es? … oder was könnte es sein? Wir tun uns schwer mit dem Vagen, Unsicheren, Unbestimmten, Ungewissen. Dabei vermag schon der hellgraue Hintergrund an Nebel zu erinnern, der zuerst alle Konturen verschwimmen lässt, dann oft ganze Landschaften verschluckt, bevor er sie nach und nach wieder frei gibt.
Bei der hellblauen Form scheint letzteres der Fall zu sein. Sie weckt den Eindruck, aus einer Nebelwand aufzutauchen. Die Gestalt des hellblauen Farbfeldes lässt einen menschlichen Oberkörper wahrnehmen, links und rechts die Arme, die wie bei einem Läufer leicht angewinkelt sind. Dies und die leichte Rechtsneigung wecken den Eindruck, als käme jemand dynamisch auf uns zugelaufen und würde gleich vor uns stehen. Doch kein Kopf ist zu sehen, nur dieser mandelförmige Schatten aus dunklen Senkrechten, der die eben wahrgenommene Gestalt im Brust- und Schulterbereich verdeckt. Jede einzelne Vertikale läuft oben und unten haarfein aus, was ihnen wohl eine Leichtigkeit verleiht, aber nichts von ihrem Unheilvollen nimmt. Ähnlich einer dunklen Gewitterwolke am hellblauen Himmel.
Aber alle Vergleiche bleiben Vermutungen und Möglichkeiten. Das Dargestellte bietet keine Anhaltspunkte für eine letzte Gewissheit. Auch der einzelne schwarze Strich unter dem gefächerten Schatten lässt sich nicht zuordnen. Er erscheint zwar als Spalt, der sich nach einem Schnitt aufgetan hat. Die Öffnung lässt jedoch nichts außer einer undurchdringlichen Dunkelheit sehen.
Die vielen Andeutungen beflügeln unsere Fantasie. Sie lassen uns ganz Unterschiedliches sehen oder besser vermuten, denn sie sind in einer offenen Sprache formuliert. Und dennoch sind alles Spuren, die fragende Rückschlüsse erlauben. Zum Beispiel, ob das helle Blau im Zusammenhang mit dem Himmel gelesen werden darf. Denn dann würde es eine menschliche Gestalt darstellen, die vom Himmel erfüllt oder durchdrungen ist, quasi durch den Himmel auf die Erde gekommen ist. Das Dunkle, das seine Gegenwart überschattet, könnte dann mit dem Leiden des Gottessohnes gedeutet werden, die senkrechte Schnittöffnung mit dem Lanzenstich in seine Brust am Kreuz.
Genauso ist es möglich, dass Sie etwas ganz Anderes sehen. Dann lassen Sie sich nicht irritieren. Das ist gut so. Glauben ist das eine, Glaubensansichten sind das andere.
Riech Gott
steig mir in die Nase, Gott,
aus deinem Wort,
im Blick jetzt, durch die Augenlider, entzünde sie, schlag auf,
Geist, weh dich her, durchzieh die Seele,
ein leichtes Kitzeln des Herzens
(tausendmal feiner als Fräulein Smillas Gespür für den Schnee),
dass ich dich erschnüffle,
dass ich aufspring, in der Luft steh, mitten am Mittag in München,
im Marienplatzton unter den Menschen.
in so einem Duft.
ich höre die Angelusglocken, die stimme für uns,
und ich riech dich, den ohne Geruch, den Unbemerkten.
steig mir in die Nase,
durch ihre Kanäle, in ihren Fasern zu Kopf,
ins Denken, Erkennen, zum Lieben.
Aus: Josef Roßmaier, Es könnte ja sein, Fink Verlag 2012, 128 Seiten, Euro 12,80, S. 20,
ISBN 978-3898707794
Josef Roßmaier
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84076 Rainertshausen
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