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Helene B. Grossmann, Communicare, 2010
© Helene B. Grossmann

Lichtmystik

Ruhe geht von diesem Bild aus. Der Umstand mag von den diffusen, matten Farben ausgehen, aber auch von dem mehr oder weniger symmetrischen Aufbau.

Die fließenden Farbübergänge lassen keine klare Formenzuordnung erkennen. Alles ist verschwommen, nur angedeutet. Und doch wecken diese Andeutungen innere Bilder, die in der blauen Fläche im unteren Drittel einen See wahrnehmen lassen, der von Laubbäumen im Herbstkleid umgeben ist. Passend zu diesem Eindruck breitet sich darüber in einem ganz anderen Blau ein wolkenloser Himmel aus, an dem die Sonne scheint. Ihr helles Licht schafft eine blaßweiße Aura, die sich nebulös in der Wasseroberfläche unter ihr spiegelt.

Das verschwommene Bild könnte den Eindruck eines Sehbehinderten widergeben, der seine Umgebung nur in Farbschatten wahrzunehmen vermag (vgl. die Heilung des Blinden in Betsaida, der in zwei Schritten wieder klar zu sehen und zu erkennen vermag, Mk 8,22-25). Doch durch die Unschärfe wird die Landschaft auch vergeistigt. Sie scheint über das natürlich Gewachsene und Entstandene hinauszuwachsen. Die Unschärfe verleiht dem Bild einen Zauber, sein Licht verklärt es und lässt transzendente Dimensionen in ihm entdecken. Durch den Bildaufbau wird der Betrachter Teilhaber dieses Prozesses. Beim Anschauen wird sein Blick von den dunkleren Randbereichen weg in die Mitte gezogen, um im Raum zwischen den beiden Lichterscheinungen ihre Spannung auszuhalten.

Das hellere, obere Licht scheint gleichsam wie ein Nebel nach unten zu rieseln, durch die Wasseroberfläche hindurch in die Tiefen des Sees zu sinken. Eine doppelte Tiefenbewegung findet statt, die zur Sammlung und Meditation beiträgt. So wird inmitten der Unschärfen die dynamische Kraft dieser mystischen Bildkomposition spürbar, aus den unkonturierten, blassen Farbanteilen ein Ganzes geschaffen. So, wie ein zunächst trüber, enttäuschender Herbsttag in der Gänze des Zusammenspiels seiner Farben verhalten schön erlebt werden kann. Denn communicatio liebt nicht nur die lauten, grellen und schrillen Töne. Kommunikation teilt sich auch im Stillen und ganz Unscheinbaren mit.

Dies ist ganz im Sinne der Künstlerin, die mit dieser Arbeit für das Cochlear Implant Centrum (SCIC) der TU Dresden den Versuch unternahm, gehörlosen Kindern oder Erwachsenen den Übergang in das normale Leben zu erleichtern. Im SCIC werden hochgradig hörgeschädigten Patienten innovative elektronische Innenohrprothesen, sog. Cochlea-Implantate zur Verfügung gestellt. Bei der Therapie werden visuelle Zugänge in das Behandlungskonzept eingebunden, weil Licht und Farbe wertvolle sensorische Informationen für eine komplexe kommunikative Rehabilitation der Betroffenen darstellen. Im Dresdner Universitätsjournal 13/2011 berichten Dr. Katharina Florek und Prof. Dirk Mürbe, dass Helene B. Grossmann das innere Erleben vieler Cochlea-Implantat-Träger „sehr treffend reflektiert“ hat. „Die Stimme, die Implantatträger am Anfang hören, ist oft sehr undeutlich und ohne Information. Nach langer Stille verdichten sich Geräusche und Klänge allmählich zu verstandener Sprache – zum Licht.“

Patrik Scherrer, 29.10.2011

Helene B. Grossmann

Communicare
Entstehungsjahr: 2010
Acryl auf Leinwand, 120 x 100 cm
© Helene B. Grossmann

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